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Grausamkeit, Mord
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Der Mond gähnte hell über den schwarz wogenden Sandmassen. Was tagsüber eine gold gewellte Meereslandschaft voller Stillstand und Gnadenlosigkeit ist, wandelt sich des Nachts zu einer gähnend dunklen Leere. Doch es wäre ein Trugschluss zu glauben, dass die Dunkelheit und die gesenkten Temperaturen nicht mindestens das Nachtleben aus seinen Höhlen locken würden. Sich ausgrabende Spinnen und Käfer, aus ihren Gesteinshöhlen kreuchende Wüstenhunde und anderes, nachtaktives Wildgesocks sucht die Wüste heim. Von den langen Schatten des blassen Mondlichts angezogen durchstreunen sie die Landschaft, welche diese Nacht die Beklemmtheit eines kräuseligen und vergilbten Leichentuchs mit der Patina dicken Staubs birgt.
Ein langgezogener Tross durchschritt die Nacht mit bloß wenigen Fackeln, um kleinere Raubtiere abzuhalten und die verstreunten Menschen wie eine Herde in ihre Form zu zwängen. Wachen sind es, rekrutiert aus den eigenen Reihen, nicht viel mehr als ein halbes Dutzend. Völlig überfordert mit der Streckung einer Marschordnung, die zu Beginn des Weges noch kompakter aussah. Doch nunmehr klafften dick geschossene Lücken zwischen den Reisenden. Die Vorhut, die ersten, die sich hinter einem im Schritt reitenden Raptorführer versammelten, waren offenbar noch am stärksten auf den Beinen. Erst mit ein wenig Abstand folgte die Hauptgruppe und hinter ihnen, versprengt und rückwärtig, einige wenige. Schwach, ausgelaugt, einige mussten ausgehungert und verdurstet dem Wüstensand übergeben werden. Diese Flucht war auszehrend und beschwerlich.
Klicken. Der Abzug funktionierte, sein Spannhahn schwang wuchtig nach vorn, eingefasst in fein gegossenes Eisen. Sakrale Bildnisse darauf, Insignien mit eingeschlossenen Flammen, eine Ode an Balthasar, fein geätzt. Kein Schuss löste sich, denn das Trommelmagazin des Revolvergewehrs war nicht geladen. Der nach vorn zuckende Hahn erinnerte ihn an die Bewegung eines niederschmetternden Hammers, der mit Wucht auf die Patronenkammer zuckte und doch keinen Schädel zum Zertrümmern fand. Ein Blick durch das montierte Zielfernrohr mit simpler Zweifach-Vergrößerung auf den Weg, der vor ihnen lag. Unter ihnen. Die erhöhte Position an den Felsvorsprüngen, an den Klippen eines engen Passes, der in seiner Mitte einen windgeschützten Gang bot, sicherte eine taktische Überlegenheit. Eigentlich war ein Weg durch den Pass ein großer Umweg, wenn man nach Norden, nach Amnoon, wollte. Doch die sich vorbereitenden Männer auf der Klippe, mitten in der Nacht, hatten Vorkehrungen getroffen, welche diesem Moment weit vorausgingen.
Sie alle trugen schwere Gewänder. Rot gefärbter Stoff, mit orange versehenen Siegeln der Zaishen. Ein Gewand als Überwurf für die Rüstungen, die sie darunter anlegten und die hier und dort, an offenen Stellen in wenigen reflektierenden Momenten durch den Mond schimmerten. Genauso wie die Patronen golden funkelten, mit Ruhe in eine jede der sechs Kammern sortiert. Das einfassende, dünne Messing war beschrieben mit kultisch anmutenden Symbolen und Lobpreisungen an den Herrn von Krieg und Feuer. Bis auf das mechanische Geräusch eines drehenden Trommelmagazins war es ruhig. Wind pfiff von hinten über die glatte Anhöhe, wurde durch die scharfen Klippenkanten zerschnitten und heulte ähnlich gepeinigten Geistern. Doch die einzigen Geister, die sich hier befanden, waren sie. Zu dritt. Liegend, wartend, alle bewaffnet mit Präzisionsgewehren und der antrainierten Geduld eines Jägers. Priester, die ihre Waffen wie heilige Gaben verehrten und sie gleichzeitig nicht anders als der Holzfäller seine Axt behandelten.
Und dann waren dort sie.
