Lesewarnung
Vulgäre Ausdrucksweise, vereinzelte Gewaltdarstellung, frauenfeindliche und sexuell anstößige Inhalte.
Geschichte
Anmutige, scharfe Gesichtszüge, umrahmt von wallendem Haar und verlockend vollen Lippen, wurden durch weibliche Konturen des Körpers zum Bild einer wahrhaft atemberaubenden Schönheit komplettiert. Ihr Schlaf verlieh ihr etwas Mystisches, gar eine Aura der Unantastbarkeit, und hätte zweifelsohne in so manchem Betrachter einen profunden Beschützerinstinkt entfacht. Kleine Makel, wie die ungebührlich zerschlissene Garderobe und das Blut, welches ihr noch aus Mund und Nase rann, beeinträchtigten jenes erhabene Gesamtbildnis bestenfalls rudimentär. Dennoch erntete es kritische Blicke aus weichbraunen Augen, als die ersten Strahlen der Himmelsscheibe den Anbeginn eines warmen Phönixtages anpriesen. Nicht den prüfenden Augenschein eines Künstlers, der diese eigentümliche Impression bildlich festzuhalten beabsichtigte. Viel eher das Augenmerk eines Banausen, der dieses vermeintliche Resultat arbiträrer Kunstfertigkeit als eine unerwünschte Aberration der vorherrschenden Ordnung, Struktur und Normalität einschätzte.
„Achte darauf, dass morgens keine von deinen Metzen auf der Treppe liegt, wenn die Kinder aufstehen.“ Eine einfache Anweisung der Hausherrin, welche Banel bedingungslos einzuhalten gelobt hatte, nur um jetzt festzustellen, bereits nach der ersten Nacht an diesem Vorhaben gescheitert zu sein. Die Hände hinter dem Steiß zusammengelegt und lediglich mit Hose und Stiefeln bekleidet, verengten sich die Augen um eine Nuance, als das weiterhin hervorquellende Blut bemerkte. Er erinnerte sich nicht. Nicht an ihre Wunden und an kein Detail über die Schlafende, welches über rein physische Attribute hinausging. Mit ausgestreckten Armen und angewinkelten Beinen lag sie sichtlich unbequem, im Ansatz leicht verdreht auf den Treppenstufen. Banels Blick glich jenem eines delinquenten Lausbuben, dessen vermeintlich großartiger Streich vorschnell enttarnt wurde. Vielleicht genoss Banel unterschwellig das Gefühl, durch günstige Begebenheiten größenrelationärer Natur auch einmal auf jemanden herabblicken zu können. Denn er nahm die Augen nicht von der Schlafenden und regte sich nicht, bis verräterische Kinderlaute im Nebenzimmer zu vernehmen waren. Er wusste das zersplitterte Bild des Vorabends kaum mehr zu komplettieren, doch er wusste, wie diese Geschichte enden würde. Kurz wichen die weichbraunen Iriden auf Boden und Wände ab, während ihm ein zeitgleich aufkeimender Gedanke ein seichtes Lächeln auf das Gesicht zauberte. Wie schön und praktisch es doch gewesen wäre, hätte man schlichtweg jemanden im Boden oder in den Wänden versinken lassen können. Doch einen solch wünschenswerten Ausgang würde die Angelegenheit nicht haben.
