„Dass dreiundzwanzig Jahre in einen Seesack passen“, dachte ich bei mir während ich selbigen kraftvoll zu zurrte. Sicherlich blieben einige Dinge zurück im alten Haus, der alten Heimat, an der mich ohnehin nichts mehr hielt. Die Lampe erfüllte den sonst so kalten und leeren Raum mit Wärme, doch auch sie vermochte kaum auszugleichen was diesen Räumen fehlte. Seit sie fort waren fühlte es sich befremdlich an hier zu sein. Nicht ohne Grund hatte ich die meiste Zeit in der Kaserne verbracht. Oft wurde mir die Frage gestellt weshalb ich dummes Ding die Pritsche, oder im schlimmsten Fall den kalten Boden einem Haus vorzog, welches im Grunde mein Eigen war. Sie hatten es nicht verstanden, vielleicht weil ich es ihnen nicht erklärte. Die Mauern erzählten früher Geschichten, waren erfüllt mit Lachen und Weinen mit Kummer und Glück. Doch nun waren die Erzählungen versiegt und es wurde Zeit nach neuen Geschichten zu suchen.
Morgen schon würden die Schlüssel in die Hand der neuen Besitzer gleiten. Sie würden sich hier einfinden und eine andere Geschichte daraus formen, eine in der ich keine Rolle mehr spielen sollte. Es war das Ende, und zugleich der Anfang. Auf dem Tisch vor mir lag ein Schreiben mit den Reizen der Menschenhauptstadt.
Entdeckt das Juwel des Krytanischen Reiches, die Hofburg und Festung, die niemals fallen würde.
Hatte man dasselbe nicht auch über die Stadt Ascalon gesagt? Wahrscheinlich.
Genießt die Schönheit der königlichen Gärten, die von Blütenduft geschwängerte Luft, welche zu ausgeweiteten Spaziergängen einlädt. Nicht zu vergessen der Geruch von unzähligen verdreckten und verschwitzten Menschen ohne Heim. Von Flüchtlingen, die von allen Ecken und Enden die Stadt überschwemmen und bis zum Bersten füllen. Kaum kann sich die Hauptstadt davor retten. Von hier kommen sie immer noch, nach dem Schaden, die die Ranken angerichtet haben, vom Doric See her wandern sie und bitten um Zuflucht. Aus Elona sogar weit im Osten sind es immer wieder Menschen die verzweifelt sind und Hilfe brauchen. Es wird Zeit dem etwas entgegen zu setzen, und das wird durch ausgedehnte Spaziergänge vermutlich nicht geschehen. Allein bin ich nur ein Zahnrad, dieser riesigen Kriegsmaschinerie. Doch wenn ein Zahnrad in das andere greift, gut geschmiert und fest genug geschraubt das keines davon aus dem System fällt, dann kann sich etwas verändern, dann kann jeder von uns finden was er sucht und irgendwann, ja irgendwann wird der Krieg für ein paar Momente zu Ende sein ehe der nächste Schurke, der nächste Fanatiker oder der nächste Altdrache aus der Versenkung aufsteigt und erneut alles mit sich reißt was uns lieb und teuer ist. Möglicherweise ist es da besser gar nicht erst etwas zu haben was einem so wertvoll ist wie das eigene Leben.
Spürt den Zusammenhalt im Glauben der Priesterschaften, nehmt die an den Händen, die mit euch dieses Vertrauen in diese unsere Götter teilen. Seid Teil einer starken Gemeinde, welche sich durch nichts erschüttern lässt.
Und doch ist es der Gott des Krieges, welcher in Elona nicht nur Drachendiener sondern auch Unschuldige willkürlich schlachtet. Und dabei sind es die anderen fünf, die scheinbar tatenlos zusehen, es einfach geschehen lassen. Unsere Schöpfer die nun auf uns Blicken und nicht zu uns sprechen, keine Stellung nehmen zu den scheußlichen Dingen die geschehen. Ob sie sich überhaupt je wieder zu uns begeben? Ob sie unsere Fragen beantworten und unsere Gebete erhören? Oder ob es am Ende nur eine Frage der Zeit ist, bis die nächsten von ihnen durch die Straßen der Hauptstadt ziehen und sie ohne Sinn und Verstand die niedermetzeln, welche ich versuche zu beschützen? Eine Garantie, dass es nicht so sein wird, kann mir wohl niemand geben, und die Götter selbst ziehen es vor zu schweigen. Manchmal frage ich mich ob sie uns überdrüssig geworden sind, ob sie in den Nebeln beisammen sitzen und sich darüber amüsieren was für eine prächtige Idee es doch gewesen ist uns zu erschaffen, uns die Magie zu schenken, auf das wir uns gegenseitig zerstören.
