Es war wieder an der Zeit des Abschieds von Götterfels, ein immerwährender Kreislauf in den Jahren, die sie in seinem Haus lebte und unter ihm auf unmenschlichste Weise diente. Das vergehen des farbenfrohen, bunten Blätterkleides der Bäume war das erste Anzeichen für den anstehenden Aufbruch. Kleine Froststerne an kalten Fensterscheiben waren der Beschluss dessen. Sie hörte ihn schon am frühen Morgen die ersten Befehle durch die Flure peitschen, er näselte, wenn er sich aufregte und die Stimme ging ihr in eigener Abscheu bis unter die Haut. Die Familie war nicht im Haus, nur er, die anderen würde man wohl wieder auf dem Weg einsammeln. So konnte die Elonierin ohne Scheu ihr Zimmer verlassen und erblickte die ersten Möbel unter weißen Laken. Man deckte ab, was nicht benötigt wurde in nächster Zeit und nahm mit, was man nicht gedachte zu vermissen. So stand bereits eine Dolyakkutsche vor der dunkelbraunen Pforte des Hauses und wurde beladen Reisetruhe um Reisetruhe, dem ein oder anderen Koffer, Bücherkisten und Stücken der eigenen Sammlung, an denen er sich gern weiter Tag um Tag erfreuen wollte.
Ein solches Sammlerstück ist sie selbst, sie gehört nicht zu den weiß abgedeckten Dingen des Hauses, sondern zu jenen, die verladen werden wollten. Nein, die verladen werden sollten. Denn ihr Wille war es nicht, ihr Wille fußte nicht darin, dass man ihre Kleidung verräumte und ihre Zimmer mit seiner Habe darin ebenso abdeckt. Dennoch kleidet sie sich für den Aufbruch, dennoch müht sie sich zu lächeln in Gesichter, die doch allesamt schon ihre Schreie, mal lauter, mal leiser hörten. Die wussten, wer und was sie war und ihre Mienen in Mitleid und Abscheu tauchten, je nachdem in welches Gesicht sie sah. Die jungen Bediensteten verabscheuten ihre Schwäche, die alten bemitleideten das hübsche, arme Kind in auswegloser Lage und verstanden diese, wo andere es nicht wollten, nicht konnten.
Das Klackern der beschlagenen Hufe kündigte leichtere, feinere Tiere an und sie selbst schob mit Fingerspitzen den Vorhang zurück um zu besehen, welche Kutsche, welche Pferde sie diesmal das erste Stück begleiten würden. Und während sie diese besah, wart ihr klar, sie konnte keinen Bescheid mehr geben, wäre einfach fort und nur die Kinder der Straße würden wissen und verstehen. Nicht der Schriftsteller, der sie in schönster Weise auf Leinwände malte und schrieb, was sie ihm als Muse aufgegeben hatte. Was tun, wie handeln, jetzt noch? Die Abreise war niemals angekündigt, er entschied unvermittelt am Morgen, wenn er erwachte, dass es an der Zeit war. Schickte den Boten ins Anwesen im Tal, scheuchte die Bediensteten durch das Haus in Götterfels, wie es ihm in den Sinn kam. So ist es eben, wenn man Geld und Einfluss hat, niemand fragt, oder hinterfragt das eigene Tun. Man handelt und wie weise er in diesem Jahr daran tat, so bald aufzubrechen, kann der Kunsthändler nicht einmal erahnen. Keiner im Haus konnte es, noch weniger sie, die mit fliehenden Schritten, die Hände tief in den Stoff des Rockes gegraben um ihn anhebend die lange, im Ende gewundene Treppe hinauf zu rennen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, hastig nahm sie Papier und Feder, riss dafür das weiße Laken noch einmal herunter und schrieb mit aufsteigendem Kloß im Hals und Tränen in den Augen, Worte des Abschieds, der Hoffnung nicht vergessen zu werden. Ohne Gewissheit zu erhalten in den Tagen, die da kamen, in den Wochen, die sie fern des Felsens verbringen würde, in den Monaten, die Vergessen so leicht machen konnten. „Vergiss mich nicht..“ flüsterten die Lippen, küssten die gefaltete Ecke des Pergaments nach getaner Zeichensetzung darauf.