Sie war tot. Zweifelsohne gab es schlimmere Schicksale. Denn nachdem Banel eine Nacht lang sein Vergnügen an ihr haben durfte, würde sie nun vor Grenth treten und ihm ausrichten können, dass sie ihren diesseitigen Nutzen voll und ganz erfüllt hatte. Vielleicht war sie durch den Konsum der Drogen verblichen, vielleicht durch den Sturz auf der Treppe oder durch einen Umstand, der im Zuge des nächtlichen Rausches für immer aus Banels Erinnerungen verbannt war. Doch als er die Schlafende mit einem erbarmungslosen Tritt auf schnellstem Wege in das untere Geschoss entsandte und sie sich weiterhin nicht regte, war er sich dieser Tatsache sicher. Bedauerlicherweise stieß auch jedwede Form der Sicherheit an ihre Grenzen und Banel hatte lange genug die Geschäfte seines Onkels unterstützt um zu wissen, dass der Beginn einer jeden Katastrophe eine beschissene Vermutung war. Kräftige Hände, welchen den Kopf der Frau ergriffen und sie von den Treppen brüsk hinfort gezerrt hatten, rissen eben diesen nun herum. Ein wenig melodisches Knacken schallte durch den Raum, das Banel auch nach sechs Jahren noch gut vertraut war ihm trotz einem Wechselbad gemischter Erinnerungen schlussendlich ein Lächeln abzuringen vermochte. Ein großer Holzschrank nahe der Eingangstür tat seinen Dienst als improvisiertes Versteck, bis er Veruca beichten würde, irgendwelchen Dreck mit ins Haus geschleppt zu haben.
Doch zunächst eilte Banel zu dem Garderobenständer und schälte sich in seinen vor Dreck starrenden Mantel. Er verschaffte sich den Schein eines Nachtschwärmers oder Frühaufstehers, der soeben erst auf Zehenspitzen heimgekehrt war, um sein eifersüchtiges Weib oder sonstige Altdrachen nicht zu wecken. Keine Sekunde zu früh, denn nur wenige Herzschläge später erblickte er mit überschwänglichem Wohlgefallen der Kinderstimmen sich vor Freude kreischend bereits auf der Treppe anbahnten. „Arbeit macht uns erfahrener“, rezitierte Banel in Gedanken, während er das erste Mal seinen Neffen Viorel manisch lachend in die Arme schloss und gedanklich die Weitsicht von Nicolae lobte, welch Balsam die Kunst der Verdrängung für das eigene Gewissen war.
Löwenstein hatte sich in der Tat als gänzlich anderes Pflaster denn Götterfels erwiesen. In der krytanischen Hauptstadt, hatte sich seine Familie inmitten des elonischen Pöbels niedergelassen. Ein Haufen absonderlicher Aussätziger, doch wenigstens waren sie menschlich. Hingegen erschien die Anwesenheit von Fremdrassen an der Prachtvollen Piazza – und mutmaßlich in jedem noch so dreckigen Loch dieser Stadt – wie eine schon wahnhaft akzentuierte Selbstverständlichkeit. Omnipräsent und offensichtlich wurden die facettenreichen Aspekte ihrer ekelerregenden Andersartigkeit zur Schau gestellt, als seien diese eine Selektion exotischer wie ungenießbarer Waren auf einem Gemüsemarkt. Sylvari schlugen keine Wurzeln, sondern schlenderten unbeirrt durch die Straßen, weswegen sie sich einbildeten, berechtigt und befähigt zu sein, mit den Menschen auf Augenhöhe kommunizieren zu können. Dann diese allgegenwärtig schlappohrigen Ratten und ihr vollständig missverständliches Geschwafel. Der bloße Gedanke an die ein oder andere Begegnung verleitete Banel zu vehementem Kopfschütteln. Nutzten diese widerwärtigen Viecher ihre narzisstische Eloquenz als Masturbationsvorlage, oder warum war es ihnen ein verständliches Common ein Ding der Unmöglichkeit? Von den Charr braucht man gar nicht erst anzufangen. Religion und die Sechse interessierten den Iorga so sehr wie entkleidete Vertreter des eigenen Geschlechts. Folgerichtig ging auch sein theologisches Wissen kaum über die Namen der Götter und ihrer kosmologischen Domänen hinaus. Nichtsdestotrotz wusste er eine Sache ganz genau. Die Fremdrassen waren nicht das Ergebnis von Dwaynas schöpferischer Kraft, sondern bestenfalls jenes ihrer verrichteten Notdurft.
