Mit großen Augen schaute der kleine Norn mit dem kohlrabenschwarzen Haar auf das faltige Gesicht in dem Bündel, das in den Armen seiner Ma lag. Er rümpfte die Nase, sah dann hinauf in das Gesicht seiner Ma. „Maah… das is‘ nis‘ so groß.“ Mit dem leisen Lachen, das seine Ma lachte, sah er zurück auf das Neugeborene und zog eine Grimasse. Das da war nicht schön. Das war doch keine Schwester! Das war… eine Rosine. Oder eine Aprikose. Oder seine Finger, wenn er zu lange im Zuber gesessen hatte! Aber eine Schwester?! Niemals! Es hatte nicht mal Augen!
„Jonne, das ist deine Schwester und ja, sie ist noch klein. Sie muss noch wachsen.“ Halblaut sprach Ma zu ihm und strich ihm mit den Fingern über den Schopf. Wieder brummelte Jonne und zog eine Schnute. Er hatte sich die Schwester oder den Bruder anders vorgestellt. Seine anderen Schwestern waren immerhin auch schon groß und sahen nicht so aus wie Rosinen! Leise schnaubend ließ er sich auf den Hintern fallen und nahm sich eins der süßen Brötchen aus der Schale, die Iida hingestellt hatte. Er biss hinein. „If def ein Jonne?!“ Schier entsetzt und mit vollem Mund sah er wieder zu seiner Ma auf. Die lachte erneut. Er mochte es, wenn seine Ma lachte. Es nahm ihm die Angst. Sie schüttelte den Kopf und er puhlte ein Stück Nuss aus seinem süßen Brötchen. „Nein. Sie heißt nicht Jonne, das ist dein Name. Aber… Pa und ich sind uns nicht einig. Willst du uns helfen?“ Langsam neigte er den Kopf hin und her, steckte sich dabei eine Rosine in den Mund, die er aus dem Brötchen gepopelt hatte. Blinzelnd zog er sie wieder aus dem Mund und hob die Rosine mit Zeigefinger und Daumen hoch.
Erst kniff er das rechte Auge zu, sah auf das Trockenobst. Dann kniff er das linke Auge zu und sah auf seine Rosinen-Schwester. Sie war ziemlich blass, aber sonst war die Ähnlichkeit erschreckend! Widerwillig nickte Jonne, denn er wollte seiner Ma und dem Pa gerne helfen. „Soll deine Schwester Kæte heißen oder Sóla?“ Das war ja einfach. Rosine sollte sie heißen, aber so hieß ja schon das kleine braune Ding. Mit vorgeschobenem Unterkiefer schnaufte Jonne aus und verglich nochmals die Rosine mit dem Schrumpelgesicht im Fellbündel. Er sah zuerst das Eine an, dann das Andere. Und das Andere schaute plötzlich zurück. Jonne stutzte und ließ die Rosine langsam in seinen Mund wandern. Die Rosinen-Schwester hatte ja doch Augen! Und die waren gar nicht schrumplig und braun! Die waren blau, wie seine. Fasziniert schaute er zu, wie die Schwester zu gähnen begann und ihre Zunge zeigte. Die war winzig! Aber es war eine Zunge. Zähne hatte sie aber nicht. Langsam rückte er näher und ging mit seinem Gesicht ganz nah an das der Nicht-Rosine und schnupperte an ihr. Als sie ein leises quäken von sich gab, da zuckte er fast erschrocken zurück. Den Kopf etwas eingezogen streckte er schließlich einen Finger aus und tippte vorsichtig an die blasse Wange. Wieder machte die Nicht-Rosine den Laut und Jonne begann breit zu grinsen. Er wiederholte das Spiel. Anschließend strich er ihr zärtlich über die Stirn, die sich runzelte und noch vorsichtiger legte er seinen Kopf auf das Bündel. Dort lauschte er einen Augenblick lang, bis er etwas hörte. Pffffffrt! Ja! Das konnte tatsächlich keine Rosine sein! Es war eine Schwester! Eine ganz echte Nicht-Rosinen-Schwester! Breit grinsend sah er zu seiner Ma hinauf, zeigte auf die kleine Schwester und erklärte: „Ma! Sóla hat gefuazt!“
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