Tractatus Höggeri Speckfaustus V

Tractaus Höggeri Speckfaustus V


Alte Spuren im Sand.
Als der Wind ging,


verschwand das Rauschen


und fing
den Verstand.



Wo Stille im Stande zu allem war,
war Stillstand
zu allem verdammt.


Die feuchte, drückende Luft ließ jeden Atemzug zu einem Ertrinken werden. Der unstete Wind brachte nichts außer Hitze und dem fahlen Geruch faulender Algen. Zerbrochene Muscheln lagen wie Scherben im groben Sand. Treibholz griff nach jedem unvorsichtigen Schritt und die Luft zitterte unter dem Schwirren der Mücken. Der Ozean zischte scharf und wütend zwischen den Felsen hindurch die nur wenige Schritte entfernt vom Strand aus dem Grau ragten. Die Sonne brannte heiß und erbarmungslos und Staub tünchte alles in ein trübes, diffuses Gelb in dem die Schatten mehr verrieten als das Licht.
Högger Speckfaust schwitzte und keuchte, seine Füße schmerzten und hinterließen blutige Spuren. Die speckigen Falten des Riesen, sein Nacken, sein Wanst, seine Schenkel, sie waren rot und nass. Der Sand fand seinen Weg, und wo er war, war er wie Schleifpapier. Mosquitos fraßen sich an seinem aufgedunsenen Leib satt und wo er einen erschlug, kamen hunderte nach. Flöhe fraßen sich an seinen zerschnittenen Knöcheln satt, zu schnell um auch nur einen zu erschlagen. Gierige Krebse rissen an den entzündeten Fetzen seiner wunden Glieder.
Die weite des Ozeans, das Versprechen der unendlichen Freiheit, war an diesem Ort gebrochen. Der Ozean versprach hier nichts, außer dass er niemanden hindurch lassen würde. Gegenüber säumte ein dicker, schwarzer Dschungel den Strand. Der faule Atem der Verwesung und des Verrottens schlug einem warm und nass entgegen. Markerschütternde Schreie, schrill, hoch und unnatürlich, wurden von stillen und unhörbaren Klauen und Zähnen erstickt. Giftige Würmer und Schlangen hingen unsichtbar zwischen dicken, dornigen Ranken.
Ein einziger Weg – ein Weg aus Scherben und Schleifpapier, begleitet vom kreischenden Summen fliegender Nadeln – der einzige Weg der Högger Speckfaust blieb. Er der weit wie der Himmel war, alt wie die Zeit, zäh wie die Steine, weinte und schluchzte, doch seine Tränen gingen im verbrannten und schweißnassen Gesicht verloren. Wo einst die Wolken weinten wenn auch nur ein trauriger Gedanke über sein Gesicht huschte und die Sonne rot wurde, warf er ihr nur einen Blick zu, wo einst seine Schritte die Welt formten und sein Wille die Welt war, da kannte man ihn nicht mehr. Seine Hände trugen ein graues Bündel. Der grobe Stoff rieb ihm die Arme ganz wund. Nackt schlurfte der alte Riese seinen Weg entlang.


Kein Schritt der nicht schmatzend und knirschend ein wenig seiner Haut mitnahm.


Warum läufst du weiter, alter Sohn?“
krochen die Worte hohl und warm aus dem Schwarz des Waldes.


Schlaf doch ein wenig!“ gurgelte und zischte es aus dem Meer.
Wir machen dich zu Staub, dann trägt der Wind dich endlich fort. Und nun, was willst du denn sein außer Staub? Wie könnte man mehr sein wollen außer Staub?“


Da wurde das heisere Zischen vom hohlen Dröhnen des Waldes abgelöst.
Wir wären gerne Staub und wir werden einst Staub sein. Du, alter Sohn, du kannst es jetzt schon werden und dort auf uns warten.“


Ja“ gurgelte es „Du hast es verdient übrig zu bleiben, aber so wie es ist, so tut es doch nur weh.“


Aber ich bin doch schon Staub.“ flüsterte der Riese heiser und tränenerstickt.


Na dann zieh dich auch so an, Högger Speckfaust.“zischten die Wellen.


"Aber mein Bündel, mein Bündel ist kein Staub. Es ist zu schwer als das der Wind es tragen kann, nur ich kann es tragen, denn ich bin stärker als der Sturm.“


Dann lass es doch fallen, alter Sohn, lass es doch einfach fallen, wir machen es auch zu Staub.“ sprach der warme stinkende Atem des Dschungels.


Das könnt ihr nicht, denn ich bin stärker als ihr, und ich habe dieses Bündel gemacht, ihr könnt es nicht kratzen oder beißen, nicht schleifen oder reißen, ihr könnt es nicht heben, nicht rollen, nicht einmal fressen. Es ist zu schwer, nur ich kann es tragen, denn ich bin stärker als ihr.“


Da schwieg der schwarze Wald und das Meer flüsterte zart. „Dann lassen wir es einfach liegen? Es wird schon keinen Schaden anrichten wenn wir es einfach liegen lassen. Wir wehen etwas Staub darüber, dann ist es vor der Welt verborgen. Ist es nur gut genug versteckt, vergessen wir es sicherlich.“


Aber wie soll ich es denn vergessen?“ Sprach der alte Riese leise.


Unter dem Grau des Staubes gerät alles in Vergessenheit, Högger Speckfaust.“


Aber ich bin doch der Staub.“



Wortlos trug der Riese seine Last weiter. Ozean und Finsternis sprachen nur noch selten mit ihm und es schien als hätten sie sein Bündel ganz vergessen.

Kommentare 4

  • Als ich es gelesen habe, konnte ich den Sand zwischen den Zehen spühren, den Wind und den Wald erahnen. Der arme alte Högger... habe richtig Mitleid. Die Stimmung finde ich immer sehr wichtig bei einer Geschichte, die vom Leser eingefangen werden muss. Dies ist dir hier toll gelungen. Freu mich auf die Fortsetzung.

  • Ich habe es dir gestern ja schon gesagt, die Stimmung ist toll. Sehr melancholisch, bedrückend und ganz anders, als der Rote es sonst ausstrahlt. Freue mich auf weitere Ausschnitte. :love:

  • So eine schöne Atmosphäre. Als würde das letzte Wesen ans Ende des Kosmos wandeln...oder so.

    • Dem kann ich nur zustimmen, die Atmosphäre ist atemberaubend. ♥