Inhaltlose Wutgespräche



Die Luft war erfüllt vom Duft verbrannter Holzscheite. Ciaran schlug mit der flachen Hand auf die abgegriffene Tischplatte im kleinen Gästespeiseraum der Unterkünfte am Grenth Schrein. Die spärliche Beleuchtung durch den Kamin ließ von der Tür aus zwei Männer in zueinander gebeugter Haltung auf der jeweils anderen Seite des langen Tisches erkennen, die sich uneins wurden. Strenge Mienen als orangerote Silhouetten vor flackernden Feuerzungen. In der Mitte ein Krug mit Wasser und zwei unangetastete Becher. Rechts vom Eingang aus Ciaran, der Fremde, der eigentlich nur Priesterin Ceress und sein Gegenüber besuchen kam und eher gemischt gestimmte Gespräche mit Novize Reetz führte, wenn sie sich über den Weg liefen. Das Haar an den Seiten abrasiert, der obere Schopf zum dunklen Zopf gebunden. In den Kleidern eines Wanderers wirkte er fast ein wenig, als suche er Obhut beim Orden des Grenth.


Samuel stierte ihm mit grimmigem Ausdruck entgegen. So grimmig, wie man eben vor einem eigentlichen Freund in einem Disput wirken kann, wenn einem das halbe Gesicht vernarbt blieb. „Was? Wolltest du hören, wie vernünftig du sein solltest oder wie unvernünftig ich war? Das passt wieder nicht in dein Bild von Tyria, oder? Ich gebe mir wenigstens Mühe dir Ratschläge zu erteilen, die nicht nach einer Aufforderung klingen, dein Leben vor mir zu entschuldigen.“ Wer diesen Satz von priesterlichen Lippen fallen hörte, wusste, hier wurde es gerade ernst. Zu ernst, als dass noch andere den gemeinschaftlichen Raum im ebenerdigen Stockwerk der Unterkünfte nutzen wollten. Ciaran sah Samuel nur aus giftgrünen Augen an. Reglos und stumm, bis der Priester sich zurück lehnte und mit der flachen Hand über sein Gesicht fuhr. Dabei schloss er kurz die Augen. „Weißt du was, Samuel?“ schlägt die raue, tiefere Stimme vor, „Wir klären das einfach wie früher. Wie Männer, die hinter dem Falkentor nichts zu verlieren hatten. Vielleicht entscheidet sich dann, wer im Recht ist.“ Samuel lauschte dem unerwarteten Vorschlag mit verkühlt, zerknirschter Mimik. Schließlich nickte der Priester im eigenen altadretten Gewandt zustimmend und erhob sich auch schon.


Zwei Stunden später...


Samuel ächzte leise und angestrengt. Ciaran stierte ihn wieder an und kniff dabei das linke Auge zusammen. „Ja, das tat weh,“ gab der Priester mit hörbarer Anstrengung zu. „Naund?“ Zwei Worte verschwammen aus Ciarans Mund flüssig zu einem. Der Kiefer fühlte sich lockerer an und die Sicht zog Schlieren. „Siehst du? Siehst du!“ Samuel lehnte sich zurück, als säße er auf einem Stuhl und kippte dabei rücklings ins Gras, wo er liegen blieb. Der Geweihte schüttelt mit geschlossenen Lidern das Haupt und bemühte sich die Kapuze des einfachen Stoffmantels über den Schopf zu ziehen, während er die Sterne betrachtete. „Nein, seh' ich nich'! Ich seh' das...“ Ciaran unterbrach sich dabei, als die Schritte von Passanten über das Pflaster des königlichen Pavillons hallten, auch wenn sie ihre Meinungsverschiedenheit in einer abgeschiedenen Ecke austrugen. Dank des Ellbogens des Ebonfalkener Besuchs, kippte eine leere Rumflasche fast von der gemauerten Empore. Ciarans Reflexe ließen zu wünschen übrig, auch wenn er sie noch hatte. „Ich seh' das,“ fuhr der Gast des Götterfelsens fort. „Ich seh' dass du eine Krise machst, an der du selbst Schuld bist! Nicht die Zeit und nich' der... andere Kerl da und auch nich' der hässliche falsche Vogel den die Königin euch da vorsetzt.“ Der Fingerzeig streifte Samuel und danach den eisernen Falken über dem Sturzloch. Ciaran lehnte sich seitwärts an die Sockelmauer der Balthasarhochstraße. „Bei den Sechs, wir werden nicht jünger,“ murmelte Samuels Mittrinker angestrengt gegen den Stein. Die geweihten Finger angelten nach dem Hals einer Rotweinflasche und bekamen sie auch mehr oder minder glücklich zu fassen, ohne hin sehen zu müssen. „Ciaran, es wär' an der Zeit dir eine mitzugeben.“ Samuels Feststellung wurde vom verlängerten Zeigefinger, der Flasche untermauert und war noch nicht am Ende angelangt. „Aber ich treff' dich so nichmehr...“ Der Grenthpriester nahm einen großen Zug... vom Korken. Das überraschte selbst ihn, wie hatte Samuel das gute Stück in diesem Zustand nur wieder da rein bekommen, nachdem er die Flasche fast alleine leerte?


