Lesewarnung
Vulgäre Ausdrucksweise, vereinzelte Gewaltdarstellung, frauenfeindliche und sexuell anstößige Inhalte.
Geschichte
Es gab keinen Himmel über Triskellion. Nicht in jener Nacht und nicht für jenen armen Tropf, der in einem Akt von Verzweiflung und trügerischer Hoffnung, einen letzten Fluchtversuch unternommen hatte. Ein an Händen und Füßen gefesselter Narr, der sich seinem wenig glücklichen Schicksal als Handelsware nicht fügen wollte und nun nahe der Kaimauer gestürzt war. Bedauerlicherweise drohten seine heiseren Schreie, die Anwohner aus ihren Betten zu zerren. Banel hatte einen Fehler gemacht. Er hatte diesen labil wirkenden Bastard, zu Gunsten einer genaueren Betrachtung der weiblichen Warenstücke, länger als zulässig aus den Augen gelassen. Auf jede Entscheidung folgte eine Konsequenz, so wie auf jedes Handelsgeschäft eine Quittung folgte. Banel würde die Seine zu späterer Stunde erhalten. Dieser flüchtende Unglücksrabe, dem der Iorga erfolgreich nachgesetzt hatte, binnen weniger Minuten.
Der Fliehende hatte sein Geheul nicht eingestellt, bis Banel ihm mit derartiger Gewalt in die Rippen getreten hatte, dass es keine Alternative zum Verstummen gab. Ein Verstummen auf Ewigkeit. Es war ein Verlustgeschäft, einem kräftigen und handwerklich begabten Burschen, hier die letzten Augenblicke seines Lebens zu bescheren. Doch alles andere war nunmehr ein unzumutbares Risiko geworden. Der arme Tropf hatte sich diese Dummheit selbst zuzuschreiben. Banel war sich nur zu bewusst gewesen, dass es hier – so nahe bei schaulustigen Anwohnern – nur ein Ende dieser kurzen Jagd geben konnte. „Arbeit macht uns erfahrener“, hatte Nicolae einst gesagt.
Der Alte hatte Recht behalten. Denn dem Iorga, dessen Gesicht vor akuter Grausamkeit und Gewaltlust verzerrt war, war diese Situation sicherlich kein Neuland. Mit einem stetig leiser werdenden Wimmern und erschlaffendem Atem, war dem Unglücksraben schlussendlich das Leben aus dem Körper gewichen, als Banel ihn kontrolliert und erbarmungslos erwürgt hatte. Die kurz darauf entfernten Eisenfesseln, ließen am nächsten Morgen nur darauf schließen, dass irgendein Nachtschwärmer im Vollrausch über die Kaimauer gestürzt und dabei jämmerlich ertrunken war. Das passierte eben. Wen hätte es auch kümmern sollen, das im Hafenbecken ein Wildfremder mit den Fischen umher dümpelte? Niemanden außer den Käufer, doch er hatte Banel schlussendlich eine entsprechende Quittung ausgestellt, welche den Iorga um eine Narbe und eine Erfahrung bereichert hatte. „Arbeit macht uns erfahrener“, hatte er tags darauf vor Narcis rezitiert.
Das Leben war derart einfach gewesen. Zumindest, wenn man das eigene Handeln vor sich selbst verantworten konnte und nicht nur auf die Schattenseiten des Geschäfts zu blicken gelernt hatte. Ein Verständnis für die Ware, ihrer Beschaffung und notwendigen Disziplinierung, hatte Banel schnell verinnerlicht. Ein idealtypisches Lernen durch Handeln. Fremde, Flüchtlinge, Gossenvolk und sonstiger Abschaum hatten sich seit jeher als eine wahre Goldgrube erwiesen. Denn es gab sie überall und sie waren unerschöpflich. Keine Seele war über deren Verschwinden pikiert. Ähnlich einem Obstbaum im großen Garten, den es zu finden und regelmäßig abzuernten galt, wenn der Fluss der Zeit ihn wieder Früchte tragen ließ. Unliebsame Zwischenfälle welche in Verlusten und Warendefiziten resultierten, waren in jenen Tagen eben ein elementarer Bestandteil des Geschäfts gewesen. Ein einfaches Leben mit einer einfachen Arbeit. Wenn man sich dies lange genug einredete und irgendwann wirklich daran zu glauben begann, man seine Alpträume und quälende Gewissensbisse endlich hinter sich gelassen hatte, dann stand einer in den Farben des Geldes ausgemalten Zukunft, praktisch nichts mehr Wege.