Doch das Übel war mit dem transzendenten Stuhlgang nicht zu Ende gekommen. Vielmehr diente er als anfängliches Kettenglied einer Verzahnung von metaphorischen Exkrementen im Zeitstrahl der Geschichte. Dung musste laut Banels Überzeugung differenziert werden. Die Ausscheidungen eines Dolyaks konnte man immerhin als Düngemittel nutzen, doch mit einem verdammten Asura konnte man nicht einmal das. Doch das war ja nicht einmal das Schlimmste. Ein einfacher Spaziergang vom Händlerforum bis zum Sanctum-Hafen, welcher Banel wie der Gang durch eine Wandermenagerie voller Missgebildeter erschienen war, hatte das offensichtlich gemacht. Zweifelsohne gab es Spuren von Normalität und Vernunft. Wie es sich gehörte, boten männliche Kaufleute boten ihre Waren feil und ihre weiblichen Pendants sich selbst, stets voller Hoffnung, einstmals die Ehre der Zeugung eines männlichen Nachkommens erfahren zu dürfen. Doch derartige Aspekten vermochten das kranke Gesamtbild nicht zu kurieren, welches sich aus der Koexistenz aller möglichen Rassen auf engstem Raum. Ein wild zusammengemischter Haufen aus rauflustigen Norn, Charr und einem dämlichen Sylvari, mischte während Banels Spaziergang streitende Händler auf und entpuppte sich postwendend als Patrouille der Löwengarde. Während der Iorga den Charr eine gewisse Eignung für derartige Professionen nicht abzusprechen vermochte, konnte er bei dem Gedanken an asurische Löwengardisten nur betont manisch auflachen. Wenn ihn so ein kleingewachsenes Ungeziefer einmal wegen einer Nichtigkeit belangen sollte – so nahm Banel es sich felsenfest vor – würde er es mit einem beherzten Tritt über das Hafenbecken gen Horizont schicken, weil er sich ständig fragte, ob ein Asura mehrmals bogenförmig über die Wasseroberfläche sprang, wie ein schwungvoll geworfener Kieselstein.
Ganz gleich wie man es auch drehte, das überwältigende Negativbild Banels vermochte sich nicht zu ändern. Nach Dwaynas Verfehlung hatten offenkundig alle Fremdrassen und bedauerlicherweise auch Vertreter seiner Art – bestimmt wieder irgendwelche chronisch unbefriedigten Frauenzimmer – einen gemeinschaftlichen Gang zum Abort unternommen, um Löwenstein aus der Taufe zu heben. Kurzum war die ganze Stadt nicht mehr als das Ergebnis eines interkulturellen Stuhlgangs. Der einzige Lichtblick waren die hiesigen Verwandten, auf welche sich Banel aufrichtig gefreut hatte.
Adrian hatte bei dem Besuch seines Vetters große Augen gemacht, was weniger einer Überraschung, sondern eher dem natürlichen Blick seiner gigantischen Froschglubscher geschuldet war. Wenngleich sie sich jahrelang nicht begegnet waren, hatte Banel ihn dank ebendiesem Stigmata sogleich wiedererkannt. Sein älterer Cousin hatte sich wahrlich gemacht. Er besaß nicht nur seine eigene Manufaktur und war zeitweilig Ratsherr in Götterfels gewesen, sondern verstand sich gar auf die Kunst, sich vernünftig mit wertlosem Abfall unterhalten zu können. Gemeint war selbstredend nicht Banel, sondern der asurische Smutje, welcher den Iorgas seinen widerwärtigen Schokoladenkuchen höchstpersönlich hatte andrehen wollen. Adrian hatte die Situation verbal entschärft, sodass Banel seine Gewaltphantasien nicht ausleben musste und eine überglücklich wirkende Veruca dadurch eine dreifache Portion Schokoladenkuchen hatte genießen dürfen, der ausgesehen hatte, wie nasskalter Bauchfluss.
