Über Trauer und ein Fass ohne Boden

Immer wenn er traurig ist, verkriecht er sich in der Nische zwischen Zimmerecke und der Seite des schweren Kleiderschranks. Dort ist es eng und warm. Die massive Wand des Möbelstücks riecht angenehm nach Holzpolitur und erinnert ihn an sein altes Kinderzimmer. Von der Heizung unter dem Fenster weht warme Luft hinüber, sie ist etwas trocken, aber das stört ihn nicht. Sanft streichelt der Saum des Vorhangs den Teppichboden vor ihm. Er ist dunkelblau und schwer und wenn er ihn zurück zieht, verbirgt der dicke Stoff sein Geheimversteck gänzlich. Er versteckt sich gern in diesem Spalt, meistens abends, oft nachts wenn er nicht schlafen kann und manchmal auch am Morgen, wenn er dem neuen Tag eigentlich noch nicht entgegentreten will. Obwohl es so eng ist, dass er fast eingeklemmt ist, findet er es sehr schön und gemütlich dort. Sein Bett ist zwar auch schön und gemütlich, aber wenn er allein ist, ist es nicht mehr angenehm groß sondern nur schrecklich einsam und leer. Dann ist er traurig, weil niemand bei ihm liegt oder auch nur neben dem Bett sitzt und wartet, bis er eingeschlafen ist. In der Ecke hinter dem Kleiderschrank aber, fühlt er sich als würde ihn sein kleines Zimmer fest umarmen und er fühlt sich sicher in der kleinen Burg.


Am heutigen Tag ist er traurig, weil er enttäuscht wurde. Er hatte Geburtstag, aber diese eine Person, die ihm so wichtig ist, hat ihn einfach vergessen. Drei Wochen lang war er sich sicher, dass die Boten aus der Stadt nur sehr lange brauchen würden, um seinen Geburtstagsgruß zu überbringen, dass er noch Post bekommen würde, aber jetzt hat er die Hoffnung aufgegeben. Nicht einmal eine einfache Postkarte hat dieser Eine ihm geschickt, eine Postkarte wie die anderen, mit einem hübschen Bild und einem inhaltslosen, unpersönlichen Text. Eigentlich weiß er doch, dass er von ihm geliebt wird. Wenn er ihn aus tiefstem Herzen anlächelt, dann weiß er es, oder wenn er seine Arme um ihn schmiedet und einfach nicht mehr loslässt. Und trotzdem genügt so wenig, dass er wieder daran zweifelt, ob er wirklich liebenswert ist, ob er überhaupt irgendeinen Wert hat.


Er spürt, dass er schon wieder zu viel nachgedacht hat. Er fühlt es vor allem in seinem Körper, wie ihm heiß und kalt zugleich wird, jede Kraft aus seinen schwachen Armen schwindet und ihm das schwere Herz bis zum Halse schlägt. So fest er kann drückt er ein Kissen sich, als könne er damit das Loch stopfen, dass sich schon wieder in seiner Brust aufgetan hat. Er fühlt sich fürchterlich. Aber irgendwie hat er sich an die häufigen Nervenzusammenbrüche gewöhnt. Hier zuhause ist er sicher. Früher oder später wird jemand herein kommen und nach ihm sehen. Erst im Bett, dann hinter dem Vorhang und dort wird man ihn finden, zusammengekauert und zitternd in der Zimmerecke. Eigentlich ist das Gefühl der Trauer gar nicht so schlimm. Es gibt schlimmeres, Hass zum Beispiel. Wenn er traurig ist, dann weiß er, dass ihm etwas fehlt das er gern hätte. Sei es, weil er es verloren hat, oder weil er es nie haben konnte, wie zum Beispiel seinen Traumberuf oder ein leibliches Kind. Trauer erscheint ihm schon fast heilsam, denn das was ihm fehlt würde er sich selbst wirklich gern geben. Wenn er hasst, dann hat er nicht einmal das, sondern nur die brennende Zerstörung.
In dem Glauben also, dass er sich etwas Gutes tut, gibt er sich wieder den tonnenschweren Gedanken hin.


