Kälte



Sie kniete am Ufer des Baches und wusch das letzte Morgengeschirr ab. „Wie kann er-…? Warum… sagt er…?“ Gedanken jagten sich im Innern ihres Kopfes und blieben doch unbeantwortet. Ihr pflanzliches Herz schlug wild in ihrem Innern. Pumpte unentwegt ihren goldenen Saft durch den Körper. Zur
rötlichen, lodernden Wut… „Wie kann mein Schüler es wagen…?“ … mischte sich die zermürbende ockerne Verzweiflung… „Wie konnte er die Narben sehen? Ich war doch nicht nachlässig… Oder?“ Gefühle hetzten sich hinter der grauen Wand, überschlugen sich, brachen aber nicht aus. Finsternis, Schreie, Höflinge mit erhobenen Peitschen. Bilder ihrer frühesten Tage flackerten auf. Alter Schmerz durchzuckte sie, als sie zurückversetzt wurde. Sie konnte spüren wie ihr Saft aus den Narben floss, wie die Angst sie vereinnahmte. Sie versank, überwältigt in der Tiefe ihrer Vergangenheit. Blutroter Hass liess sie emporsteigen, vernebelte ihre Sicht für kurze Augenblicke.


Kurz verkrampften die Rankenstränge innerhalb ihrer rechten Hand, knirschten, als sie ihrem Hass für einen Moment Ausdruck verlieh. Dann stellte sie mechanisch den bereits gesäuberten Becher aufs Tablett und kam leicht wankend auf die Beine. Der Sturm aus Gedankensätzen, Emotionen und Bilderfetzen vermischte sich, kreuzte sich und gebar einen Orkan, der hinter verschlossenen Riegeln tobte und schrie. Dann watete sie mehr wie ein mechanisches Wesen anstatt eine Sylvari durch den niedrigen Bach auf ihren Kessel zu. Diesen schmiss sie bei der Ankunft in hohem Bogen ins kalte Wasser, ehe sie ihre verbrannte Rechte ins kalte Wasser tauchte.



Kälte


Anstatt den Kessel aufzuheben, setzte sie sich ins Wasser. Kühles Nass begann sanft ihre Hüfte, ihre Beine zu umspülen. Sie nahm den Kessel an sich, dessen Metall bereits ausgekühlt ist. Ein Seerosenblatt aus nächster Nähe diente als Lappen. Schweigend begannen ihre Hände den Kessel ins Wasser zu tauchen und mit dem Blatt über die Innenseite zu wischen. Reste von Haferbrei flossen beim erneuten Eintauchen langsam davon, dem Bachlauf entlang. Wieder eintauchen, darüberwischen, ausleeren. Der Vorgang wiederholte sich in seiner Monotonie. Kälte ziepte an den Spitzen ihres Blättermantels, wurde eingesaugt und zirkulierte entgegen ihres aufgebrachten Herzens.


Feuerrot… Ockerfarben… Schwarz… Blutrot… Wut… Verzweiflung… Schmerz… Angst… Hass…

Sie warf den nun gereinigten Kessel zum Ufer. Doch sie wollte nicht aufstehen. Die Kälte dämpfte den Schmerz und die Wut. Wenn sie nur ein wenig länger drin blieb… Länger sich der erfrischenden Kälte aussetzte… Sie liess das Seerosenblatt los, welches zerknittert davontrieb. Ihre Linke streifte ihre Kapuze vom Kopf, als sie sich hinten absenkte und sich auf den Rücken legte. Dunkelrosane Seelenspiegel, die starr auf ihre Arbeit fokussiert waren, schlossen sich, ehe sie den Himmel sah.




Nun lag sie da. Ausgebreitet im Bach, umspült von Kälte. Kälte, die in jede Blattpore drängte, sich breit machte. Bis sie anfing zu zittern. Ihre Blätter erbebten im Wasser, als wäre sie im Norden der Zittergipfel. Umgeben von Eis und Schnee. Gedanken jagten noch. Emotionen kochten und vermischten sich, färbten die Innenseite ihrer Wand zu ihrem Abgrund. Sie malten Bilder von Qualen, von Panik, von Hilflosigkeit. Die Gemälde zerrten sie tiefer in sich, zwangen sie wieder zu durchleben.


Doch an den Rändern blasste langsam die Farbe aus. Sich ausbreitende Kälte überzog alles. Erst langsam die äussersten Ränder. Frass sich unerbittlich immer weiter. Zirkulierte wie der goldene Saft in ihren Adern. Schwere breitete sich in ihren Gliedern aus. Dämpfte ihren Orkan. Immer mehr verlor dieser an Kraft und Wucht. Bald schon tobte er nur noch schwer atmend, mühselig durch das Innere.


