Eine Winternachtsmäre V - Nackt

„Für ihn?“ Die Frage bringt Unbehagen. Fiona schließt die Lider und muss darüber nachdenken, während der Mann nach diesen zwei Worten schweigt, anstatt edel vor der jungen Frau auszuweichen um sie aus der offensichtlich beklemmenden Lage zu befreien. „Das glaubte ich,“ sagt sie unter den wachen Blicken Theodores. Der Kater hat sein Haupt unwirklich zum sowieso schon für ein menschliches Verständnis schmerzend verdrehten Leib gewandt und wirkt, als sei er das Auge des Herren, der Fiona nie länger betrachten kann. Ihre Lippen sind trocken. „Jonathan konnte nur an einem Ort seinen Frieden finden und ich habe ihn in Selbstsucht versucht hier zu halten. Nein, es war nur für mich und das ist etwas, das ich mir nie verzeihen kann.“ Die Rothaarige senkt die Brauen und stiert mit geschlitzten Lidern ins Feuer. Aus klaren Flammenzungen wird unter feuchten Augen ein waberndes Rot, gleich dem Abendhimmel der ankündigt, dass der Mond das Silberlicht bald wieder über die Felder ergießt, in denen sie so frei schwimmen konnte. Der hohe Damm des Götterfelsens aber, hält der Romantik stand, die vom offenen Land her strömt und Herzen ertränkt. Fragil wie ein Traumbild ist der falsche Himmel, denn mit dem Öffnen der Augen fällt er in sich zusammen. Ein Scherbenspiel wie über dem kleinen Ahorn. „Zum Glück kamen Menschen auf die Hügel, die mich vom hohen Turm der Einbildung stürzen ließen. Und sie haben mich auch aufgefangen. Es war sowieso nur eine Ruine, die am Ende noch eine Seele verschlang. Man sollte nicht im Rachen eines Basilisken Nisten.“


Der Kater sieht der Hand, die ihn verlässt empört nach und meldet sich ein erstes mal zu Wort. Ein Maunzen, dass den Fremden strafen will. So kann man nur mit Freunden umspringen. Dieser hat sich erhoben, zeigt sich aus nächster Nähe und gießt sich vom Branntwein nach. Ein Tropfen schwappt über und schmiegt sich in das eben berührte ~H~ im Herbstgewitter. Die alkoholisierte Gischt verweht in der Wärme des Kamins eben so schnell, wie die Aufmerksamkeit, die Fiona seiner Hand schenkt, als sie das Gefäß umfasst. Die Flasche klingt beim Abstellen wie ein kleiner Stein, den man gegen das Rauchglas wirft. Ein erstes Geräusch, das mit den knackenden Scheiten konkurriert. Die zuerst hölzerne, dann äscherne Sanduhr dieses Abends. „Liebschaften, entstehen aus Selbstsucht,“ erklärt der Genießer raunend. Die Stimme klingt noch tiefer und vibrierender, wenn er nah vor einem innerlich zarten Geschöpf wie Fiona steht. „Würden wir aus Nächstenliebe jemanden das Herz schenken, wäre das Arrogant. Warum sollen sie nicht mit Selbstsucht enden?“ Fiona weiß darauf keine Antwort. Seine folgenden Worte fesseln sie in den Sitz. Würden sie es nicht tun, müsste er aus dieser Nähe nur nach ihr greifen um sie an der Flucht zu hindern. Aber wovor sollte sie flüchten, wenn er ihr doch anbot sie gehen zu lassen? Ist er ein Feind? Seine Philosophie klingt weiterhin, „Merken wir uns das erste gemeinsame Gespräch? Vielleicht. Wissen wir, was wir dabei tranken und aßen? Nur in den seltenen Fällen ist dem so, dass jemand das Gedächtnis eines Eichenherzens besitzt. Alt und unerschütterlich. Aber wir wissen immer, wann wir uns nackt nahe lagen und selbst das ist eine Lüge, weil wir irgendwann unsere Vorstellung eines perfekten Aktes mit der Erinnerung vermischen. Das ist der Augenblick, in dem wir beginnen uns selbst anzulügen. Zuvor lachen wir für den anderen. Wir kümmern uns, wenn uns nicht nach einer Umarmung ist und wir sagen Dinge, die wir nicht so meinen.“ Ein Schauer kriecht über die Haut der jungen Frau. Sie umarmt sich selbst und reibt sich die Oberarme. Der eigene Mantel kann nicht so kalt sein, wie das Herz eines Mannes, der so spricht und fortfährt, „Und wenn wir es unter falscher Zier vollbringen übereinander her zu fallen, bedauern wir heimlich, dass das Ringen unter den Laken nicht war, was wir uns immer wünschten. In einsamen verträumten Nächten schwelt eine ganz andere Hitze, weil uns niemand mit seinen anderen Wünschen stört. Dann reden wir uns ein, es sei dennoch in Ordnung gewesen und um einander nicht zu enttäuschen, heucheln wir es sei das Beste, was uns je gelungen wäre. Ein kleiner Abklatsch wahrer Sehnsüchte.“