Getrennt durch die gerissene Schlucht zwischen ihnen, als habe ein Riese mit seiner Keule einen Graben in einen Bergkamm geschlagen, stehen dunkle Gestalten. Fünf an der Zahl - allesamt hohe Kriegsdiener ihres Gottes. Auf den Geheiß des vordersten von ihnen, flankiert von den restlichen vier Soldaten, waren sie erst hier. Ein Kriegsmagier, eine schwebende Rüstung, infundiert durch Balthasars Macht höchstselbst. Das orangene Glimmen und züngelnde Flammen drückten die reinste Ergebenheit an Feuer, Krieg und Zorn aus. Der gehörnte Helm besaß statt Augen eine wabernde Masse, die entfernt an Lava erinnern sollte. Keine Augen, kein stechender Blick, doch die urteilende, fest stoische Haltung seines Gottes brandete durch das düstere Metall bis in seinen Verstand. Beobachtung; doch nicht von einem Fremden. Er wurde von seinem Gott selbst beobachtet, von den höchsten seiner Krieger, beobachtet durch einen strengen und unvergebenden Lehrmeister. Zwei der brennenden Seelen, die wahren Geister unter ihnen, trugen Gewehre ähnlich wie die eigenen. Dieses hier, das er hatte, war ein Geschenk aus den Kriegsschmieden ihrer neuen Verbündeten. Die Mündungsfigur, zierend und in schlicht abgedunkeltem Geschossmetall gehalten, war ein filigran gearbeiteter Löwenkopf mit aggressiv geöffnetem Maul. Klein genug um kein Zielvisier zu behindern; groß genug um Tod und Krieg zu speien.
Der behäbige Rückzug ihres Truppführers von der Kante gegenüber signalisierte ihnen allen, was folgen mochte. Denn ein Blick nach rechts, durch die Linse des Gewehrs verriet das Näherkommen der ausgelaugten Flüchtlinge. Zurückhaltung. Warten. Totenstille, die den Zaishen gefiel. Sie zogen sich alle einen dunklen, erdfarbene Tarnumhang über den Rücken und ließen bloß noch genügend Raum für Visier und Lauf. Der Zeitpunkt rückte näher. Vorweg ein stolzer Reiter der Sonnenspeere. Ein Paragon, der einzige, welcher dem Schützen als gleichwertiger Gegner erschien. Die restlichen Wachen, drei zu jeder Flanke, waren müßig gerüstet, fast gar nicht und die Bewaffnung, Speere und Fackeln, nicht viel mehr als die letzten Mittel von Bauern. Gewehrschützen an jeder Klippenfront, eine heranpolternde, zäh langsame Gruppe von Eloniern.
Der Momente war gekommen.
"Nur die Wachen." flüsterte er, der mittlere Schütze. "Und jeder, der sich wehrt." entgegnete der linke mit tiefer Stimme. "Nein." wurde kompromisslos erwidert. "Nur die Wachen."
Er sah das Elend der Flüchtigen, Opfer eines Kriegs, nach dem sie nie fragten. Wie wenig sie wussten, dass der heranrollende, nur eine Fingerkrümmung entfernte Morgen ihrer aller Erlösung und Aufstieg zu einem größeren Gut sein sollte. Sie töten nicht aus Grausamkeit und Blutdurst. Es sollte das nötige Übel sein, das sie irgendwann als Apologeten der Menschheit aus der verständnislosen Masse hervorhob. Ein flammendes Juwel, dessen Kostbarkeit auch ohne die Akzeptanz vieler Volksgeschwister lichterloh brannte.
"Anlegen.", wurde harsch geflüstert. Im hinteren Feld der schwach geschützten Gruppe kam Unruhe auf. Ein abgemagertes Kind stürzte und weinte.
Erhebt Eure Waffen, denn Ihr seid meine Soldaten und Ihr müsst standhaft, stark und tapfer sein.
Es waren Kinder unter ihnen. Viele, zwischen ihren Müttern und Vätern, manche allein. Waisenkinder. Wie er.
Wer weder zögert noch zurückweicht, wird belohnt werden.
Sie sahen alle ausgetrocknet aus. Ein halber Tag bis Amnoon noch. Und kein einziger von ihnen würde die schützende Stadt erreichen.
Dann werdet Ihr Ruhm erlangen.
Eine Frau mit leerem Blick. Hypnotisiert und ausgemergelt auf den platten Pfad stierend. Ein Mann, der versuchte ungesehen einer älteren Frau einen Trinkschlauch zuzuschieben. Sie brauchte es.
Dann wird man sich ewig an Eure Taten erinnern.
"Feuer!" Mehrstimmig dröhnte die Stimme des Kriegsmagiers über die Schlucht und klang in solch knurrigem Ton, als sei sie ein zweisilbiges Stoßgebet. Sofort schwenkte sein Visier auf eine Wache an der linken Flanke. Rasches Ausatmen. Der Finger krümmt sich.