Der kleingewachsene Blondschopf hatte lange darüber gerätselt, ob seine Cousine alles derart gierig und zungenfertig in den Mund nahm wie diese fragwürdige Delikatesse. In jedem Fall schien er den Umstand kurz zu bedauern, dass ihr gemeinsamer Familienname nicht Di Saverio war. Jedoch wirklich nur äußerst kurz. Denn der bloße Gedanke daran, welch überdimensionale, starrende Augen etwaiger Nachwuchs von Adrian und Ilie besitzen würde, löste in Banel eine eigentümliche Mischung aus Abscheu und lausbübischer Schadenfreude aus. Vielleicht entfiel ihm in diesem kurzen Moment der niederträchtigen Glückseligkeit gar das kleine, wenngleich bestimmende Detail, dass die beiden zusammen gar keine Kinder hätten zeugen können. Nicolaes Kinder hatten Banel in jedem Fall ihr Gehör geschenkt, versprachen sein Anliegen bei dem alten Herren vorzutragen und ihren Cousin gleichzeitig vor Xenias überzogener – an homizidale Machenschaften grenzenden – Fürsorge zu bewahren. Es war erbaulich zu wissen, dass sich manche Dinge nie änderten, sondern konstante Größen im Leben blieben. Wenngleich es zumeist nebensächliche, oder – wie im Falle der lieben Tante – schwer zu ertragende Konstanten waren. Eine solche Konstante bildete auch das Auftauchen von Dima. Augenfällig hatte er zwar eine ähnliche physische Wandlung durchlaufen, wie einst Kolja-Klops, doch deswegen nicht im Mindesten interessanter oder beeindruckender geworden war. Denn damals wie heute war er nur damit beschäftigt gewesen, sich in Banels und Narcis' Hintern zu verbeißen wie eine Zecke. Er war so etwas wie ein Bruder, den Banel niemals gewollt hatte, doch beim besten Willen nicht loswurde. Immerhin hatte Dima dieses mal einen guten Grund in Form eines gewichtigen Geldsäckels bei sich gehabt, sodass er selbst Banel willkommen war. Zumindest die wenigen Minuten bis zur Übergabe des Geldes. Denn kurz darauf begann ihn der Iorga nach allen Regeln der Kunst konsequent mit einer Wutrede zu beleidigen, die eigentlich Eugen-Paul galt, weil dieser einen Dämlack wie Dima derart viel Geld – Banels Geld – anvertraut hatte.
Doch jeder Narr hatte seinen Nutzen. Dima hatte sich schlussendlich mehr als bereits gezeigt, Banel zur Siedlung Ascalon zu begleiten, um sich mit Eugen-Paul zu treffen. Eine Zusammenkunft, der man angesichts ihres ungewissen Ausgangs durchaus mit gemischten Gefühlen begegnen konnte. Doch anfänglich überwog bei Banel die Wiedersehensfreude, wie bisher bei jedem noch so schwarzen Schaf der Familie. Eugen-Paul bewohnte eine ansehnliche Residenz mit exquisitem Interieur und unterhielt mehrere Bedienstete. Die Geschäfte florierten regelrecht. Dennoch hing über all dem das Damoklesschwert der Leere und Einsamkeit. Von einstmals fünf Kindern und seiner Ehefrau war seinem Onkel niemand in unmittelbarer Nähe verblieben. Eugen-Paul selbst wirkte gealtert. Banel erinnerte sich nicht an jenes grau melierte Haar, die tieferen Furchen in den Augenwinkel, das hager wirkende Gesicht und den – trotz sichtbarem Wohlstand – abgemagerten Körper. Edles Duftwasser, eine kostspielige Garderobe und das offenkundig süße Leben konnten Banel den Blick auf die unterschwellig nuancierte Verbitterung seines Onkels nicht verwehren, wenngleich ihm das selbst nicht vollkommen klar wurde. Eugen-Paul zeigte sich nichtsdestotrotz gönnerhaft und bereitete ein ansehnliches Abendmahl für sich und seinen Neffen vor, war höflich genug, seine Schwester Anya nicht zu erwähnen und weckte in Banel gar kurzzeitig eine nostalgische Wärme, da er ihn noch immer beim zweiten Vornamen ansprach. Das Essen und einen guten Branntwein von der Nebo-Terrasse, konnte man sich ebenfalls gut schmecken lassen.