Der Kleinere der beiden Nachtschwarzen, mit mehr, aber kürzerem Haar entschließt sich zu fordern, folgt den Stiefeln des Großen und schmiegt sich mit aufgestelltem Schwanz an den Schaft mit gegossenen Knöpfen, die stilisierte kleine Falken zeigen. Aus einem wilden Tier, wird ein bettelndes, forderndes Geschöpf ohne Stimme. „Das sind verbitterte Ansichten,“ protestiert Fiona. Nur ein Hauch eines Wolfsgeheules. Kraftlos, schuldbewusst. „Nein,“ korrigiert er sie bestimmt, ohne Haltung zu verlieren und stellt sich wieder seitwärts an das große Feuer. Die Sohlen drücken sich unter seinem Gewicht in das Webwerk zwischen dem Kamin und dem Thron der Gossenkönigin, die Fiona heute ist. Ein Mann mit Anspruch und Rückgrat. Ein Mann mit leeren Augen. „und die größte Lüge folgt, wenn wir Sinnbilder finden, die uns sagen, wie sehr wir uns lieben. Wir erfinden Distanzen, die wir nicht kennen um sie dagegen klein und unbedeutend erscheinen zu lassen. Wir versprechen, die größte Erfüllung in dieser einen Verbindung zu erkennen, als gäbe es nur immer zwei Wesen die zueinander passen.“ Fionas linke Hand schleicht sich unter den Mantel. Sie reibt im Unwohlsein ihren Rippenbogen über der gewebten Wolle um die kühlen Spinnen los zu werden, die darunter herumkrabbeln. „Und wenn es so ist?“ Für diese Frage erntet sie ein Kopfschütteln vor jeder Antwort. „Es ist als werfe man eine Flaschenpost ins Meer und als wäre es nicht schon unwahrscheinlich genug, dass sie jemand findet, hofft man darauf dass es jemandem gelingt sie aus dem Wasser zu fischen, die oder der sich dann bemüht durch halb Tyria zu reisen um der unbekannten Liebe zu folgen. Vermutlich ist es wahrscheinlicher, dass ein Buckelwal die Flasche verschluckt und dies ohne es zu wollen.“


Nach dem ersten Schluck des neuen Branntweingusses, der die klägliche Pfütze des letzten aufnahm tritt eine kleine Pfote im anhaltenden Protest gegen die eingeleitete Verwahllosung auf Grund von fehlenden Streicheleinheiten auf die abgewetzte, aber mit Schuhwichse behandelte Stiefelspitze. Theodore maunzt erneut anprangernd. „Es gibt viele Menschen, die zu einem anderen passen. Das zerstört vielleicht die Romantik, die wir unbedingt erleben wollen, aber das ist der Grund, warum wir uns überhaupt dieses Glück vorlügen dürfen. Sonst hätte fast niemand die Gelegenheit und wir wären alle nur Wanderer zwischen Einsamkeit, ersten Hochgefühlen und dieser notdürftig erfüllten Lust.“ Zwischen seinen Ausführungen greift der Entführer herab unter den Bauch des Tieres, das mit der Nötigung zur Aufmerksamkeit Erfolg zu haben scheint und hebt es an die Schulter. In der einen Hand der Alkohol, in der anderen der hintere Leib des einzigen Freundes, der sich tretelnd und schnurrend mit spitzen Nadelkrallen an die krause Wolle klammert und Fiona gänzlich ignoriert. Zuneigung bedeutet außerdem immer die Ablehnung einer anderen Person, wie der Mann zu Beginn schon sagte, als er Theodore vorstellte. Und der kleine Mäusefänger will seine nicht teilen. „Am Ende, wenn die Liebe verwelkt oder einer von beiden gehen muss vergessen wir jeden Schwur und jede Größe, die wir dieser Liebe aufbürdeten, wenn jemand anderes in unser Leben tritt und anfängt uns und sich anzulügen. Für beide.“


