Eine Winternachtsmäre IV - Mit den Wölfen

Ein weiterer Scheit bricht und ein Teil fällt in die Asche, die Glut verbirgt und noch vor kurzem selbst Feuer war. Jetzt lässt sie sich nicht mehr von der Hitze anstecken, sondern kann nur noch davon zehren anderen nah zu sein. Neue Fragmente alter Bäume, die in der Jugend der Prozedur Flammen fangen und wärme spenden.


„Ihr habt nicht laut genug geweint,“ entgegnet der Entführer mit provokanter Stimme, kalt wie Asche. Fiona tupft sich nach dem verbalen Schlag mit der Ringfingerkuppe eine übergeschwappte Träne aus den Seelenseen von der hellen, von anhaltender Müdigkeit schattierten Haut um die Lider und Wimpernkränze. Die Sommersprossen haben sich vor dem Winter verborgen und warten wie die wilden Gänse auf das erste Licht des Frühjahres um zurück zu kehren. „Was sollte das bringen?“ fällt es fragend von vibrierenden Lippen. Der Mann vor ihr bleibt hingegen völlig ruhig und antwortet abgeklärt, „nichts, wie auch das leise Jammern, weil ihr nicht zum Tanzen gekommen und trotzdem geblieben ward.“ Unbehagen greift nach Fiona und ein Stimmlein, das den Feuerschein nicht sehen kann, weil es sich in ihr verbirgt maßregelt sie wie schon hunderte Male zuvor. Auch weil es der Meinung ist, dass der Fremde recht hat. „Ich bin eines Tages geflohen,“ begehrt die junge Frau mit Trotz auf, weil er doch keine Ahnung hat, was sie durchmachte. Doch dieser Trotz ist im klaren Wasser ihres Schicksals nur ein unbedeutender Klecks Tinte. Der Fremde erkennt ihn bis zum nächsten Wellenschlag, vom Herzen angetrieben, ehe das Blau sich im Nichts verliert.


„Und davor,“ so seine Fassung des Kapitels in Fionas Leben, „habt ihr gewartet bis ihr den Graben mit Tränen gefüllt habt um zu erkennen, dass das Erklimmen der Wand leichter gewesen wäre, als entkräftet zu schwimmen. Sonst hätte euch euer Wandel nicht auf dem Rinnstein angeschwemmt, auf dem Ufer des häuslichen Lebens zur Ruhe gebettet.“ Ein Kopfschütteln der Enttäuschung, das der Erwachten weiter zusetzt ist die Bewertung seiner. Der Rotschopf stellt sich selbst die Frage, warum seine Meinung ihr nicht einfach egal sein kann, während der Namenslose den Branntwein küsst. Ein ausweichender Blick verrät ihr den Titel des Buches, das der Mann in Händen hielt, als sie erwachte. ~Ein Herbstgewitter~ von Robin Firth. Gebleichtes Leder mit punzierten Buchstaben, die man sehen und fühlen kann. „Ich hielt mich nicht daran fest, weil ich auf etwas gehofft hatte, sondern weil ich es meinen Eltern und dem Mann, den ich liebte versprochen habe.“ Fiona ist sich nicht ein mal sicher ob er diese Worte hören kann, weil der Kloß im Hals die Kraft ihrer Stimme stiehlt. Doch seine Erwiderung tötet jeden Zweifel. „Was hat euch zur Aufgabe bewogen? Geschah es, weil ihr erkannt habt, was euer Versprechen wert war oder weil euer Klammern daran nicht stärker war als der Halt einer Achäne am Blütenboden eines Löwenzahnes, der sein nahendes Ende vorher sieht?“