Ich hoffe, dass ich nicht die Zeit haben werde über all diese Dinge nach zu denken. Die Suche nach Antworten und die Suche nach Verbrechen wird mich abhalten können zu philosophieren, in dem Bestreben den Zynismus einzudämmen, der sich in mein Herz frisst und nicht viel mehr zurücklässt als den eisigen Wind eines Schneesturms. Es wird schwer sich wieder einzugliedern, schwer Teil eines Neuen zu sein. Befehle werden ausgeführt, stellen nicht das Hindernis dar, Teil des Werks der Gerechtigkeit zu sein. Doch am Ende sind es Menschen , denen ich begegnen werde, Menschen die ich nicht kenne, und die mich nicht kennen. Vielleicht werden sie urteilen, möglicherweise werde ich es ihnen gleich tun. Freundschaften waren niemals meine Stärke. Und Freundschaften haben in einem Krieg auch wenig Platz, das hatte mein Vater schon gesagt. Du wirst sie brauchen und du wirst ihnen nachjagen, hatte er gemeint. Und am Ende werden sie dich entweder mit Glück erfüllen, oder dich in den Abgrund reißen. Denn Sieg und Tod liegen näher an einander als ein Mensch es je verstehen wird.
Zahlreiche Geschäfte und Schenken laden zu Speis und Trank, verführen zum Schmökern und Genießen. Für all jene zumindest, deren Beutel prall gefüllt ist mit Münzen, welche sie verschwenderisch um sich schmeißen während so viele hungern müssen. Und am Ende landen sie alle am selben Tresen betäuben ihre Sinne mit Bier und Fusel. Der eine beweint den Verlust mehrerer Goldmünzen, der andere den seiner Frau und Kinder. Doch gibt es wahrlich kein Problem, das sich nicht mit Rum hätte lösen lassen, die Flasche als Trösterin in den kalten Nächten des Winters, wenn der Sold nicht ausgereicht hat sich einen richtigen Weibeskörper zu erkaufen, der einen vor dem Frieren schützt.
Findet Euch ein in der Stadt Götterfels, wo Menschen zu Hause sind und einander helfen. Und es bleibt zu hoffen, dass es sich bewahrheitet, dass es die Hand des Helfers ist, die die Hand des Bedürftigen ergreift. Ich würde alles tun, um dafür zu sorgen. Selbst wenn ich kein Zu Hause finden würde, an keinem Ort dieser Welt. Aber das musste ich vielleicht auch gar nicht.
Ich schlüpfte unter die Decke, versuchte diese Nacht in meinem alten Bett zu schlafen. Es war mir zu kurz und meine Beine standen über, selbst nachdem ich sie angewinkelt hatte. Stunden sollte es mich kosten, ehe ich dem Schlaf entsank, welchem ich noch vor den ersten Sonnenstrahlen wieder entgleiten sollte. Ich fühlte mich seltsam, als wäre ich kurz eine andere gewesen, als ließe ich das Schema einer vergangenen Soldatin an diesem Haus haften. Widerwillig kroch ich aus dem Bett und machte mich auf mein Gesicht zu waschen. Doch auf dem Weg verharrte ich vor dem großen Wandspiegel, von Gusseisen verziert hatte Mutter ihn als Geschenk bekommen. Auf das sie niemals vergessen würde wer sie war, und dass sie immer ein Lächeln für sich selbst übrig hätte. Doch als ich mein Gegenüber auf der glatten Oberfläche des Spiegels erblickte entlockte es mir kein Lächeln. Es war viel eher die Angst, die mir zu Gesicht stand. „Was hat dieses Arschloch mir nur angetan“ sprach ich an mein Spiegelbild gerichtet. Doch ich erhielt keine Antwort. Das Opfer der Vergangenheit ließ ich im Spiegel zurück ehe ich mich abwendete und die Stunden zu zählen begann, ehe all das Geschichte und ich wieder aufs Neue erste Schritte wagen musste, auf einem Weg, der mir noch ungewiss war, der mich schneller vorantreiben würde als mir lieb war.
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