Simultan donnerten hallende Schüsse durch die Schlucht und trafen zielsicher die Wächter an beiden Flanken. Nicht einmal eine Sekunde verging. Im ersten Moment war die Flüchtlingsmasse von Schockstarre erfasst, als ihre Wächter taumelnd, einer unsauber getroffen mit Geschrei, zusammenbrachen. Dann hielt der Paragon zur Front plötzlich inne, zog an den Zügeln, schwenkte seinen Raptor herum, erhob Rundschild und Lanze und brachte das Kriegstier herrisch in Bewegung um die Reihe der Flüchtlinge entlang zu reiten. "Bleibt zusammen! Flieht nicht!"
Die Trommel hatte sich ratternd gedreht. Die nächste Gewehrpatrone lag zum Abschuss in ihrer Kammer bereit. Klickend, dann einrastend, wurden Hähne gespannt. Während seine beiden Kameraden an der Front und dem rückwärtigen Feld Kugeln in den Dreck setzten, um die Masse an der Flucht zu hindern, schoss er selbst auf den Reiter. Ausatmen. Vorhalten.
Der eintreffende Schuss löste sich in einem flimmernd goldenen Magieschild auf. Den Zaishen brachte es zum Zähnefletschen. Zäher Bastard. Sein von Schlieren durchzogenes Schild begann sich rasch aufzuspannen, sitzend auf dem Raptor, die linke Flanke unter vollen Schutz bringend.
Doch derweil hielt sich die Masse absolut nicht an die Warnschüsse. Sie wollten zerstieben. In alle Richtungen, nach vorne, nach hinten, aufgescheucht, Kräfte mobilisierend, die viele von ihnen nicht hatten. Zwei Kinder waren die ersten, totgetrampelten Opfer, als in der engen Schlucht Panik aufkam.
"Schneidet den Weg ab. Drei zur Front, zwei zum Rücken." Die Order des schwebenden Kriegsmagier brachte die schwer anmutenden, von Heil erfüllten Rüstungen in Bewegung. Sie stürzten sich die Klippe herab, landeten schwer im Sand. Dumpf, brachial, bulliges Gewicht von emotionslosem Eisen. Schneller, als jedes natürliche Bein funktionierte, schnitten sie den fliehenden Massen den Weg ab. Kerkerten sie ein. Der Anführer der Geschmiedeten, dieser Magier, dessen reinste Essenz das Feuer zu sein vermochte, schwebte zur direkten Konfrontation auf den Paragon zu. Aggressiv, mit Balthasrs Entschlossenheit. Ein geheiligter Kampf. Brachial am Hals gepackt wurde der elonische Sonnenspeer aus seinem Sattel gezerrt und zwei, drei Meter weit geworfen. In der Nacht Staub und Sand aufwirbelnd entstand die Szene eines erbarmungslosen Kampfes in enger Schlucht, dem sich keiner aus der kauernden Menschenmasse nähern wollte. Fauchend loderten die Angriffe des Magiers auf den Paragon ein. Kniend verbarg er sich hinter seinem magisch verstärkten Schild.
Keine Zeit für einen langen Kampf.
Eilig klappte der Zaishen sein Magazin auf. In die leergeschossene Kammer legte er nach nicht einmal Bruchteilen des Überlegens eine besondere Patrone ein. Siegel, die auf dem Messing eingebrannt schienen, glühten nach einem kurzen Gebet auf. Leise schabend fügte sie sich in die runde Form.
Einatmen. Den Hahn spannen. Ausatmen. Feuer.
Das Knallen war laut, der Flug hingegen zog ein schrilles Pfeifen nach sich und die Kugel sirrte langsamer als viele ihrer Geschwister durch die Luft. Hell orange schob sie sich durch die Schlucht, wie ein rasendes Glühwürmchen in linearer Strahlenbahn. Ein Knacken. Hässlich laut. Erst das Durchbrechen des gewobenen Schutzes, dann das Eindringen tief ins Rückgrat. Präzise Tödlichkeit schießt mit gleißend verbrennender Hitze dem Sonnenspeer seinen Nacken hoch, ehe er umstürzt und wie ein fetter Sack lebloses Fleisch in hübscher Rüstung zu Boden geht.
Sein goldenes Sonnenamulett fiel mit ihm in den Staub.
'Diese Sonne mag für euch untergegangen sein...', dachte sich der Schütze, der nach seinem tödlichen Abzugdruck einen Blick über die Masse warf, welche sich eingepfercht durch die Geschmiedeten sah. '... doch die wahre steht schon am Horizont. Bald. Sehr bald.'
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