Der Grund für das stille Besäufnis in geplanter Grünanlage war priesterliches Gejammer. Etwas, das die Öffentlichkeit von Samuel nicht wirklich kannte, wenn es nicht um große Angelegenheiten ging, die es anzuklagen galt. „Das is' mein Ernst,“ setzte Ciaran nach. „Du hast sie dir ausgesucht un... und du musst mit solchen Sachen eben klar kommen. Hat dich doch nich' gewundert oder? Gestern mein' ich...“ Der Freund des Priesters, der von Priesterin Ceress noch immer hin und wieder Viper gerufen wurde, seufzte mitleidig und bemühte sich angestrengt um ordentliche Aussprachen. „Vielleicht ist das alles nur ein dummer Zufall, Ra... Samuel.“ Ciaran hob entschuldigend eine Hand und der Priester im Gras winkte ab. „Ich meine,“ gab Samuel versucht geordnet zurück, „ich bin eben was ich bin weil... ich überzeugt bin, dass es... richtig ist,“ stockte der sonst geübte Redner geistig taumelnd vor sich her, „aber das ist vielleicht eben nich' was sie sich ständig wünscht.“ Ciaran warf einen angestrengten Blick auf den Freund in Schwarz, Grün und Grau und kommentierte, „den Fetzen würde ich im Feldeinsatz anziehen,“ in Anbetracht dessen, was Samuel als Privatkleidung bezeichnet. Dieser meint dazu, „sagt der Mann, der sich verkleiden musste um her zu kommen.“ Und das nur, weil Ciaran sich möglichst authentisch zivil verkaufen wollte um mit Rhea zu sprechen.


Den nächsten Satz von Ciaran bekam der Priester nicht wirklich mit. Der Alkohol unterhielt sich mit dem Monolog hinter seiner Stirn. Wie lange war es überhaupt her gewesen, dass er sich dermaßen viel Wein und Rum auf ein mal einschenkte? Stammgäste des Flaschenhalses hätte die Menge wohl kaum beeindruckt, doch jemanden, der sich in abendlicher Ruhe hin und wieder ein wenig Rotwein gönnte und obendrein seit gestern schon kaum gegessen hatte, konnte der Umtrunk durchaus zusetzen. Und Ciaran erging es im Kampf gegen die Gewohnheit eigentlich gar nichts berauschendes zu trinken kaum anders. Die beiden hatten sich im Willen alte Jugendzeiten aufleben zu lassen wohl einfach übernommen.


Dass das destillierte oder gegorene Mittel kein guter Berater war, wussten die Zwei sicherlich. Wenn es sich aber als innere Stimme ausgab, konnte auch einem sonst so kühlen und geordneten Priester unter dem Sohn Dwaynas, dem Herren des Eises, der Dunkelheit und der Toten der Magen krampfen. Augenblicklich sah Samuel mit einem geschlossenen Auge auf seinen kleinen Silberring am rechten Ringfinger und stellte sich eine furchtbar unsichere Frage, als er an die letzten Tage zurückdachte. Die Gedanken führten ihn an den fernen, fernen Ort an dem der Schleier nun schon unter dem Staub der Jahrhunderte lag, wenn er unter kleinsten Erschütterungen von der Decke rieselte. Reue? Sicher nicht. Doch wieder und wieder pochte die Frage hinter den Schläfen, die ihn schlecht schlafen ließ. Verwaschen erklang Ciarans Stimme lauter an sein Ohr. „Hörst du mir noch zu?“ Ein Kopfschütteln war die ehrliche Antwort zur Lüge, „Ja, sicher.“


