Der kleine Jack

Er war Jack. Der "kleine" Jack. Ein Zerstörer von Welten, der Schatten über der Stadt, der Bösewicht in jeder Geschichte.


"Iehh! Daf ift eklich Schäck, schau mal fie daf trofft!"

Wilma war nicht so begeistert von seiner Machtdemonstration. Diese kleine Bachforelle zappelte zwischen seinen Milchzähnen und hatte eigentlich viel mit ihm gemeinsam - Jung, aus dem Lebensraum entrissen und irgendwie eingesperrt. Aber gerade fand er das Zappeln zu lustig. Die Schwanzflosse wackelte in der Luft rum wie die Puppe seiner Schwester, als er ihr letztens noch den Arm abbiss. Der Puppe, nicht der Schwester.


Ein paar Momente nach Wilmas Ekel zog er sich mit kaum geöffnetem Gebiss den Gefangenen aus dem Schlund und raspelte ein paar vereinzelte Schuppen an den scharfen Zahnkanten ab. Das fand sogar Jack eklig. Er ließ den jungen Fisch fallen, der auf einen nahen Stein knallte und fast tot war. Ein bisschen zappelte er noch, aber bestimmt nicht mehr lang.

"Pff! Phhh pah!" Irgendwie versuchte er jetzt die kleinen festen Schupplein auszuspucken und sich von der Zunge und den Zähnen zu puhlen. Das wiederum erheiterte seine kaum ältere Freundin.


"Hahaha, thein Geficht! Du fiehst so thoof auf!" Am Anfang kam er sich auch wirklich ziemlich doof vor, weil er es nicht mochte, von Wilma ausgelacht zu werden. Aber dann ... sie hatte Spaß, wie er sich ekelte und wie er das unternahm, was sonst eigentlich - aus gutem Grund - kein Erwachsener tun würde. Ihr Lachen war ehrlich und irgendwie gefiel es ihm, wie sie mit ihrer riesigen Zahnlücke dabei aussah. Sie hatte sonst nicht so viel Gründe zu lachen und erst heute wurde sie von ihrem Vater wieder kräftig geschimpft, da war es nur gerecht, dass sie auch lachen durfte.


Es klickte in seinem infantilen Schädel. Er hatte sie. Und nun war an Aufhören nicht zu denken. Diese Aufmerksamkeit und das Lachen gefiel ihm. "Warte mal, ich hol mir noch so einen. Mein Onkel wird voll neidisch." Das junge Mädchen im Sommerkleid, das am Saum schon nass und etwas dreckig braun war, wollte irgendwie noch protestieren, aber brachte am Ende nur ein leises Grunzen im Hader mit sich selbst hervor. Ihre Eckzähne bissen sich auf die Unterlippe, denn Frontzähne waren keine da.


Vollkommen unelegant musste er bei seinem Platscher in den ruhigen Bachlauf sämtliches Wild verscheucht haben. Aber es ging ihm ja auch nicht wirklich um die Fische. Seine einfache Kleidung sog sich mit dem kalten Wasser voll und für ein paar Momente wurde es still um ihn herum. Das hier ekelte ihn eigentlich wieder an. So hatte er sich das gar nicht vorgestellt. Denn er war nicht nur untergetaucht, sondern hatte sein Gesicht und seinen Körper auch auf den Boden des Wildbachs gedrückt, um absichtlich dreckig zu werden. Zwar verstummte beiweilen das Gelächter der zahnarmen 'Prinzessin', da sie es nach gut fünf Lidschlägen schon mit der Angst zu tun bekam, er könne nicht wieder auftauchen, aber Jack wusste, was er tat. Als er auftauchte, prustete und spuckte er Wasser und aufgeweichten Dreck, schüttelte den Kopf wild und sog irgendwie Luft ein, nur um sie kurz darauf wieder kräftig auszupressen, damit er all den Schlamm aus der Nase und dem Mund bekam.


Wilma war erleichtert, dass ihr liebgewonnener Trottel wieder an der Oberfläche war, aber auch hellauf belustigt, weil er sich mal wieder dreckig gemacht hatte und all den ekligen Schlamm den bestimmt seit Jahren niemand mehr angefasst hat von der Zunge schaufeln musste. Und mit jedem Mal, wenn er sich nun prustend und schnaufend mit den Händen durch das Gesicht fuhr, schien er den Schlamm zu verdünnen und zu verteilen. Am Ende glubschten zwei Augen aus dem dunklen Dreck. Als er langsam wieder ans Ufer ging, schüttelte er sich, popelte Schlamm aus den Ohren und der Nase und das alles, während sie ihn auslachte.


"Hab keinen ... gefunden." Zwischenzeitlich musste er ein paar kleine Schlammkörner ausspucken. Wilmas glockenhelles Lachen endete gerade, als ihr die Wangen zu schmerzen anfingen, da sie einen bekannten und schmächtigen Mann nahen sah. "Schäck.. Schäck! Hör auf! Dein Onkel!"


Womit sollte er denn aufhören? Er musste sich doch irgendwie sauber machen und außerdem hatte sich irgendwas Schleimiges an seiner Wade verfangen und irgendwie wollte er gleichzeitig das an ihm klebende Hemd von der Haut ziehen und - "... ah! Auauauauaa!" Mit festem Griff packte ihn sein Onkel am rechten Ohr und es fing gleich an zu glühen.

"Du verdammter Taugenichts. Schau an wie dreckig du bist! Du sollst doch nicht in den Bach springen! Was habe ich dir über die Skale erzählt?"

Onkel Cassius drehte das Angesicht mit roter Nase und müden Augen Wilma zu und nur hier entkräftete sich die kränkliche Wut des Mannes. "Du solltest auch zurück nach Hause, Wilma. Und .. erzähl deinen Eltern bitte nichts davon, ja? Grüß deine Mutter aber gut von mir. Ich freu mich wenn sie das nächste Mal zu Besuch kommt." Das junge Mädchen war von der ganzen Situation zu eingeschüchtert, also nickte sie zügig und sah ein letztes Mal zu Jack, bevor sie sich umdrehte und mit eiligen, kleinen Schritten auf den Feldweg zuhielt.


Sie hatte gelächelt. Am Ende hatte sie gelächelt, er hat es doch genau gesehen und das Lächeln war nicht für seinen Onkel, das war für ihn. Während er daran dachte taten auch die Schläge und Schimpfwörter gar nicht so sehr weh.


Morgen würde er sich irgendwas anderes ausdenken. Vielleicht biss er einer Schabe den Kopf für sie ab. Oder er könnte in einen Ameisenhaufen fallen. Hauptsache sie sollte lachen und nicht mehr so traurig aussehen.

Kommentare 2

  • Oh, wie liebreizend! Ich finde die Szenerie so schön eingefangen. Hach.


    Aber dem Onkel, den sollte man Mal die Ohren langziehen, ey!

    • Ja so sind sie, die kleinen Kinder. Gerne mal irgendwo zwischen liebreizend und eklig. :D