Gewalt, Verstümmelung, Trauma
[icon='fa-ellipsis-h',32][/icon]Gewitternacht[icon='fa-ellipsis-h',32][/icon]
- Vor 6 Jahren -
Die Beine gaben endgültig nach, als sich die aufwühlende Übelkeit ihren Weg nach draußen suchte und sich die zierliche Frau geräuschvoll in den Eimer erbrach. Der aufsteigende Gestank brachte sie erneut zum Würgen und mit dem zweiten Mal entleerte sich ihr Magen dann vollends. Trotzdem zwang ihr ganzer Körper sie förmlich dazu, noch einige Male trocken zu würgen, ehe sie atemlos in sich zusammensank, den Eimer zwischen den Beinen.
Es war eine stürmische Nacht, erfüllt von Blitzen und grollenden Donnern. Doch das hörte sie kaum. Dieses konstante, leise Wimmern, nur unterbrochen von gelegentlichen schmerzvollen Aufschreien hallte in ihrem Kopf wieder. Immer noch lag ihr dieser furchtbare Gestank nach verkohltem Fleisch und verbrannten Haaren in der Nase. Sie schnaufte, versuchte irgendwie den Gestank los zu werden, während sie leise eine Stimme aus dem Nebenzimmer vernahm.
„Ganz ruhig... du musst jetzt liegen bleiben.“, nur leise war das, aber es sorgte erneut dafür, dass die Galle in ihr aufstieg. Doch ein weiteres Würgen unterdrückte sie krampfhaft.
Zitternd richtete sie sich dann auf, die nächsten Handgriffe der bebenden Hände galten dann ihrer Nachtwäsche, zogen das Unterhöschen wieder an seinen Platz und richteten das Nachthemd so, dass ihr Busen wieder bedeckt war. Erst dann blickte sie auf ihre Handflächen herab. Die Haut war rot, hier und dort hatten sich bereits kleine Brandblasen gebildet. Und doch schloss sie die Hände zu Fäusten, ehe sie es sich wagte, wieder in den Raum zurückzukehren.
Dort stürzten die Eindrücke von neuem auf sie ein. Der Gestank lag hier immer noch in der Luft, auch wenn sich nun der schwere Geruch einer Öllampe dazu mischte. Die Schreie wurden seltener, dafür waren sie einem Keuchen gewichen, einem Ringen nach Luft. Die Erklärung dafür lieferte auch sogleich die Gestalt, die in ein wallendes Nachthemd gehüllt war und über die Quelle der gequälten Laute gebeugt war.
„Er steht unter Schock. Du musst mir helfen.“, die Stimme durchschnitt die Gedanken der jungen Frau wie ein Messer. Schwarze Augen starrten sie hasserfüllt an, wenn auch nur für einen Augenblick. Dann wandten sie sich wieder zu dem Verletzten unter ihr. Auch die rehbraunen Augen der jungen Frau glitten auf ihn hinab. Ein Jugendlicher, bald würde er 16 Jahre alt werden. Das gleiche, kastanienbraune Haar, die selben seelenvollen, braunen Augen wie sie selbst. Die rechte Gesichtsseite jedoch war brandend aufgeplatzt, verbranntes Fleisch wo sonst die helle Haut sein sollte. Ein flüchtiger Blick offenbarte auch Knochen, der offen lag. Ihr kleiner Bruder lag dort und litt Höllenqualen. Und doch empfand sie nichts als blanke Abscheu und Ekel und die Übelkeit drohte erneut in ihr aufzusteigen.
„Nein.“, sprach sie dann entschieden, die Stimme überraschend kraftvoll dafür, dass sie am ganzen Leib zitterte. Zuerst schien es, als habe ihre Mutter ihren Widerspruch nicht vernommen. Erst ganz langsam nahm sie ihren Blick wieder von ihrem leidenden Sohn, um erneut zur Tochter aufzublicken.
„Trag gefälligst die Verantwortung für das, was du ihm angetan hast!“, fauchte sie dann, der Blick verblieb noch einen Moment bohrend auf Elisabeth, ehe sie sich dann wieder dem Jungen zuwandte, um die schrecklich verbrannte Kopfseite mit beiden Händen zu bedecken. Ein furchtbar verzerrtes Stöhnen folgte, das kaum noch menschlich klang. Der schlanke Jungenkörper warf sich krampfend hin und her. Elisabeth konnte nicht anders, sie starrte auf dieses Bild hinunter und erst weitere, vor Hass triefende Worte rissen sie aus dieser Starre.
„Dann verschwinde, du Monster.“
„Ich werde einen Arzt holen. Mutter.“, diese Worte kamen bei all der Wut, die ihr entgegen schlug ungewöhnlich kalt von der jungen Frau. Sie, das Monster wandte sich damit von der Szene ab. Sie wollte nur noch weg.
Weg vom Hass ihrer Mutter. Weg von den Dingen, die ihr Bruder in Begriff war zu tun. Fort von den Menschen, die sich ihre Familie schimpften.