Tod eines Kindes
Der Abend hatte schräg begonnen, am Schrein, mit dieser Puppe aus Männerträumen. Einem Geschöpf, welches sich doch nur mit Gewichten am Arsch aufrecht halten konnte, so wie sie da stand mit ihren dürren Ärmchen und Beinchen. Manche Frau war Lyssa gesegnet auf die Welt gekommen, hier hatten Lyssa und Dwayna sich einen Streich gespielt und lachten heute noch darüber, oder ist nachgeholfen worden von menschlicher Hand? In jedem Fall hatte es dem elonischen Mischblut gefallen mal von oben auf den Balkon des Winzlings mit Wächter und hässlichem Köter zu starren unauffällig auffällig, wie er eben war. Und ihr? Ihr hatte es irgendwie missfallen abseits zu stehen und nicht beachtet zu werden. Generell kann sie schlecht mit Missachtung umgehen, wenn sie irgendwo auftaucht, will sie angesehen werden. Sei es, weil man sich am einzigartigen Aussehen ihrer erfreute, gaffte und gierte, oder einfach nur starrte, weil man nicht glauben konnte, dass es eine Frau mit rotem Haar, blauen Augen und stark pigmentierter Haut gab. In jedem Fall sahen sie hin und sie, sie bemerkte, dass sie hinsahen und bei den Sechs, sie begehrte dieses Hinsehen mehr noch als jede fleischliche Lust und jeden guten Rum in der Kehle. Es war die Luft zum Atmen, das tränkende, rettende Wasser in den Wurzeln einer vertrocknenden Pflanze, der Sonnenschein inmitten der Nacht. Sie brauchte es, sie wollte es und verdammt nochmal, er hätte, wenn überhaupt auf ihren Balkon zu sehen, auch wenn der nicht so ansehnlich riesig war und nicht auf den dieses dürren Tittenwunders, welches eine Geschichte erzählt bekommen haben wollte. Was war Patrone? Ein Geschichtenerzähler? Ein Erretter in der Langeweile? Drauf geschissen! Wobei schwätzen kann und konnte er, konnte er schon als sie ihm noch als Rekrutin bei der Löwengarde nachlaufen musste und jeglicher Versuch ihn zwischen die Schenkel zu kriegen seltsam abprallte. Noch heute vermutete sie, er war einfach zu dämlich es erkannt zu haben, wie hätte er sonst ablehnen können? Der Dirnenpreller von Stein, bekam was williges vorgesetzt und nahm es sich nicht? Idiot.
Und doch war dieser Idiot es, der ihr das Leben rettete. Angeschossen wie jämmerliches Wild hatte sie sich verborgen im geklauten Mantel in die Stadt gerettet und hätte doch genau in dieser an jeder verfluchten Ecke verrecken können. Jahre waren vergangen seit sie sich das letzte Mal sahen, Jahre in denen er einen Weg ging und sie einen ganz anderen. Er wurde zu einem guten, anständigen Menschen und sie, sie wurde der Abschaum, auf den allesamt spucken würden und die doch in den alten Phasen gar nichts anderes sein wollte. Hier ein Überfall, da eine Erpressung, woanders mal für ein paar Tage jemanden einkassieren. So einfach konnte das Leben sein und so leicht ließen sich die Taschen füllen. Auch wenn jede Handlung immer ein wenig das Risiko des Todes, weniger schlimm der Verhaftung mit sich bringen konnte. Aber es war die Nahrung für die zweite Gier in ihrem Leben. Aufregung, dieses Zittern allein im Herzen, wenn die Finger am Abzug ruhten, dieses Funkeln in den Augen, wenn das Ziel im Fadenkreuz auftauchte und das immerwährende Spiel erwischt zu werden. Ein Rausch, den nur der Säufer kannte und dieser bereute ihn zumindest am nächsten Tag für einige Zeit, nahm sich vor nie wieder zu saufen um abends wieder in der Taverne zu stehen und hernach in den Rinnstein zu pissen, in welchen er sich gerade noch übergeben hatte. Ihr Rausch aber endete nicht mit Kopfschmerz und rebellierendem Magen, ihr Rausch war anhaltend, nicht zu stillen und von Mal zu Mal ging sie weiter um das Prickeln zu verspüren.
Aber jeder zahlt seinen Preis, irgendwann ist es eben soweit und als sie, der so vieles am Knackarsch vorbei ging, einmal das Richtige tun wollte, fing sie sich zwei Kugeln ohne den Gewinn hernach zu haben. Ein Überfall, mehr noch ein Angriff, diesmal sollten sie plündern und Furcht bringen, die Nachricht verkünden und ja, umbringen wer vor die Klinge oder den Lauf kam. Der Kerl, der sie nachts seit einigen Monaten zum Schwitzen brachte, war an ihrer Seite als sie in das Haus kamen und dort drinnen saß sie. Ein kleines, blond bezopftes Mädchen, vielleicht fünf oder sechs Jahre alt. Die Eltern waren nicht da, auf dem Feld, auf dem Markt, vielleicht schon tot durch die Hand ihrer Leute. Sie mit dem Stoffmoa war allein, stand vor ihnen rührte sich starr vor Angst nicht und dieser Wichser an ihrer Seite ging mit festen Schritten auf die Kleine zu. Hierfür braucht er keine Kugel verschwenden, entkam dem geifernd schief grinsenden Mund. Darauf ging alles unvermittelt schnell, sie stieß ihn zurück und nahm das Kind hinter sich, hielt sie dort mit einem Arm und der andere wollte ihn abhalten, den Dolch in den eigenen Fingern. Ein Wortgefecht, ein Keifen um Vernunft und Aufgabe, letztlich sogar ein Flehen an seine Vernunft, dann nur mehr der Blick in den Lauf zweier Waffen, der Zündfunken der Steinschlosspistolen, Stille...