„Nein,“ entkommt es Fiona mit ungeahnter Vehemenz, wenngleich nicht viel lauter. „Ich werde Jonathan nie vergessen und niemand wird ihn ersetzen können. Seine letzten Worte an mich waren, ich wäre im Grau aller Farben die seine Welt ausmachen der leuchtende Stern und die Rose, das Veilchen und der Klee. Ich wäre alles, was für ihn leuchtet. Und das war keine Lüge, denn ihr vergesst, dass man um zu lügen auch eine Wahrheit kennen muss, die anders ist.“ Die junge Frau erhebt sich schleichend, macht kaum einen Laut und steht bald schon wieder auf eigenen Füßen, um die des Möbels, dem sie dank der schieren Größe kein Knarzen wert war, zu entlasten. „Denk an mich, wenn es so weit ist. Und kehre zurück, wenn dir etwas fehlt,“ gibt er ihr mit auf den Weg. Fionas Augenmerk bleibt nach nur einem energischen Schritt am großen Schatten der betrogenen Wachtel hängen, wie auch ihr Gehör an seinem erschreckend ruhigen Tonfall und diesem unerwarteten Angebot, das sie nicht zu deuten weiß. „Ihr lasst mich einfach so gehen?“ Sie entsinnt sich seiner Worte, doch warum dann das alles? „Ich habe was ich will,“ antwortet er mit sturem Fokus auf die Feuerzungen. In wenigen Stunden glimmen nur noch rote Lichtpunkte im Grauschwarz verstrichener Zeit. „Ich habe dir zu keiner Zeit gesagt, dass ich dich hier behalten werde. Es war deine Angst, die dir immer wieder aufbürdete zu glauben, dass du betrogen wirst. Deine Freiheit stand nie in Frage seit ich dich hier her gebracht habe. Wenn man sich hinter einem hohen Wall versteckt, der nicht ein mal das Sonnenlicht hindurch lässt, dann verpasst man den erlösenden Morgen. Deine Nacht ist vorüber. Vergiss nicht, das Tor zu öffnen.“ Etwas neues umgarnt die Silben des Herren in gediegen dunklen Farben. Ein Nebel der Enttäuschung, gepaart mit dem Windhauch der Gleichgültigkeit ihr gegenüber. Fiona steckt die Hände in die Taschen und macht sich schmal.


„Warum habt ihr mich hier her ent...“ Sie schüttelt ihr Haupt und unterbricht sich im Wort. Es ist keine Entführung, denn die Freiheit stand nie in Frage. Die Strähnen fallen und werden von Fingern mit angekauten Nägeln hinter das Ohr verbannt, an denen in Milch gebadete Reste schwarzer Hüllen haften, die sich in den Ritzen der Nähte versteckten, weil ein anderer Schneider nicht hielt, was er versprach. Seine Stimme unterbindet jedwede Korrektur. Es ist allzu leicht zu erahnen, was sie sagen wollte. „Weil dein Leib dabei war im Rinnstein zu erfrieren und deine Seele auszubluten. Götterfels ist nicht das Meer. Du warst die Flaschenpost, doch ich hege keine Absicht dich zu umarmen. Also geh und denke an meine Worte.“ Es fühlte sich fast wie eine Abfuhr an. Ein erschreckendes Empfinden, hergeleitet aus dem Willen von einem Retter, der er plötzlich sein will auch wie eine junge Frau behandelt zu werden. Doch Fiona ist es ihm nicht ein mal wert zurück zu sehen. Nur der türkisfarbene Sternenstaub sieht an seiner statt über die Schulter und fixiert den Rückzug der Konkurrentin um Aufmerksamkeit. Kein Blick zurück, das Licht wird kälter. Draußen verdunkelt der Schatten einer vorbeirollenden Fasskutsche die Fenster und das Türlicht. Das unterschwellige Donnern der beschlagenen Speichenräder und das Hufschlagen klingen wie das nahende Unwetter des täglichen Lebens nach diesem Ausflug in einen unwirklichen Winkel der ach so bekannten und grauen Stadt. Götterfels, das auch mit ihren unterschiedlichen Dächern und Farben auf wehenden Bannern nicht darüber hinweg täuscht, dass sich im Grunde nichts verändert. Der Türknauf weint um den Gast, bis er losgelassen wieder in seine Ursprungsstellung springt und hinter Fiona in den Riegel in den Rahmen wirft. Von außen hat die Tür keinen Griff, nur das Schloss im Maul eines Basilisken. Sie muss beim unpassenden Gedanken, man hätte sich überhaupt nicht formell verabschiedet die Lider zusammenkneifen um gegen widerkehrende Ausläufer des Schwindels anzukommen. Das helle Licht überanstrengt die müde Sicht. Einzelne Flocken fallen vom weißgrauen Himmel in die Schlucht neben der hohen Außenmauer im Salmaviertel und berühren eisig Fionas verborgene Sommersprossen.