Seine Bildsprache hinterlässt Kerben im zurückgewonnenen Selbstbewusstsein, als ob er es dort auf diesem Rinnstein, den er genannt hatte liegen ließ, als er Fiona mitnahm. Die zarten Fingerglieder reichen nach den punzierten Buchstaben und streichen sanft über das ~H~. Eine spielerische Ablenkung, die dem Schulterblick des Philosophen nicht entgeht. „Ein Mann namens Tartan verschwendet sein Leben, weil er ein Stück Stoff liebt und sich Tag für Tag nicht aufraffen kann auf die andere Seite zu wandern um das zu erkennen. Er wollte nicht ein mal schwimmen.“ Die Bewertung der Geschichte durch den Mann vor dem Feuer fällt ablehnend aus. Fiona ist nicht einverstanden und erklärt ihm ihre Sicht auf das Werk. „Ich habe es auch gelesen und ich sah darin einen Mann, der zuerst seine Gabe jemanden lieben zu können entdeckte und dann vor dem Ende seiner Tage beschloss Gewissheit um sein Schicksal zu erlangen, weil er nicht einsam sterben wollte und seine Versprechen in den Briefen an das, was er für seine Liebste hielt nicht leer blieben. Hätte er es nicht versucht, wäre er ein Lügner gewesen, auch wenn es am Ende eine Enttäuschung für ihn war. Tartans Ableben war nichts weiter als das Ende einer Geschichte ohne Ungewissheit. Ein vollkommener Abschluss.“ Fiona schließt die Lider und der Mann geht an ihr vorüber um der präparierten Wachtel mit dem gekrümmten Fingerrücken ein mal über den Hals zu streicheln, als sei sie mehr wert als das lebende Geschöpf auf dem Sessel. Sein Wort will ihre Sicht ins Wanken bringen. „Hätte er früher erkannt, dass es nur eine Täuschung hinter dem Nebel war und keine weiße Schönheit, wäre er mit der Erkenntnis, dass er lieben könne zurück in die Welt der Lebenden gegangen um sich noch ein mal zu verlieben. Vielleicht hätte er eine atmende, lebende Seele gefunden, die ihm ihr Herz schenkt.“


„Ich bin nicht tot,“ raunt sie fast schon tadelnd gegen jedes weitere Wort des Unwissenden. Seine Formulierung traf unbewusst ins Schwarze. Dieser lässt von der Wachtel ab, stellt sich nach zwei Schritten neben den Tisch auf dem das Buch neben der Flasche ruht und blickt auf das aufbegehrende Geschöpf herab. Fiona ist zur eigenen Überraschung davon weit weniger eingeschüchtert, als durch zuvor gefallene Worte. Theodore flaniert satt vor den Kamin, lässt sich auf die Seite fallen und rollt sich auf den Rücken um den Bauch mit umgarnender Hitze zu wärmen. Besser kann es einem Kater kaum gehen. Warum sollte sich Theodore auch vom Unmut anderer anstecken lassen? Damit ist er vielleicht sogar der mit dem größten Lebenswillen im Raum, unbeeindruckt vom Wenn und Aber fremder Gedanken. „Jonathan ist tot, aber ich bin es nicht,“ setzt Fiona noch ein mal nach und sieht empor zur hohen Silhouette. Sie erkennt seine Miene, die Neugier andeutet, ohne ihr zu grämen. „Deswegen?“ hakt der Mann nun nach. Sein Gang hat das Spiegelglasspiel über dem kleinen Ahorn in Bewegung gesetzt. Ein kleiner Windhauch, der die Miniaturwolken rührt und an kleinen Fäden sich drehend blitzen lässt. Das stumme Gewitter bleibt ungeachtet. Nur ein starkes Frauenherz will der Donnerschlag sein, der es begleitet. „Seid ihr deswegen aufgebrochen, weil der, den ihr so anhimmelnd benennt gestorben ist und der letzte Halt verloren ging?“ Fiona schüttelte ihr Haupt. „Nein,“ sagte sie, „ich ging weil ich ihn zurück haben wollte.“


Theodore zuckte und kippt zuckend auf eine Seite. Er kann eben nicht einschlafen, wenn er Beute erahnt und ist doch nur auf einen fliehenden Funken herein gefallen, der sich aus dem Kamin wagte. „Und dann?“ Der Fremde drängt sie im Tonfall geradezu dazu sich zu öffnen. Er hatte mit jeder Provokation eine Kerbe in den Damm geschlagen und hofft darauf, dass er bricht und alles einen Sinn ergibt, der seine Erwartung erfüllt. „Dann schlich ich mit allem was ich gelernt hatte hinaus in die Nacht. Keine Magie der Welt hilft gegen den Schatten, der immer hinter einem läuft, weil man vergessen hat wie es ist, wenn alle Lichter gelöscht sind. Ich versteckte mich unter Wurzeln und in Höhlen und hielt nach Einbruch der Finsternis den Atem an, als ich weit genug fort war und am Tage verbarg ich mich im Schutz des Randes der Wälder auf meiner begonnenen Reise. Ich habe mich ausgesetzt, fern von allen hübschen Kleidern, fern von dem, was behütet und alle Freiheiten bot, die ein blinder Mensch sich nur wünschen kann.“ Fiona legt die Hände auf die Armlehnen, rutscht dicht an die Rückenstütze und zieht ein Bein an. Weder sie noch er scheren sich darum, dass schmutzige Sohlen das Polster mit all den Fabeln berühren. Die Finger werden auf dem Knie zum gesuchten Halt verwoben und die Augen des Mannes folgen ihren in das flackernde Theater um dem Gehör alle Macht zu verleihen ihre Geschichte zu verfolgen. „Es dauerte Tage in denen ich jeder Siedlung auswich, bis mich Melandrus Hand berührte. Ich werde den Sonnentag nie vergessen an dem ich vor Hunger vor einem gerissenen Reh nieder kniete an dem nur noch Fetzen hingen. Eine Krähe saß auf einem Stumpf im dichten Tann der selbst den helllichten Schein zur Morgendämmerung machte und taktierte, wie sie mich verscheuchen könne. Als ich mein Messer zog um ab zu schneiden was ich für genießbar hielt während der Gestank den leeren Magen drehte kam sie mir nahe, hob die Flügel drohend, erkannte, dass ich nichts von ihr wollte und begann am Sehnenrest des Hinterbeines zu zupfen. Es war als gäbe es nur noch sie und mich auf dieser Welt.“