„Wie gefällt Dir das Leben in Götterfels, Constantin?“
Mit vollem Munde verspürte Banel angesichts dieser Frage den drängenden Impuls, laut schallend aufzulachen und dem Gabentisch sein Abendmahl in mannigfacher Form zurückzugeben. Doch trotz des Risikos einer mutmaßlich lebensbedrohlichen Aspiration, unterdrückte er es. „Mein sechsjähriges Quartier hatte seinen Charme... Von dem Rest bin ich nicht beeindruckt. Wusstest Du...“, ein hechelndes Kichern machte sich bemerkbar, „...dass diese Scheißstadt für das Volk als Symbol von Hoffnung und Standhaftigkeit steht? Weil sie diesem ganzen Dreck wie Zentauren, Banditen und dem weißen Mantel getrotzt hat? Dabei haben aber scheinbar alle vergessen, dass die Wurzel des Übels direkt in Götterfels selbst ist. Königin Jenna. Ein ordinäres Frauenzimmer an der politischen Spitze. Dies kann nur bedeuten, dass der sogenannte Herrscher seine Entscheidungen irgendwo zwischen der Ebbe und Flut der Blutungen trifft.“ Das Lachen konnte kaum noch zurückgehalten werden. „Eine Königin, ein elonisches Viertel, ein Portal durch das der Löwensteiner Abfall ungehindert in die Stadt kommt... Wenn dies als Maßstab für Hoffnung und Güte gilt, ist es ja kein Wunder, dass diese krytanischen Schwuchteln am Arsch sind.“
Eugen-Pauls Blicke nahmen eine eisige Note an und bewirken es gar, dass sich Banels manische Stimmung kurzerhand in Unsicherheit verwandelten. Florim hatte derartige Blicke in seiner Jugend mutmaßlich öfter zu Gesicht bekommen und hernach wohl nicht selten auch den Gürtel spüren dürfen. Wenngleich Banel der Gürtel erspart blieb, konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Eugen-Paul seinem eigenen Vater im höheren Alter ähnlicher geworden war. Vielleicht hatte sein Onkel auch alles, was er jemals an Güte und Gnade besessen hatte, maßlos über seinem jüngsten Sohn ausgeschüttet, wie Banel allabendlich seine weiße sauce banellaise über irgendeiner billigen Tavernenhure. „Sprich von derartigem Schmutz nicht in meinem Haus.“ Eugen-Paul sprach mit einer wahrhaft beeindruckenden Selbstbeherrschung im Unterton, wenngleich die implizite Warnung in seinen Worten unverkennbar bar. „Was mich wesentlich mehr interessiert ist die Frage, wann Du wieder in das Geschäft einsteigst.“
Das seltene Gefühl eines authentischen Unbehagens keimte in Banel auf. Denn er wusste, ganz gleich wie wortgewandt er diese Angelegenheit auch eingeleitet hätte, das Resultat wäre identisch gewesen. Während Adrian und Veruca sein Anliegen an Nicolae delegierten, so wünschte Banel sich in diesem Moment, Trajan hätte das Gleiche bei seinem Vater tun können. Doch mit bloßem Wunschdenken war niemandem geholfen. Also fasst sich der jüngere Iorga ein Herz und weihte seinen Onkel und einstigen Gönner in die Angelegenheit. Eugen-Paul mochte über die Jahre verlernt haben, zwischen Familie und Geschäft zu differenzieren, beziehungsweise, dem Geschäft eine wesentlich bedeutsamere Rolle einräumte. Denn binnen weniger Herzschläge war dessen bis dahin vorherrschende Freundlichkeit versiegt.
