Trotz Einteilung der Wache konnte ich nicht einfach schlafen, blieb stattdessen wach und behielt von meinem Platz aus alle im Auge. Der Fraenir wurde hier vor nicht allzu langer Zeit getötet, es kann also sein, dass urplötzlich ein Svanir oder verdorbene Brut aus den Tiefen des Sanktums schossen. Auch wenn das letztlich nicht der Fall war, in dieser Umgebung konnte ich kein Auge zumachen, nichtmal mein Vertrauen in die jeweilige Wache konnte mir helfen. Zu ruhig war es hier. Zu isoliert.
Ich war mir auch am nächsten Morgen nicht gänzlich sicher, ob der Kontakt zu meiner Legende hier in dieser für Norn heiligen Stätte leichter oder erschwert war. Oder ob die Stimme, die mir zuraunte, auch wirklich die meiner Legende war.
Nach überstandener Nacht, die manchen womöglich zu kurz war, brachen wir wieder auf, um in die Tiefen des Sanktums zu gelangen. Nicht untypisch, dass ich, als schwer gepanzerte Charr mit Schild, in die forderste Reihe kam, bescheid sagen soll, falls ich was sehe, doch eine Anweisung bekam ich schon lange nicht mehr:
"Und..du entscheidest, wo lang."
In dem Moment wollte ich mich schon zurückziehen, denn das letzte Mal, als ich den Weg vorgeben sollte, lag schon Jahre zurück. Nie wieder wollte ich solch Bürden tragen, für andere wählen, einflussreiche Entscheidungen treffen oder sonstiges tun, was meiner damaligen Aufgabe als Legionärin des Schattentrupps glich. Die Worte waren unbedarft, sollten mir keine neue Position zuweisen oder irgendeinen Rang erhöhen, die es in dieser Söldnergruppe ohnehin nicht gab.
Es galt mir einfach nur, weil ich ebenso planlos war, wie alle, und vielleicht in der eher dämmrigen Umgebung mit meinen felinen Augen mehr sah, als die beschildete Menschin neben mir.
Dennoch erdrückten mich diese Worte, oder eher die Gedanken und Erinnerungen, die augenblicklich in mir aufschwallten, einen Moment. Die Bilder des Szenarios, die sich ohnehin wie ein endloser Film immer und immer wieder zeigten, wannimmer sie es schafften, die Oberhand über meine Kontrolle zu gewinnen, stoben vor meinem inneren Auge. Meine törichte Misseinschätzung, die einen fatalen und schmerzhaften Lauf nahm, sollte nicht wiederholt werden. Im Kopf durchlief ich diesen gravierenden Tag binnen Sekunden der gegenwärtigen Zeit, die Schmerzen, die sich seit mehr als 8 Jahren nun durch meine Knochen und Nerven bohrten, mich in Träumen und Wachgedanken verfolgten und jagden, wurden dadurch noch präsenter und verschlingender.
Die Schattenflamme, mit all ihren Mitgliedern, ist mir wichtig, doch nur bruchstückhaft erwähnte ich meine Vergangenheit. Vielleicht verschwieg ich sie, gerade weil mir die gefundenen Kameraden so wichtig waren. Meine Loyalität gilt ihnen, das Wissen um meiner Selbst bewahre ich jedoch noch solange ich kann alleine. Zu entscheiden, welche Wege wir gehen sollten, konnte und wollte ich nicht alleine tun, weswegen bei jeder Situation, die nicht einen einzigen offensichtlichen Weg zeigte, die Gruppe und auch der Chef der Schattenflamme mitbefragt werden sollten. Ein Zeitspiel war unsere Mission glücklicherweise nicht, nun, zumindest nicht in der Form, wie sie sich bis dato zeigte.
So verließ ich mit den geschätzten Kameraden im Rücken den Eingangsbereich des Sanktums, kurz darauf mündete der verwinkelte Gang auch schon wieder in einen größeren Raum. Dunstig, nebelig und mit ein paar Bäumen versehen beherbergte die Kammer eine Rabenstatue in seiner Mitte. Alle hielten erstmal inne, sahen sich um, manch einer war womöglich von einem scheinbaren Loch in der Decke abgelenkt, durch welches Sterne inmitten eines dunklen Nachthimmel leuchteten. Dieses Firmament war jedoch nicht das der Bjora-Sümpfe, viel zu klar waren die Sternbilder zu sehen. Seit Wochen - oder waren es doch nur Tage? - war der Himmel stehts mit Schneewolken oder direkt von Stürmen verhangen. Wir mussten jedoch weiterkommen, weshalb ich einen Hinterlauf nach dem anderen in den Raum setzte, so wie die Anderen.
Viel zu deutlich und zu nah hallte eine Stimme wider. Die Worte füllten meinen Schädel, lähmten mich zum einen, zogen mich andererseits weiter in die Raummitte. Der Rabe forderte, unseren Verstand zu sehen, stellte uns eine Frage, drängte uns, über Leben und Tod zu entscheiden, zu Wählen, zwischen dem einen oder anderen Übel. Da waren sogar Visionen, oder die Illusionen, die zu der Erläuterung der Situation erschienen, unwichtig. Das Abbild wilder, hungriger Wölfe brachte mich jedoch nicht dazu, meine Waffen zu heben, sondern es war unterbewusst klar, dass es nun egal war, wie gerüstet man ist, welche Statur man hat oder welche Kampfkräfte man aufbringen konnte. Unsere Mentalität sollte auf eine Probe gestellt werden, ehe wir passieren dürfen. Obwohl dicke Rüstungsplatten und altes Fell mich neben anderen Schichten bedeckten, fühlte ich mich nackt, als würden die Krallen des Tiergeistes einfach durch sie hindurchdringen, um in mein Innerstes zu bohren.
Es brauchte Überwindung, um sich zu entscheiden, besonders die Norn unserer Guppe hatte durch ihre Kultur und den Glauben wohl Schwierigkeiten, die als geborene Soldatin schwer nachzuvollziehen waren. Nach ermutigenden Worten, die zwar an einzelne gerichtet, womöglich aber den Geist aller etwas hoben, stapften wir in den nächsten Gang, weiterhin auf dem Weg des Herzens des Sanktums. Die Prüfung des Rabens war jedoch, entgegen meiner Hoffnung, nicht nur auf die Navigation durch labyrinthartige Gänge und unmoralische Fragen beschränkt. Keinem aus der Schattenflamme fiel dieser Teil der Prüfung leicht, Angst und Tränen waren vermehrt in diesen Schächten beschworen. Es ist also kein Einzelfall und ich bin nicht so töricht, zu sagen, dass mein Leid schwerer wog, als anderes. Jedes Leid, sobald es belastet, ist schlimm und redenswert, darf nicht unterschätzt oder verglichen werden.
Uns allen dämmerte mit dem verheerenden Schritt, dass die Prüfung gerade erst begann.
Kommentare 2