Blassblau… „Was denkt er wohl über seine Meisterin?“ …Bitternis… „Vermutlich hält er mich für schwach…“ Scham spannte sein Netz über die restlichen trägen Gefühle. Sie umwickelte sie, hüllte sie ein. „Vielleicht verabscheut er mich oder hat Mitleid…“


Träge flossen die Gedanken nun dahin, um zu jagen, fehlte der Elan. Die Gefühle froren ein, an ihrer Stelle machte sich etwas anderes breit. Ranken ihrer Vergangenheit lösten sich Stück für Stück auf, als die Kälte ihre Bilder zersetzte. Löschte die Farben aus. Selbst das Blassblau ihrer Scham verlor seine Kraft. Bis nichts mehr übrig blieb. Keine Farbe, keine Gedanken, keine Gefühle, keine Bilder.


Schlussendlich verlor selbst das Grau der Schutzmauer und ihre Stacheln seine Funktion. Eingenommen von der Kühle des Wasser, der Schwere des Eises, die Erstarrung ihres Innern breitete sich Weiss aus. Ein Gefühl von Gelassenheit schob sich durch ihre Venen, Gleichgültigkeit mischte sich unter die Emotionen. Selbst das Zittern ihrer Blätter ermattete.


Es war egal, was ihr Schüler über sie dachte. Egal, was ihr einst angetan wurde. Egal, ob er ihre Narben gesehen hat.


Im Moment war es egal.


Schwerfällig stemmte sie sich in die Höhe. Alles an ihr fühlte sich schwer an, als hingen an ihr Säcke voll Gewichte und zögen sie zurück in den Bach. Orientierungslos streifte ihr Blick über die spiegelglatte Oberfläche des Baches. Darin konnte sie etwas oder eher jemanden sehen. Mühselig hob sie Kopf und blickte zum Vorsprung. Dort sass er und beobachtete sie. Ihr Schüler. Dunkelrosa prallte auf Gold.


„Ob er schon lange dort sass und sie beobachtete?“ Sie wendete ihren Kopf ab und trottete zum Ufer. „Egal.“ Dort sammelte sie den Kessel ein. Auch die Tiegel am Ufer zwischen zwei Steinen vom Vorabend legte sie auf das Tablett. Sie erhob sich damit und nahm den Anstieg in Angriff. Ihr Blick zielte ins Haus. Kein Gedanken mehr an den Schüler. Warum auch?



Die Bilder stammen ursprünglich aus Guild Wars 2, somit liegen die Rechte bei ArenaNet. Von mir bearbeitet.

Kommentare 8

  • Das war ein cooler Morgen. Die Eiswasserung kam sehr unerwartet!
    Es war interessant das Geschehene nochmal, in einem schönen Stil, aufgeschlüsselt zu bekommen.
    Was mir persönlich noch zusätzlich zu der farblichen Darstellung der Gefühle gefallen hat, war, dass du auf kleine aber feine botanische Details bei den Beschreibungen geachtet hast.


    Wir werden weiter an einem Übersetzungsbuch für empathische Farben arbeiten! :)

    • Ja, war er. Vor allem die Szene hat sich damals so schnell entwickelt, dass wir beide nicht ganz nachkamen an Emotionen. Die Botanik geht mit, wenn sie so stark emotional ist. Und ja werden wir! Vielleicht lassen sich die beiden noch so einige Farbe entdecken. ;)

  • Ehehehe, du schreibst so wie ich ewig lange innere Monologe. Ich finde es sehr interessant, dass sie sich selbst einfriert. Und jaja, all diese Albträumler und ihre Narben...!
    Gut geschrieben, gute Ideen, und die Rahmen der Bilder erinnern daran, wie man versuchen würde, Emotionen in einem Videospiel darzustellen :D Ich erkenne den Zustand ‚Rage‘ und den Zustand ‚Nachtschattenleiche‘!

    • *hust* Galgenast *hust* :D (kommt aber aufs Gleiche aus^^) Naja, wenn schon keine offensichtlichen Gefühle, dann halt innerliches Rattern. Die Kälte hat zwei situative Effekte. Das Ablenken und das "Herunterkühlen", welches besser funktioniert als jede Meditation.
      Was die emotionale Zustandsrahmung anbelangt, habe ich mich nicht an das orientiert, macht aber im Nachhinein absolut Sinn :D Aber danke fürs Lob. <3

  • Was ist das nur für ein Frechling dieser Schüler ;)
    Mir gefällt die Geschichte gut!

    • Vielen Dank für das Lob <3 Ja, was für ein Schüler, der seine Meisterin beim spontanen Blätterbaden beobachtet ;)

  • Sehr geil gemacht das mit den Farben und Gefühlen auch im Schriftbild! Nice!

    • Vielen Dank <3 Es ist ja immer schwer der guten wandelnden Kapuze Gefühle zu entlocken. Aber hinter der grauen Wand sprudeln Unmengen an Farben. Die Idee war ein Mix aus anderen Geschichten, die Bilder enthielten und Kanori mit ihrer GIMP-Bearbeitung. :)