Lug und Trug


„NIAAAA!“


Ich zucke zusammen, als das panische Geschrei meiner Rudelschwester durch die Luft dringt. Mein Blick geht zu ihr, sie starrt entsetzt zum Turm hinauf. Ich folge ihrem Blick eilig und sehe, wie ein Svanir an dem Eisschamanen vorbei segelt und seinen Sturz nach unten antritt. Meine Augen haften an der fallenden Gestalt, doch außergewöhnliches kann ich daran nicht entdecken. Ich verziehe das Gesicht, als der Kopf des Svanir auf der Treppe aufschlägt und er weiter nach unten gen Boden fällt.
Langsam lasse ich den Bogen sinken.
Eine Bewegung an der Treppe zieht meine Aufmerksamkeit auf sich und erleichtert atme ich aus, als ich meinen Bundkerl sehe. Seine Axt wandert zurück in die Halterung und gerade sehne ich mich doch zurück in den Süden. Zurück in die Hütte. Dorthin, wo sich niemand zurückhalten muss. Wo man sich gehen lassen kann, ohne der Gruppe den benötigten Schlaf zu rauben. Ich hebe die Hand, will nach ihm rufen und erstarre mitten in der Bewegung. Eine Norn läuft auf ihn zu. Ihr blondes Haar wippt bei jedem Schritt und sie strahlt freudig, als sie meinem Kerl in die Arme läuft. „Eewa. Du bist zurück. Endlich!“ Sie umarmen sich innig. Meine Hand sinkt in Zeitlupe nach unten. Ich spüre den stechenden Schmerz in meiner Brust, der sich heiß und kalt ausbreitet, als er weiter spricht. „Für mehr als ein bisschen Spaß war sie ja nicht zu gebrauchen.“ Sie lachen.


Lass los ...


„DAS DU ES WAGST, HIER AUFZUTAUCHEN!“ Ich brülle ihr entgegen. Es bricht einfach aus mir heraus. Meinen Bogen lasse ich in den Schnee fallen.


Tu es …


Meine Hand schnellt an meinen Gürtel und schließt sich um den Griff meines Jagdmessers. Es hat viel Blut geleckt in der Vergangenheit. Das Blut von Norn war noch nie dabei.


Ja … du weißt, dass du es willst.


Ich reiße mein Messer aus der Scheide, halte es drohend in die Richtung meines Kerls und ihr. Sie wenden sich ab. Mein Blick folgt seiner Hand, die sich dorthin legt, wo sie sonst bei mir liegt.


Lass los … gib dich hin.


Ich glaube, ich zittere. Doch ich kann den Blick nicht abwenden.


TU ES!


Mein Körper wird von einem Ruck durchfahren, als ich losrenne. Ich will sie von ihm weg bringen. Will sie leiden lassen. Will, dass sie den Schmerz erfährt, den sie verdient hat. Die Klinge in der Brust hat sie verdient. Ich will ihr das Herz ausreißen, wie sie es ihm ausgerissen hat. Ich will, dass sie durch meine Hand stirbt!
Die Welt dreht sich plötzlich, als ich über etwas … oder eher jemanden stürze und im Schnee lande. Das Messer fliegt mir aus der Hand und für einen kurzen Moment bleibe ich reglos liegen. Schwer ist mein Atem, heiß sind die Tränen auf meinen Wangen und mein Körper fühlt sich kalt an. So kalt.


Eilig raffe ich mich auf, suche nach meinem Messer und mein Blick fällt auf meine Rudelschwester. Dann dorthin, wo sie eben noch stand.
Sie ist fort. Mein Bundkerl steht dort nicht. Er hält sie nicht in den Armen, küsst sie nicht, lacht nicht mit ihr. Mit einem Mal spüre ich, wie sich Arme um mich legen.


„Es war nicht echt. Nicht echt, hörst du?!“
Ich unterdrücke ein Schluchzen, schlinge die Arme um meine Rudelschwester.


Es ist vorbei.


Vorerst.

„The Norn will not change simply because the Dwarves do not understand our ways.
I'd rather be hated for who I am than loved for who I am not.“

Jora

Kommentare 4

  • Das ist ein richtig fieses Bild. Dass Nia dabei ausgeflippt ist kann man nur deutlich nachfühlen. Die Emotionen ... toll beschrieben!

  • So schön geschrieben so eine fiese Täuschung!

  • Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie schwer das für sie war... :(
    Ich fühle mit ihr...