Es grollte das näselnde Herrschen die Treppe herauf, wo sie bleiben würde, er nahm die ersten zwei Stufen, brüllte ungehalten ihren Namen und sie umklammerte das gefaltete Pergament in Fingern. Das letzte Klacken des eigenen Türschlosses für lange Zeit, der erste Schritt über die knarzende, verräterische Diele im Flur, die unter weicher Webware immer darauf wartete, einen Schleicher im Haus zu enttarnen. Ihr Haar ist unter einer weiten Kapuze verborgen, die Kleidung schlicht in liebsten Farben und das Lächeln so falsch, wie die Behauptungen des alten Millers in Löwenstein. Er aber war für den Augenblick zufrieden, legte den Arm um ihre Taille, weil er es hier noch durfte und keiner sich daran stören durfte. Führte sie zur Kutsche, hob ihr die Hand entgegen um ihr über die Trittstufe in den Wagen zu helfen und dies mit gönnerhaftem Lächeln an den Lippen, die sie so sehr verabscheute. Nachdem das eigene Einstiegszeremoniell vergangen war, ist er es, der sich noch einmal abwendet und mit eigenem Schlüssel die Pforte zu seinem Haus verschließt. Drinnen ist es totenstill, kein Leben mehr, die Feuer gelöscht, die Möbel verborgen und die Fensterläden, sowie Vorhänge zugezogen. Mehrmalig in der Woche kam der Hauswart und würde nach dem Rechten dort sehen. Aber die Angestellten folgten auf die Reise oder aber genossen freie Monate, die doch gezahlt wurden. Warum er sie zahlte? So verhindert er, dass ihm jemand freigestellt davon lief. Denn zu seinem Willen zu kontrollieren, gehörte auch der Wille sich ungern an neue Begebenheiten oder Personal zu gewöhnen. Während er also die Türe abschließt, beugte sich die Elonierin aus dem Kutschfenster zu einem Straßenkind „Bring dies Ninchen, sie weiß wohin damit..“ der Bursche war bekannt, gehörte zu jenen Kindern, die ihr zuhörte am Baum im Marktviertel und nickt mit ernster Miene. Auch er weiß, wie die anderen Kinder, wie schwer der Winter auf der Straße sein konnte und wie sie weniger wurden bis zum Frühjahr. Weniger, weil mancher starb. Weniger, weil es doch Wunder gab und sie einen Platz im Waisenhaus bekamen, aus dem meist die Burschen nach wenigen Tagen wieder davonliefen. Weil Regeln für ein Straßenkind, nicht immer leicht zu ertragen sind, dass zuvor frei Schnauze agieren konnte.
Der Händler stieg in die Kutsche, zog die Vorhänge an den Fenstern dieser zu und beugte sich ihr entgegen. Noch einmal sie zu küssen für lange Zeit, noch einmal wischten seine Finger über den Stoff ihrer Kleidung ohne zu weit zu gehen, das schmierigste Lächeln seiner hob die Mundwinkel, nur um dann mit dem Gehstock wider dem Kutschendach zu pochen. Die Zügel peitschten, die Zunge des Mannes auf dem Bock schnalzte und das Wanken und Zittern verriet die Bewegung über die Pflastersteine des äußeren Rings. In einigen Stunden kamen sie am Anwesen an, dort warteten bereits zwei weitere Dolyakkutschen und eine mit Pferden vorgespannt. Ihr Begleiter tauschte den Kutschenplatz, stieg in die andere zu seiner Frau und die Kinder, die Kinder kamen zu ihr. Wie in jedem Jahr, wie in jedem Winter, war sie offiziell angestellt als Kindermädchen. Denn die alte Vettel, die es sonst tat, war zu alt für die weite Reise geworden. Ein Umstand für den 'Er' dankbar war, denn so ging ihm sein Vögelchen nicht verloren, blieb unter seinem Blick, wenn auch einzig unter diesem. Denn die kommenden Wochen waren ein Segen für die junge Frau, sie teilte das Zimmer mit den Kindern und war ihm so fern, ferner als er es eigentlich gern sah. Eine einfache Angestellte, ein Kindermädchen und ja, sie liebte seine Kinder. Jedes Jahr war sie dankbar gewesen um den Umstand der Reise, immer empfing sie die Kinder mit weitem Lächeln und in diesem Jahr war das Neugeborene hinzugekommen. Doch in diesem Jahr, sehnte sie bereits beim Verlassen der Stadt nach jener, in diesem Jahr will keine Freude aufkommen und später, später wenn die Kinder in den Schlaf geschaukelt waren, würde sie weinen.. leise... einsam... verzweifelt.
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