Im Inneren geht der Mann ihr nur exakt fünf Schritte hinterher, neigt sein Kinn in Theodores Richtung und betrachtet das Gemälde mit der bleichen Gestalt, die von hundert Händen berührt wird. Der Zeigefinger hinter dem Ohr entführt den Kater in Sphären der unbeschwerten Glückseligkeit, während die tiefe Stimme ihm zuraunt, „Ist es das Bildnis eines geschändeten Leibes oder eines Mädchens, das Angst davor hat losgelassen zu werden, weil sie weiß, dass dieses Schicksal jeden erwartet?“ Der gefühlskalte Mann küsst den kleinen Kopf über seiner Schulter mit fallenden Lidern. Über der Tür vor dem Antiquariat erkennt man nur den Schatten eines einst angebrachten Schildes, weil das Holz vom Wetter gepeinigt Schlieren an der Wand hinab schickte.


Zehn Tage später....


Als sie über ihren scherzhaften Ausspruch zu lachen beginnt und die Hand aus alter Gewohnheit vor ihre bezaubernde Lippen hält, greift die Hand des Novizen nach ihrem Handgelenk. Zarte Röte, die kaum einer sah ziert seine sonst so ungesund bleichen Wangen. Warum sie wahrlich schreckt, erahnt er in diesem Moment nicht, doch dass es nicht an ihm liegt, zeigt sie ihm nur allzu deutlich.


Vierundzwanzig Tage später...


„Wofür sind die?“ fragt der andere Novize mit dunkler Haut und kahlem Haupt. Auch seine kleine, hellhäutige Begleitung mit Augen, die Fiona an Theodore erinnern sieht auf zu den blauen und weißen Tüchern, die die Decke in ihrem allzu kleinen Raum im Armenhaus des Marktviertels verhüllen. „Sie erinnern mich an die Freiheit,“ lautet ihre Antwort.


Dreißig Tage später...


Die Prunkvolle Tür erhebt sich wie die Mauer, die kein Licht durchlässt und das, obwohl die Sonne hier oben auf die Beschläge scheint. Rüstwerk reflektiert sie und blendet im Augenwinkel ohne sich zu rühren. Fiona erinnert sich an die Worte des Mannes im Antiquariat. Vielleicht verpasst sie den erlösenden Morgen, wenn sie vor der Angst kauert. Vergiss nicht, das Tor zu öffnen. Den Umschlag hält sie fest in ihren Händen. Die wenigen Seiten Pergament fühlen sich an wie ein Stein und just im Moment, als sie den Blick darauf richtet öffnet sich die Pforte durch die Hand eines Bediensteten und der Goldjunge lächelt ihr offen entgegen. Das Hemd geschlossen, kein Wein mehr an der Knopfleiste. Wölfisch, fast ein wenig Schadenfroh deutet sie sein unverschämt perfektes Schmunzeln und durch und durch offen dafür, die eigene Überraschung vor ihrem Erscheinen zum Ausdruck zu bringen. „Sieh an, Estefana.“ Doch sie korrigiert ihn selbstsicher nach einem tiefen Atemzug. „Fiona.“


Er hatte recht, sie würde ihn wieder sehen. Doch diesen anderen hatte sie dabei noch nicht im Sinn.


~Ende~

Kommentare 6

  • Die Formulierung mit dem Schwimmen in den Feldern, die fand ich gut!
    Der Titel ist aber zugegebenermaßen sperrig!
    Und der arme Herr Firth hat creepy Fans, ob er auch obskure Fanpost kriegt?
    Man war auch irgendwie erleichtert, als die da endlich raus war.


    Ansonsten: Hä? Die Novizen haben mich dann doch verwirrt.xD

    • Das am Ende war ein wenig Plot Service für die Beteiligten. Als Abrundung der Zusammenhänge.


      Und ja den Titel wollte ich kürzen, nehme ich zum Anlass das auch zu machen.

  • Hach schön, habe ich sehr gern gelesen. <3

  • <3