Der Schreck fraß den Schmerz und als er sich umwendete, die Hütte verließ zog die Gestalt hinter ihr an der Hand herunter. Pause. Stillstand für einige Sekunden, der Kopf konnte nicht umreißen, was da eben geschehen war. Langsam sank sie auf ein Knie, atmete kurz keuchend durch und sprach eine wüste Beschimpfung dorthin, wo er verschwand. Dann verzögert, spürte sie das Sickern von Blut aus den Wunden, der Dolch fiel, die Finger befühlten die fliehende Wärme. Es war ein Leben vergangen als die Schüsse fielen, aber nicht das ihre, dies musste sie erst begreifen. Denn die blond Bezopfte lag hinter ihr, der Lebensfaden durchschnitten, der letzte Hauch aus den Lungen entfahren. Wie konnte das sein? Die mit ihrem Blut benetzte Kugel durchschlug sie und floh in das Auge des Kindes hinter ihr, welches sie so innig verteidigte und an sich gehalten hatte und so straften die Sechs sie für alles, was sie je verbrochen hatte. Ja, sie wollte ein Leben schützen und hielt am Ende nur den Tod in Händen, während sie selbst wie ein aufgeschlitztes Schwein aus zwei Löchern blutete. Das war er, ihr Kater danach, die Schuld für ihren Rausch, der Stachel im geistigen Magen, der vermochte, dass sie sich in den Rinnstein ihres eigenen Lebens übergab.
...
Es war spät, spät im Leben, spät an diesem Abend. Sie hockte am Fenster ihres Gästezimmers in den Unterkünften des Tempels, des Ordens dem der Idiot nun angehörte und der ihr so bereitwillig die Türen öffnete und ihr ein Angebot machte. Nach dem Tittenwunder, hatten sie sich in die Lampe verzogen, aber auch nur, weil die Glatze ihr nachgelaufen war und es damit ein wenig besser machte, sie vorher missachtet zu haben. Becher um Becher kippten sie in sich rein, das Mischblut erzählte von seinen Wüstenerlebnissen und sie lachten heiter, lachten dreckig über Witze, die sie sich um die Ohren warfen und sie, sie vergaß ein wenig die eigene Schuld. Denn er machte es ihr leicht, obwohl er die finsterste Wahrheit über sie kannte, obwohl er sie hätte übergeben sollen, enttarnen und auffliegen lassen. Aber irgendwie konnte ein Idiot so etwas besser mit sich ausmachen, irgendwie konnte er damit leben und sie, sie lachte, lebte und vergaß sich in diesen Stunden. Später als der Wirt sie hinaus gefegt hatte, waren sie Arm in Arm einen viel zu langen, wankenden Weg durch das Ossa-Viertel zurückgegangen. Sie mahnten sich, grinsend wie die Kinder nach einem Streich, in den Fluren des Wohnbereiches der Tempelanlage Grenths keinen Mucks von sich zu geben und waren vermutlich doch so geschickte Schleicher, wie der rote Ochse von Priester, wenn er im Schrein der Sechs erschien. Gar nicht also! Wie will man auch schleichen, wenn man ständig über eine Stufe stolperte, oder mit Schwung nicht einmal, nicht zweimal, sondern dreimal im falschen Zimmer die Türe aufschlug und in müde, teilweise verärgerte Gesichter sah. Letztlich war sie hier angekommen, schmatzte der Wache im Säuferkleid einen Kuss an die Lippen und verschwand ins eigene Zimmerlein. Und dort kamen sie zurück, die Gedanken, die Sorgen, die Schlaflosigkeit, schlagartig als ginge man in einen Raum mit kaltem Rauch und dieser drehte einem den Magen. Eigene unvermittelte Gedanken; ich will jetzt nicht draufgehen, ich muss etwas wieder gut machen und schon saß sie wieder da, starrte aus dem Fenster auf den Friedhof von Götterfels und rätselte, nur noch besoffen, aber nicht mehr berauscht, denn jede Gier und jeder Rausch nährte sich ein wenig mehr am eigenen Leben und am eigenen Gewissen. Lang genug hatte sie sich belogen, der Hammer der nackten Wahrheit traf sie in Form von zwei Schüssen in den Leib und nahm das Leben des Kindes, aber nicht das ihre.
Kommentare 6
Mahorka
Oh! Das ist schön.
Ich finde gut das sich hier ein anderer Weg zu Grenth zeigt bzw. Zum Tempel. Das weckt Erinnerungen und Sehnsucht
Diadrah Autor
Dankeschön Und ja, nicht immer muss es der klerikale Weg sein.
Ovy
Das ist ja ganz schön NOIR. Wo ist Vatar und sein Piano?
Diadrah Autor
Ich gestehe keine Ahnung zu haben, ob es nun ein Kompliment ist, oder nicht. Ich nehme es einfach mal als solches und sage danke
Iverem
Eine sehr schöne Geschichte. Die Zwiespälte des Charakters kommen hervorragend zur Geltung! Und ich habe so Mitleid mit dem kleinen Mädchen. Der Stoffmoa...
Diadrah Autor
Dankeschön