Der Gebrandmarkte im Spiegel einer Seele

Der beißende Geruch von Alkohol bohrt sich in die empfindliche Nase des wilden Mannes. Wie ein unsichtbarer Teppich wabert er über den rauhen Holzboden und aus den schäbigen Kabinen. Der Wilde riecht feuchtes Eichenholz, menschlichen Urin und Galle. Während sich die junge Maid neben ihm hier in den schmutzigen Toilettenräumen einer Schenke ekelt, weckt der fremde Geruch in ihm das lang vergessene Verlangen nach süßem Wein. Doch er steht still und schweigt. Der Wilde weiß - hier in der Hauptstadt der Menschen muss er für das was er sich nimmt mit Geld bezahlen und das kann er nicht.
"Auf den Dielen dürft ihr nicht zu viel herumschrubben, kapisch? Ganz sauber wirds eh nicht. Seht her ihr zwei, da vorn haben eure Deppen von Vorgängern den Boden schon ganz aufgerubbelt."
Vernimmt er die raue Stimme der Wirtin. Es fällt ihm schwer sich auf den Inhalt ihrer Worte zu konzentrieren. Andere Geräusche nimmt er mit höchster Aufmerksamkeit wahr - das Knacken von Unterholz, das Rufen aufgeschreckter Vögel, das Rauschen einer möglichen Wasserquelle - aber hier im steinernen Haus schweigt die Wildnis und dennoch stören ihn die menschlichen Stimmen. Hier unter Menschen fühlt er sich unwohl. Umher getrieben und angespannt wie wenn er eine unbekannte Höhle betritt und nicht weiß, ob er Bären oder anderen Gefahren begegnen wird.
"Einfach einmal durchwischen. Wenn da irgendwo Kotze oder sonstwas ist müsst ihr natürlich gründlicher putzen, dass alles was mockt weg kommt ist das Wichtigste."
Dabei sollte er hier, weit hinter den Stadtmauern doch vor wilden Kreaturen sicher sein? Nein, sein Gefühl hat ihn nicht getäuscht. Eine Bewegung! Den Wischmop, den man ihm in die Hand drückt, bemerkt er kaum. Nur wie das Blut in seinen Adern gefriert. Da! Ein violettes Leuchten unter einer der Toiletten. Hat er da nicht gerade noch eine Kralle gesehen? Er fühlt, wie sich jeder Muskel seines Körpers anspannt und die letzte Kraft in seine erschöpften Glieder gepumpt wird. Angriff oder Flucht? Dort! Ein kristalliner Schwanz! Ein Gebrandmarkter unter dem Waschtisch und er stiert den Wilden gierig an. Während die Wirtin ahnungslos weiter spricht, brennt in seinen Händen der Trieb, sich mit dem Wischererstil zu verteidigen, das obere Ende wie einen Speer zu erheben und nach dem Kopf der Bestie zu stoßen. Aber er tut es nicht. Er regt sich nicht, hält ganz still. Mit gewaltvoller Selbstbeherrschung zwingt er sich, seinen Instinkt zu ersticken,
zu erstarren,
nicht zu reagieren,
keine Angst zu zeigen,
nicht zu schreien.


… ein Gebrandmarkter, mitten in Kryta? Meilenweit vom Brand entfernt und mitten im Keller einer Schenke? Und dennoch ist er hier und vermutlich nicht minder eine tödliche Gefahr. Ob ihn jemand hier platziert hat, vielleicht ein perfider Anschlag?
Während der verdorbene Felsenhund die drei Menschen kampflustig näher kommt und das Blut in den Ohren des Mannes pocht, kehrt er seinen Blick stattdessen den Frauen zu. Die Jüngere fletscht die Zähne - nein sie lächelt die Wirtin an. Keine der Beiden schenkt der lauernden Gefahr einen Blick. Er mustert ihre Mimik gründlich, sucht dort nach Zeichen. Sie sträuben nicht das Nackenfell, ihre Augen weiten sich nicht, sie riechen nicht nach Angst. Haben sie die Kreatur etwa nicht bemerkt? Sollte er sie warnen? Angreifen, bevor es zu spät ist?


Unsicher bemüht sich die Schankwirtin, dem Blick des Fremden stand zu halten. Er ist schon die ganze Zeit still und angespannt und nun sieht er sie wieder mit diesem reglosen Starren an, das sie kaum einordnen kann. Er wirkt als würde er tief in ihre Seele blicken und das was er dort findet, mit seinen kalten dürren Händen packen. So verschroben und menschenfern wie keine der seltsamen Gestalten, die bisher ihre Schenke betreten haben. Hätte er sie nicht ohne jeden Stolz angefleht ihm in ihrer Wirtschaft Unterschlupf zu gewähren, würde ihr Misstrauen wohl überwiegen. Und warum glüht der Blick des Vagabunds so voller Hass? Hat sie etwas falsches gesagt? Oder ist es ihm doch zu nieder, für das Bett im Dachgeschoss und eine warme Mahlzeit am Tag Klos zu putzen? Dabei riecht sein zerrissener Mantel selbst nach wildem Tier! "Habt ihr noch Fragen?" Erkundigt sie sich um die quälende Stille zu brechen.


Einen viel zu langen Moment steht er nur da und starrt sie an. Schließlich hört er sich ein kühles "Nein." antworten. Der Gebrandmarkte steht inzwischen direkt zwischen ihnen, leckt sich die spitzen Kristallzähne und mimt die Kreatur dessen Seele der Kristalldrache vernichtet und dessen Körper er verdorben und ergriffen hat. Er spürt die elektrisierende Präsenz des Brandes, hört das rasselnde Schnaufen. Der knurrende Drachendiener unverkennbar vor ihm und er sucht verzweifelt nach einem Grund zu kämpfen. Aber so sehr er sich auch bemüht: In den Seelenspiegeln der Wirtin kann er den Gebrandmarkten nicht entdecken. Das verunsicherte Lächeln in ihren Augen gilt nur ihm.
"Dann fangt mal an, das Klo putzt sich nicht von allein!" Meint diese gerade.
Er fühlt die Spannung in der Luft, so nah ist ihm das Kristallwesen nun, er fühlt die panische Lebensangst in seinen Gliedern, gepeitscht von seinen ascalonischen Instinkten. Aber er weiß - Er muss funktionieren. Er darf nicht nachgeben und aus der Reihe tanzen, wenn er ein Mensch sein will. Gewaltsam ignoriert den Schmerz in seinen Fingern, weil er den Wischmop so fest gepackt hält und nickt starr. Obwohl er seine Worte gegen das ohrenbetäubende Brüllen des Drachendieners selbst nicht hören kann, hält er die Stimme gesenkt. "In Ordnung." Mit steifen, langsamen Bewegungen taucht er den Mop in den Wassereimer. Während er blind zu putzen beginnt, kneift er die schmalen Lippen krampfhaft zusammen, um die Worte in seinem Kopf nicht zu schreien - er kann dich nicht berühren! ER KANN DICH NICHT BERÜHREN!

Kommentare 4

  • Oh! Cool! Ich mag's wie er abgleicht was Wirklichkeit ist und was nur Einbildung. Gerade das Bild von dem Gebrandmarkten, der zwischen ihm und der Wirtin steht, und James der nur anhand ihrer Augen weiß, dass das nicht sein kann. Das gefällt mir gut.

  • Sehr beklemmend, aber gut!