Manchmal fragt er sich, ob die anderen überhaupt auch nur ansatzweise Schuld daran haben, dass es ihm schon wieder so schlecht geht, Eigentlich ist das Gefühl in ihm immer die selbe Trauer, sei es nun weil eine Freundin plötzlich nur noch um ihre neue Liebe kreist und nicht mehr um ihn, weil die Nachbarskinder schon wieder die Straßenseite wechseln, wenn sie ihn sehen oder weil er sich daran erinnert, dass er keine Familie hat.


Er fragt sich, warum er eigentlich so liebesbedürftig ist. Er hat einfach alle lieb. Die Priester und Novizen natürlich, viele der anderen Bewohner dieses großen Hauses. Besonders nah ist ihm auch das tiefrote Eichhörnchen, das er verletzt im Palastgarten aufgesammelt hat, der ascalonische Riese der eigentlich geschlachtet werden sollte und einmal hat er sogar eine Henne adoptiert. Den größten Platz in seinem Herzen haben wohl sein Gefährte und die fernen Erinnerungen an seine Eltern. Aber auch dieser Eine, jener der gerade seinen Geburtstag vergessen hat, gehört dazu. Natürlich hat er alle seine Freunde sehr lieb, aber mit diesem Einen hat es ihn besonders erwischt. Als er noch vollkommen allein war hätte er nicht gedacht, dass er sich in mehrere Menschen verlieben könnte. Und dann auch noch so stark. Warum ist er also so liebesbedürftig? Ist das einfach sein Charakter? Oder ist es auch ein Resultat seiner Krankheit, so wie der Ekel vor Essen und die schlaflosen Nächte?
Warum scheint er sich in jeden zu verlieben, der ihm körperliche und emotionale Nähe gibt? Warum kann er nicht auch mal einfach jemanden hassen, also jemand anderen als sich selbst? Sich einfach mal nicht gefallen lassen, wie manch einer ihn behandelt, anstatt jedem kläglich hinterher zu laufen?


Er erinnert sich an Worte, die seine Mutter vor langer Zeit gesprochen hat. So lange ist es her, dass er sich fragt warum er sie noch so genau vor Augen hat. “Wer sich selbst nicht liebt, kann auch von anderen nicht geliebt werden.” hat sie damals gesagt. Damals hat er nicht gefragt, warum das so sein sollte und so versteht er es noch heute nicht. Aber heute ist es zu spät um sie danach zu fragen.


Eigentlich dachte er immer, es sei etwas Gutes, dass er der Liebe Anderer niemals überdrüssig wird: Solang es ihm möglich ist, würde er niemals die Einladung eines Freundes ablehnen. Schon zwei mal ist er spontan in die bitterkalten, verhassten Zittergipfel geritten, weil eine geliebte Person dorthin geflohen ist. Beiden ist er sofort gefolgt, weil er wusste dass sie seinen Trost gebrauchen konnten, ohne ihn jemals darum gebeten zu haben. Egal was geschehen ist, jemandem dem er einmal nah war, würde er immer wieder verzeihen. Nie mag er jemanden nicht oder will allein sein. Nie möchte er nicht mit seinem Geliebten kuscheln und nie vergeht ihm die Lust nach Nach dessen Nähe, egal wie heiß und innig sie sich an diesem Tag schon geliebt haben. Er ist für jeden einzelnen Augenblick dankbar, den ein Anderer ihm freiwillig schenkt. Manchmal, wenn er in den Armen seines Gefährten liegt, versucht er die ganze Nacht lang wach zu bleiben, weil er keinen der kostbaren Minuten verpassen will, in denen er seine Nähe genießen kann.
Er dachte immer, es sei etwas Gutes, dass er, treuherzig und loyal wie ein Hund, niemals genug Liebe bekommen kann. Aber vielleicht, so kommt ihm der Gedanke, ist er einfach wie ein Fass ohne Boden. Vielleicht war es das, was seine Mutter meinte. Denn so sehr er es auch zu schätzen weiß, können sein Gefährte, seine Freunde und die Priester endlos ihre Liebe in dieses Fass hinein werfen und dennoch ist er ständig traurig und immer der Überzeugung, nicht mehr als ein wertloser Haufen Scheiße zu sein.