„Gabt ihr ihr einen Namen?“ Die Stimme des Entführers lässt ein Schmunzeln erahnen, dem die Miene nicht folgt. „Nein,“ antwortet Fiona. „Weil ich genau in diesem Augenblick begriffen habe, dass das etwas ist, das nur Menschen machen.“ Stille herrscht über einen einzigen Augenblick. Nur die Flammen und die Schatten tanzen, während alles andere einem Gemälde gleich regungslos verharrt. Theodore hatte die türkisgrauen Augen längst geschlossen und versteht vermutlich kein Wort von dem, was Fiona noch vorträgt. Oder etwa doch? „In der nächsten Nacht hörte ich wieder die Wölfe heulen und ich hatte keine Angst mehr, auch wenn die Nackenhaare sich aufstellten und die Kälte mich umarmte. Aber weil mich sonst niemand umarmen konnte, wollte und durfte war das in Ordnung. Und dann, dann lief ich. Ich rannte bis die Beine brannten und atmete die Nacht als hielte ich nun am Tage den Atem an, bis meine Freunde wieder zu singen begannen. Ich fiel im Mondschein nach einem Tanz für mich allein auf die Knie und heulte zwischen Glühwürmchen und die Wölfe antworteten mir. Das unbeschreibliche Gefühl in einen Fluss zu fallen, in dem man nicht ertrinkt sondern lernt auf dem Grund zu laufen um neue, fantastische Dinge zu sehen, die einem entgingen weil man immer die Augen schloss wenn man das Gesicht ins Wasser steckte um sich zu waschen. Es war wie ein Märchen für mich.“ Der Mann stellt das Glas mit der letzten Pfütze Bernstein neben dem Herbstgewitter ab, das vor fast zehn Jahren verfasst wurde, während Fiona die Nacht noch nicht begriffen und der Fremde sich ausgebrannt hatte.


„Hast du sie ein mal gesehen?“ Seine Stimme klingt nur ein wenig weicher, doch Fiona beschleicht allmählich das Gefühl, dass er gar nicht anders sein kann und das weckt Mitleid in der jungen Frau für einen Mann, der sie betäubt und hier her gebracht haben muss. „Ja, natürlich,“ entgegnet sie mit einem Achselzucken als sei die Frage völlig weltfremd. Genau so wie ihr leises Lachen, das Schuld am Fall zweier Tränen ist, die über die hübschen Mundwinkel rinnen. „Jede Nacht wenn ich lief waren sie bei mir, wenn ich über die Felder rannte und die Rispen des hohen Grases meine Hände berührten und mir damit zeigten, dass ich noch immer am Leben bin. Der Mond ließ mich glauben ich wandle auf dem Meer wenn der Wind die Halme bog.“ Theodore schnurrte im Halbschlaf, weil vertraute Finger sogar seinen Bauch kraulen durften. „Und wohin wolltest du?“ Fiona merkt nicht ein mal, dass der Mann schon zum zweiten Mal in die persönliche Anrede verfällt. Ob er es merkt?


„Hinter die Nebel. Ich musste nur das Fenster finden.“


Fortsetzung folgt...

Kommentare 6

  • Yay, Herbstgewitter hatte ich mal bei Vittoria erworben!


    Er hat sich seine bildsprachigen Formulierungen schon vorher ausgedacht und auwendig gelernt, ja?

    • Yay, schön dass damit gespielt wird!


      Und nein, manche Menschen sind so :p

  • Du kannst es auch nicht lassen, einem wieder neue Rätsel aufzugeben! Schon wieder dieses "Fortsetzung folgt"... Hrch. Nebulös, spannend und wie zumeist sehr schön zu lesen. :)

    • Dankeschön! Und ja das passiert eben wenn man zu faul ist lange am Stück zu schreiben. ^^´´

  • Da habe ich nun aber auch lang gewartet und bin nicht enttäuscht. Großartig geschrieben, mein Schatz. Bitte den nächsten Teil nicht so lange hin. <3