Praktisch. Denn der Zufall war stets eine kritische Variable in jeder geschäftlichen Kalkulation gewesen. Anstelle der vereinnahmenden Gewalt, welche Mord und Menschenhandel über den längeren Zeitraum mit sich gebracht hatte, war es schlussendlich eine aufgegriffene Lieferung mit Schmuggelwaren gewesen, welche das goldene Kartenhaus hatte einstürzen lassen. Möglicherweise war es ein äußerst ironischer Zufall, bedachte man den Umstand, dass er sich unmittelbar nach Banels achtzehntem Geburtstag ereignete. Sein Geschenk waren nicht nur eine sechsjährig andauernde Festlichkeit in einem dafür vorhergesehenen Etablissément, sondern auch ein Erfahrungsschatz gewesen, den man durch das Prinzip des Rollentausches langsam aber sicher hatte abzählen können. Narcis' jüngerer Bruder hatte sich in seiner bisherigen Tätigkeit auf die Verwirklichung seiner Talente beschränkt – die Ware zu disziplinieren, indem man sie zur Sau machte und bei Bedarf der schlimmsten Gewalt aussetzte. Nun hatte er die Gelegenheit erhalten, ein ganzes Viertel seiner bisherigen Lebenszeit lang zu erleben, wie die Seraphen ihn und seinen Bruder zur Sau zu machen gedachten. Und einige dieser Dosen, dieser Tatsache war er sich bereits zu Beginn der Festlichkeit sicher gewesen, hätten das auch ohne Sold getan. Ein unvergesslicher, achtzehnter Geburtstag.
Die Art der Festlichkeit ließ natürlich zu wünschen übrig. Anstelle von Torten und Getränken, hatten ausschließlich einfallsreiche Demütigungen und endlose Schikane auf dem Speiseplan gestanden. Allein der Familienname hatte den Brüdern eine wenig leidliche Sonderstellung eingebracht. Kein Gesang und kein Tanz, nur sadistischer Drill und viele weitere Narben, die nie ganz verheilen würden. Man lernte, keine Schwäche und keine Angst zu zeigen und verlernte zeitgleich vollends, sich selbst gegenüber aufrichtig und ehrlich zu bleiben. Nicht einmal hinreichend unanständige Frauen gab es – was für eine beschissene Geburtstagsfeier. Frauen waren dem flüchtigen Wesen vom Blumen ohnehin nicht unähnlich. Hübsch anzusehen für Banels persönliches Vergnügen, doch sie hielten nicht lange. Lediglich eine Blume lag ihm am Herzen. Sie begleitete ihn über die Jahre hinweg, gab ihm Halt und gemahnte ihn, nicht ein einziges mal auf einen plumpen Kuhandel einzugehen. Auch Banel achtete darauf, dass sein Bruder über die Jahre hinweg nicht von einer Narzisse zu einer Pissnelke degenerierte. Trotz aller brüderlichen Häme und Spaßkämpfe, liebte er Narcis dazu viel zu sehr.
Eine vielleicht kleine und gleichzeitig doch illusorische Freude, war der gelegentliche Anblick weiblicher Seraphen. Gefängnisse waren für die metallenen Metzen sicher eine feine Sache. Frauen fehlte nun einmal das grundlegende Vermögen, rational zu denken und zu handeln. Alles was sie taten, geschah lediglich auf rein emotionaler Ebene. Zwecks dieser Wahrheit, hatte Banel in einem exorbitant langwierigen Prozess, die Bedeutung beider Wörter auswendig gelernt. Frauen wählten sich den Mann an ihrer Seite daher folglich nicht auf Basis von Gesellschaftskriterien, Geldmitteln oder Bildungsstandards. Banel wusste das ganz genau. Denn wie viele flatterhaften Jungfern hatten ihn schon ehelichen wollen, nachdem er ihnen den Orgasmus ihres Lebens verschafft hatte? Unzählige. Zumindest mehr, als er zählen konnte.
Wenn jedoch nun einige dieser Huren das Pech hatten, Banel erst im Dasein eines alten Eisens über den Weg zu laufen, war die Frustration das bestimmende Merkmal in ihrer Emotionalität – und damit Weiblichkeit – geworden. Sie waren sich bewusst, dass sie sich einst vor Grenth verantworten mussten, warum sie verdammt nochmal als Jungfrau gestorben waren. Der Eisige Prinz würde ihre hanebüchenen Erklärungen wenig aufmerksam verfolgen, ihnen den göttlichen Mittelfinger zeigen und somit klar machen, dass sie 'hier' auf keinen Fall hereinkämen. Und wenn das banellose Leben für diese Weibsen eben nichts als Frustration bedeutete, konnten sie auch eben so gut Seraphinnen werden. Welch Verwirklichung ihrer Weiblichkeit.