Kommentare 7

  • Ach Mensch. Q__Q <3
    Ich weiß natürlich, wer seinen Geburtstag vergessen hat.


    Die Geschichte liest sich einfach absolut nach James. Ich mag das sprachliche Bild von dem Zimmer, das ihn umarmt. Beim Lesen bekommt man das starke Gefühl, ihm helfen zu wollen, ihm einfach mal etwas Glück zu geben, aber es kann schon sein, dass es so ist wie er das ja auch selber sieht, nämlich dass er niemals wirklich glücklich sein wird, egal wie viel Liebe man ihm gibt und das stimmt mich irgendwie sehr traurig.

    • Ja dieser kackarsch D: Da hat der idiot noch genau nen Monat vor ihm Geburtstag und James schickt ihm eine liebevoll geschnitzte Figur... naja.


      Ahw das freut mich sehr. Allgemein will ich ja starke Gefühle mit den Geschichten vermitteln und wenn mein Rp und meine eigene Vorstellung als Geschichte ausgedrückt so gut zusammen passen, ist das natürlich ein Lob :D
      Ich hätte in der geschichte aber noch mehr verdeutlichen können, dass es ihm Liebe doch sehr viel bringt. Nur *schnipp* und seine Probleme sind verflogen geht eben nicht.

  • Sehr bedrückend gut geschrieben, hält für mich allerdings nur haarscharf die Waage zwischen Melancholie und Kitsch. Man will den Protagonisten ja verstehen, man fühlt ja mit ihm, aber einerseits, wenn ich mir vorstelle, er würde das alles vor mir laut aussprechen, verdrehe ich seufzend die Augen, weil es doch zu melodram ist. Diese poetischen Sorgen kann ich nur bedingt ernst nehmen, obwohl sie so realistisch und tragisch sind.
    Dennoch ist das ein sehr schön geschriebener Einblick, der sich gut liest.

    • Danke fürs lesen und das ehrliche Feedback! :D Damit dass es kitschig wirken würde, habe ich überhaupt nicht gerechnet. Als Spieler dieses Chars sehe ich seine Gefühlswelt schließlich in voller breite. Zumal das ja auch noch das kleinste seiner Probleme ist, wie er selbst andeutet. Was genau führt dazu, dass du es nicht wirklich ernst nehmen würdest?

    • Die poetische Art, mit der du das tragische Ausmaß seiner Probleme schilderst. Es wirkt nicht schwermütig und betrübt, sondern auf romantisierte Weise melancholisch. Traurigkeit als Lebensgefühl. Ich weiß nicht. Mich berührt diese Schilderung leider nicht so wie sie sollte. Mir scheint, er wolle nicht ernsthaft etwas an seinem Zustand ändern. Er leidet zwar drunter, aber es wirkt, als würde er irgendwo auch... gern leiden.

    • Oh, jetzt verstehe ich was du meinst. Nun, das könnte ... möglicherweise... an den, erm, romantisierten Gefühlen des Autors für diesen Char liegen *HUST*
      Aber ja, so genau habe ich zwar nie drüber nachgedacht, aber ich merke dass du den Nagel so ziemlich auf den Kopf getroffen hast.
      Dazu muss ich aber auch erwähnen, dass der Char echt tief in der Scheiße steckt. Von Anfang an, das war Teil des Charakterkonzepts. Es geht zwar stetig Berg auf mit ihm und das ist toll zu sehen, aber so eine Charakterentwicklung kann gut ein ganzes Leben dauern. Oder zumindest viele viele Jahre. Er hat definitiv üblere Probleme als Traurigkeit und wenn er einfach nur gemütlich bei einem Freund sitzen darf und ein bisschen umarmt und getröstet wird, dann ist er schon sehr zufrieden mit seiner Situation.

    • Ich glaube, wie seine Mutter erkannt hat, wird ihm das nie reichen, wenn er nicht einen Durchbruch bei sich selbst schafft.