„Du willst meinen Geschäften also den Rücken kehren?“
„Ja.“ Banel verschwendete seinen Atem nicht für Ausflüchte oder Euphemismen, sondern servierte die Fakten, wie die Bedienstete es soeben mit dem Nachtisch getan hatte. „Aus den Gründen, mit denen ich Adya und Vera überzeugt habe und die ich auch Benjin und Elisei erzählen werde, wenn sie nicht direkt zustimmen.“
Eugen-Paul gab sich geschäftsmäßig, als er sich mit erhobenem Weinglas zurücklehnte und mit der freien Hand eine wegwischende Geste vollführte. „Ich habe dich verstanden Constanin. Nur hoffe ich doch sehr, dass Du nicht vergessen hast, unter welchen Umständen ich dich und deinen Bruder einst in meine Geschäfte eingebunden habe und ferner verstehst, dass Du dich insbesondere durch die letzten sechs Jahre als unentbehrlich erwiesen hast.“ Banel presste die Lippen aufeinander. Von der zwischenzeitlichen Manie waren nicht einmal winzige Residuen vorhanden. „Hab' ich nicht vergessen, nein. Ich wäre aber jetzt nicht hier, wenn ich nicht ganz sicher wäre, dass meine Entscheidung die Richtige ist. So sehr, dass ich Dir auch eine Gabe machen würde, wenn Du das willst.“
Die eisigen Blicke setzten wieder ein, doch verfehlten dieses mal ihre Wirkung, weil Banel auf diese vorbereitet gewesen war. Doch nach längerer Diskussion regte sich zögerliche Zustimmung in Eugen-Pauls Haltung und er schenkte seinem Neffen persönlich nach. „Wenn Du in Götterfels zur Verwirklichung deiner... Idee bleiben möchtest, gestatte ich es Dir. Unter der Voraussetzung natürlich, dass von den genannten Familienmitgliedern niemand Einwände erhebt. Meine Vorbehalte hast Du vernommen. Zehn Prozent meiner Auszahlung werde ich von Dir zurücknehmen und sie für dich verwahren. Denn solltest Du einstmals den Wunsch hegen, wieder in meine Geschäfte einzusteigen, bist Du mir willkommen.“
Banel nickte zustimmend und beide erhoben simultan ihre Gläser, um diese Absprache gebührend zu begießen. „Entrichte deinem Bruder meine Grüße und teile ihm mit, dass ich ihn zu sprechen wünsche.“
Nach Beendigung des geschäftsmäßigen Teils blieb Raum für persönlichere Gespräche, doch drängte sich Banel das Gefühl auf, dass Eugen-Paul an derartigen Unterhaltungen kein wirkliches Interesse mehr zeigte. Außer seinen Geschäften schien es für den gealterten Herren wahrlich nicht mehr viel zu geben, dass ihn am Leben hielt. Wo er Geldmittel im Überfluss zu besitzen schien, waren andere Bereiche des Lebens sichtlich verwaist worden. Daran änderten auch Banel anzügliche Witze nichts, die sein Onkel mit steigendem Alkohol im Blut eher zu tolerieren bereit war, doch erstaunlicherweise nicht darüber lachen konnte.
„Arbeit macht uns erfahrener.“ Abermals hallten diese Worte im Kopf des jüngeren Iorgas wieder, während er durch seinen Besuch – vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben – den Gedanken zuließ, dass jenes Credo auch seine Schatten auf einen Menschen zu werfen mochte. Eugen-Paul lebte durch Verdrängung und Wohlstand den Traum des süßen gendarranischen Lebens. Doch dieser war keine Panazee. Denn ein jeder Traum vermochte in einen Alptraum umzuschlagen.
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