Immerhin – wenn man Männer lange genug auf Abstinenz hielt, so senkten sich sukzessive die Ansprüche und Erwartungshaltungen. Wenn dann selbst Narcis beim Anblick eines solch toten Fleischstücks, vielleicht mit Klein-Banel zu spielen begann, gewährte dass den metallenen Metzen schlussendlich doch noch ein Fragment ihrer lang ersehnten Befriedigung. Hernach konnten sie ja in aller Ruhe abkratzen. Leider war sich Banel ziemlich sicher, dass sein Bruder ihnen den Gefallen nicht getan hatte. Der Jüngere hingegen schon, denn er verspürte Mitleid und betrieb daher diese Resteverwertung. Engelsgleich war er in seiner Güte und Großzügigkeit, lediglich eine ensprechend weiße Kleidung fehlte ihm.
„Banel Constantin Iorga.“ Doch jedes Spiel und selbst die schönste Geburtstagsfestlichkeit fanden einst ihr Ende. Der Seraph, der ihn und Narcis über Jahre hinweg damit aufgezogen hatte, beide gefasst zu haben, schob sich zum tränenreichen Abschied dicht an Banels Ohr. „Du bekommst noch eine Gelegenheit. Mein Rat - versau' es nicht gleich wieder.“ Mit seiner persönlichen Anrede und mit seiner völlig ungewöhnlichen Betonung, klang er zwar erschreckend ernst. Doch weil es die identischen Worte waren, welche Narcis nur Sekunden zuvor hatte vernehmen dürfen, konnte Banel diese Monotonie nur mit einer schmierenkomödiantischen Verbeugung absegnen.
Freiheit erwies sich als das größte Übel auf Tyrias Antlitz. Banel war nie dafür bekannt gewesen, seinen Tagesablauf zur Verwirklichung nicht vorhandener Interessen zu nutzen. Doch nach einer sechsjährigen Geburtstagsfeier – zu welcher er auf Kommando hatte sprechen, essen, schlafen und pinkeln sollen, welche keine Minute Intimität ohne Aufsicht und Regulierung zulassen hatte – fühlte er sich wie eine Kuh. Eine Kuh, welche von der abgeriegelten Weide die Freiheit des Waldes entlassen worden war und schlechterdings nicht wusste, gegen welchen Baum sie zuerst rennen sollte.
Eine Zeit lang schien es ihn sogar zu amüsieren, den langjährig unterdrückten Trieben freien Lauf zu lassen. Er schien wirklich zu glauben, die Freiheit sei vielleicht doch das Paradies auf Erden und Götterfels wäre die dazugehörige Spielwiese. Frauen, die man wie Obst pflücken konnte, wucherten regelrecht. Es gab mehr Alkohol, als Banel zu saufen vermochte und mehr Schlägereien, als man an einem Abend eigentlich haben wollte. Doch das wurde alsbald zur Routine und der Iorga verlor rasch den Überblick über die Scheißkerle, die ihn bereits umlegen wollten sowie die Weibsen, die ihn zu ehelichen und zu ändern gedachten. Die Ironie der Situation hätte ihn erheitern können, wäre das alles nur nicht so beschissen. Er konnte nicht einmal erklären, warum das alles so beschissen war. Er wusste es einfach.
Im Gefängnis hatte er sich unter den Seraphen einen Namen gemacht, neben dem, den er dank seiner Familie ohnehin besessen hatte. Er war für seine proletenhaften Aktionen respektiert worden, hatte gar eine Dose um ihre Zähne erleichtert und seine Zellennachbarn mit der Fähigkeit beeindruckt, irgendwelche armen Schweine auf facettenreichste und eloquenteste Weise als Schwuchtel zu beleidigen. Jenseits dieser Mauern war er vergessen worden, konnte keinerlei Sinnhaftigkeit und Struktur mehr im Alltag entdecken. Narcis gab sein Geld lieber für Leibchen als für Frauen aus, doch Banel kannte ihn zu gut, um nicht zu merken, dass es seinem Bruder ähnlich ging. Doch bei aller Empathie hatte der Jüngere dem Älteren eine wichtige Sache voraus und in einem seltenen Moment der Helligkeit und Nüchternheit, machte er von diesem Vorteil Gebrauch. Er entwickelte eine vollkommen bescheuerte Idee und kam nicht mehr davon ab. Damit war nicht gemeint, dass er den Einfall hatte, in Helenas Laden einzubrechen, um sich dort die Kante zu geben – auf diese Idee kam er natürlich auch, doch das war nebensächlich – sondern eher, dass er sich auf sein Geburtstagsgeschenk zurück zu besinnen. Mit anderen Worten, das Prinzip des Rollentausches auf eine höhere Ebene zu verlagern.