„Vertrau ihr oder rede mit ihr, die Kleine läuft dir doch nach.“ Den Spott, das Unverständnis für die Ehe zwischen einem Mann in der späten Mitte der Dreißig und einem Mädchen, das erst zur jungen Frau wurde legte Ciaran ausnahmsweise zur Seite und sprach weiterhin, „und auch wenn du so ein... Problem noch nie gelöst hast, wie ein Mann das tun sollte, weil.. ja ich weiß das geht nicht.“ Ciaran hob entschuldigend die Hand zum fast ausgesprochenen Einwurf des Priesters, der daraufhin zufrieden nickte. „Mach dich nur nicht zum Dolyak mit deinen Einfällen. So etwas dämliches wie eben auf dem Weg hatte ich noch nicht gehört, seit ich... hier... du weißt schon.“ Samuel wusste nicht, aber er nickte, damit die Belehrung endlich enden konnte. Tat sie aber nicht. Ciaran setzte erneut an, nachdem er klammheimlich aufstoßen musste. „Wenn du dich benimmst wie ein junger Mann... das sind wir beide nich' mehr... dann lacht sie dich noch aus und, Dings... bei den Sechs was war in der Flasche.“


Samuel überhörte das Gefluche, das Ciaran nüchtern so nicht an den Tag legte großzügig. „Das Problem ist nicht, was ich bin, sondern was ich eben nicht bin und ja, du hast recht, was ich nicht sein werde.“ Der Priester seufzte. „Oder ich bin genau das, was jeder sein könnte. Das ist mir selbst zu kompliziert. Sogar du hast mich irgendwie dafür gehasst.“ Der Wein machte jede Aussage drei mal so schlimm, wie sie gemeint war. Das ließ sich Ciaran so nicht bieten. „Gehasst habe ich dich dafür nicht, ich habe dir d... wir haben dir dein Leben gerettet, Rabe. Ich habe es nur nicht verstanden. Ich kannte so etwas nicht aus... der Nähe eben.“ Die Artikulation wurde zumindest vom steigenden Blutdruck in angehender Aufregung ein wenig zurecht gerückt. „Und noch etwas, Samuel... ich helfe dir trotzdem, wenn ich helfen kann, aber ich helfe dir nicht dabei, dich in Selbstmitleid und Selbsthass zu verlieren, weil du dir etwas einbildest!“ Der Priester schmatzte Tonlos und die befremdliche eigene Lage wurde nicht besser, wenn es jemand aussprach. Die eigene Krise zehrte nicht nur an der Substanz, sondern auch am Tagwerk und jetzt auch noch am Selbstbewusstsein vor einem ehemaligen Nebenbuhler vor einer ganz anderen. „Ich kann ihr nicht sagen, dass etwas seltsam ist ohne...“ Ein Kopfschütteln beendete den Satz, den Ciaran mit dem Schneid eines ehemaligen Soldaten vor einem Priester bereitwillig fortführte, „dass du dich genau so fühlst, weil sie so viel jünger ist? Du meinst es ernst und aufrichtig? Noch immer? Dann tu etwas dafür.“


Die Nacht verging mit weiteren Ratschlägen und der letzten Flasche, die es anzurühren galt, weil man es sich eben vorgenommen hatte, ehe man den Heimweg antrat. Das Blau stieg zum Himmel und wandelte die Nacht schon zum Morgen, als Samuels Kapuzenmantel neben Ciarans tragbaren Lederfetzen in den Unterkünften des Grenthklerus verschwand. Zum Glück waren nicht mehr viele Passanten unterwegs.

Kommentare 2

  • Na das überrascht. Hoffentlich schaut er am nächsten Morgen nicht in seinen Kalender und wird vom Eintrag '7:00 Uhr - Anatomische Sektion, nüchtern bleiben' überrascht :p

  • Mal eine ganz andere Seite von Priester Blestem und schön ihn mal mit seinem Freund zu lesen. IG ja leider in der Form nicht möglich. Du weißt ja, mir gefällt deine Schreibe sehr. <3