Er wusste wie man Lustknaben ihr eigenes Wesen demonstrierte, wie man Leute verprügelte und zur Sau machte, wie man krumme Dinger abzog und hatte genug Zeit gehabt um faktisch alles über diese verdammten Seraphen zu erlernen. Die Kunst bestand darin, seine Talente mit dem Gesetz zu vereinbaren und dafür auch noch von den bescheuerten Obrigkeiten bezahlt zu werden. Ein eher halbherziges Treffen mit einer Dame in Weiß, die sich wohl für einen Engel hielt, bestärkte ihn wider Erwarten und (un-)günstigerweise in seiner dämlichen Idee. Es war doch so... die Farbe hatte sie ausschließlich gewählt, damit man darauf nicht die weißen Flecken wiederfand, die Banel dort freundlicherweise irgendwann hinterlassen würde. Dabei missverstand er, dass es manchmal – manchmal! – nicht das Gleiche war, das Wesen einer Frau vollends zu durchschauen und sich in der Phantasie genauestens auszumalen, wie es wohl wäre, sie zu nehmen, wie der Hund die Hündin. Doch das war an diesem Abend nicht einmal die Hauptsache gewesen... zumindest von dem, was Banel noch wusste. Denn hernach hatte er die Festigung seiner Idee irgendwo über den Durst begossen und seine Erinnerungen im Detail eingebüßt.
Möglicherweise lieferte der Morgen danach das letzte Quäntchen an notwendiger Motivation, seine Idee auch wirklich bei Adrian und Veruca vorzutragen. Er fand sich am Rand des rurikstädter Brunnens wieder. Es war niemals Banels ursprüngliche Absicht gewesen, als der Mann in die Geschichte einzugehen, der innerhalb weniger Tage mindestens einmal in jeden verdammten Brunnen dieser Stadt gefallen war. Wenngleich seine rechnerischen Fähigkeiten kaum über die elementarste Mathematik hinausgingen, war er sich dennoch sicher, dass es wahrscheinlicher wurde, irgendwann endgültig in einem Brunnen zu ersaufen, je öfter er in einen hineinfiel. Im Prinzip verhielt es sich wie bei irgendwelchen Kneipenschlägereien – je öfter man sich darin rund machen ließ, desto größer war die Chance, dass man eines Tages auch einmal als Sieger den Ring verließ... Oder? Was auch immer.
Doch war Banel, den Sechsen sei Dank, am heutigen Tage ausnahmsweise einmal jenseits des Wassers und mit einigermaßen trockener Weste erwacht. Sein Schädel bebte wie eine Stampede Dolyaks auf der Flucht vor der nahenden Kastration. Während die weichbraunen Augen von zittrigen Fingern durchgeknetet wurden und sich der hohe Grad an Restalkohol bemerkbar machte, erhob sich der Kleine mit einiger Anstrengung und reckte sich verkrampft. Die Erinnerungsfetzen in seinen Gedanken ergaben weiterhin kein einheitliches Bild. Eine weitere Nacht unter freien Himmel ging also zu Ende – was auch immer genau da geschehen sein mochte – und wenn er sich sowieso an einem Brunnen befand, warum hätte er diese günstige Gelegenheit nicht zur Katzenwäsche und zur dringlichen Entleerung der Blase nutzen sollen?
Während er beides simultan zu verrichten begann und sich dabei quälend langsam bewegte, nahm er aus dem Augenwinkel die starrenden Blicke von Fremden wahr. Bei den Frauen was dies ja nun wirklich nichts besonders. Ein jedes dieser zur Vernunft unfähigen Lustobjekte, verzehrte sich schließlich danach, sich am vollkommenen Anblick von Banels Männlichkeit zu aalen. Doch nach weiteren Augenblicken wurde deutlich, dass ihn nicht nur die Frauen entgeistert anstarrten, sondern auch die Männer. Und die Kinder. Sogar eine schlappohrige Asuraratte, die zufällig des Weges kam, hielt inne und schloss sich den Schaulustigen mit verschränkten Armen an. Banel kicherte hechelnd über den vermeintlichen Neid und die vermeintliche Wonne, die seine Erscheinung bei all diesen Lappen auslösen musste.
Doch nach einiger Zeit wurde ihm bewusst, dass dieses unablässige Starren vielleicht andere Ursachen haben mochte. Denn rückblickend betrachtet war es vielleicht keine Spitzenidee gewesen, die Waschung und Miktion zeitgleich zu verrichten. Insbesondere nicht, wenn es sich um die gleiche Wasserquelle handelte. Doch als der Iorga an sich hinunter saß, schlug die Erkenntnis ein wie der Blitz. Mit einem mal und zumindest kurzzeitig vollkommen nüchtern, verzerrte sein Antlitz zu einer erbosten Fratze und bemerkte, warum ihm die Entleerung bisher so leicht gefallen war.
„So eine Scheiße...“, leitete er einen regelrechten Schwall an exotischen Flüchen ein, welche das Starren der Schaulustigen intensivierte, „...wo ist denn meine verdammte Hose?“
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