Veldarin: Stimmen im Traum

Veldarin wusste nicht, wie viel Zeit bereits vergangen war, seit er eingeschlafen ist. Woher sollte er das auch wissen können? Im Schlaf stellt sich das komplette Verhalten von Zeit um. Was sich anfühlt wie fünf Minuten kann drei Stunden sein, ebenso können sich drei Stunden anfühlen, als wären nur fünf Minuten vergangen. Nur folgendes wusste er folgendes: Er war alleine. Schon wieder. Vor ihm erstreckte sich nur schwarze Leere. Es fühlte sich an, als stünde er an einer Klippe. Sein Blick wanderte nach hinten: Leere. Er überprüfte seine Flanken: Nichts. Die Augen schauten nach oben: Schwarz. Unsicher blickte er auch nach unten. Seine Beine waren zwar noch da, aber auch unter ihm war nur gähnende Leere. Das ganze fühlte sich so erdrückend an, dass er nicht einmal hinterfragte, wie er es schaffen konnte, inmitten von „Nichts“ zu stehen. Zumindest fühlte es sich so an, als wäre unter ihm Boden. Zerbrechlicher Boden, welcher bei der kleinsten Bewegung der Füße sofort nachgeben würde.
Seine Gedanken sprangen unkoordiniert umher. Da waren sie wieder. Diese Selbstzweifel, welche er hoffte, in den Hallen von Rabe endlich abgelegt zu haben. Vielleicht ließ Rabe es aber nicht zu, weil er ein Mensch war? Menschen verehren die sechs… inzwischen wohl eher die fünf, nachdem Balthasar vom Kommandeur der Drachenwacht vernichtet worden war. Er hatte keine Antwort auf diese Fragen. Die Götter haben die Menschen vor Jahrhunderten schon verlassen. ‚Das’ wusste er.


Alleine war er sich seinen Gedanken ausgeliefert, wie in dieser Finsternis. Dieses Mal jedoch wurde er von niemand verurteilt. Alles spielte sich in seinem Kopf ab. Wie er seine damalige Freundin verlassen hat, kaum dass seine ehemalige Verlobte wieder aufgetaucht ist. Ohne einen zweiten Gedanken daran zu verschwenden. Kam es ihm nur so vor, oder spielte sich diese Szene gerade vor seinen Augen ab? Er hinterfragte es nicht weiter. Dieser Anblick tat ihm weh. Mehr, als jede Waffe ihn je verletzen könnte. Er erinnerte sich daran, wie er bei einem Auftrag in der Granitzitadelle einem Paar begegnet ist: Eine Gelehrte der Abtei, sowie eine Söldnerin, welche allen Anschein nach ihre Leibwache war. Wenn er sich, was sein Kampfverhalten angeht, allerdings schon als ungestüm bezeichnet, dann war ihr Kampfverhalten geradezu wahnsinnig und rücksichtslos. Die beiden kannten sich nicht, doch er zeigte ihr diese Rücksichtslosigkeit auf. Mit Worten. Harsche Worte, welche vielleicht auch den Punkt getroffen hatten, auf welchen er es abgesehen hatte. Sie ging allerdings nur auf ihn los. Verbal wie auch körperlich. Von dieser Hülle brauchte er keine Angst haben, sie könne ihm Schaden anrichten, dachte er sich. Zumindest was die physischen Fähigkeiten anging, war dem auch so. Ihre Worte allerdings schnitten tiefer als er es wahr haben wollte. Selbst bei einer weiteren Begegnung, in welcher die beiden zusammen in Götterfels gearbeitet hatten, war ihre Feindseeligkeit, ihr ‚Hass’ weiterhin spürbar. Wie konnte es sich auch ein Fremder erlauben, ihr aufzuzeigen, was sie falsch machte?


Die Luft um Veldarin herum wurde merklich kühler, zumindest „fühlte“ es sich so an. In diesem nichts gab es jedoch nichts, was ein Zeichen hätte sein können, dass es wirklich kälter wird. Kein Atem, welcher vor seinem Gesicht aufdampfte, kein Wasser, welches anfing zu gefrieren. Nur ihn und seine Gedanken. Eine weitere Erinnerung schoss ihm durch den Kopf. Sein erster Besuch bei der Schattenflamme, seit… er wusste nicht mehr, wie viele Jahre genau es waren. Er bat seinen alten Freund Arthur um Hilfe nach der Gruppe, welcher sich seine damalige Verlobte angeschlossen hat. Er wollte sie sehen. Das Verlangen danach brannte immer stärker, dass er sich immer wieder in Lebensgefahr stürzte, um einen einzigen Hinweis auf ihren verbleib zu finden. Diese Suche übernahm die Kontrolle über ihn. Er war geradezu besessen davon. Seine Besessenheit trug ihn von den Mauern von Löwenstein über das Kriegsgebiet der Harathi bis hin zu den Einöden von Maguuma. Alles in der Hoffnung, „irgendwas“ zu finden. Monate später erst kam er zurück, um sich bei Arthur über seinen Stand der Dinge zu informieren. Verschollen. Unauffindbar. Da zerbrach etwas in ihm. ‚Vielleicht wolle sie auch nicht gefunden werden.’, kamen die Worte sowohl von Arthur wie auch von der Jägerin, welche er an diesem Tag das erste Mal traf. Worte, die er niemals hören wollte. Sein Wahnsinn wurde ihm zwar schon etwa einem Monat vor dem zweiten Besuch bei der Schattenflamme bewusst, aber er dachte, er wäre zu tief gefallen. Es gäbe nichts mehr, was ihm helfen könne. Doch was wäre, wenn er doch noch einen letzten Grund hat, für den er kämpfen kann? Einen Grund, welchen er vor Jahren von sich gestoßen hatte. Es war ein Hilferuf seinerseits, und er hatte es auch als solchen zugegeben – wenn auch nicht direkt als solchen bezeichnet. ‚Alleine’ schaffte er es nicht mehr, diese Last zu tragen. Geschweige denn, diese Last endlich loslassen zu können.


Etwas seltsames passierte. Da war etwas… Warmes. Etwas pulsierendes, was seinen ganzen Körper durchdrang, ihn mit Kraft erfüllte. Veldarin setzte sich auf den scheinbar nicht vorhandenen Boden. Als würde er auf einer Hängematte sitzen, welche kurz davor ist, zu zerreißen. Er fing an zu zittern. War ihm diese Kälte zuvor nicht wirklich bewusst gewesen, fing er nun an zu zittern. Diese Lande hier sind brutal. Sie werden hier ganz gezielt angegriffen. Zweifel werden gesät, Misstrauen geschaffen, die Moral niederschlagen. Wieder einmal kochte der Selbsthass in ihm auf. Wieder gab er sich diesen Zweifeln hin. War gezwungen, seine Vergangenheit noch mal in Gedanken zu durchleben. Immer und immer wieder musste er diesen mentalen Kampf führen, was ihn viel Kraft kostet.
„Warum deine Kraft verschwenden für etwas, was aussichtslos ist? Hast du denn nicht schon genug gelitten?“ Veldarin zuckte zusammen, als er dieses Flüstern hörte. Er ließ seinen Blick wieder in alle ihm bekannten Richtungen schweifen. Dort war niemand. Dort war nichts. Er war nach wie vor alleine. „Ich kann dir helfen, ‚sie’ zu finden, Durch mich könnt ihr beide wieder vereint werden.“ Könnten die beiden etwa wirklich wieder vereint werden? Die Stimme klang so ruhig, so selbstsicher… So fürsorglich. "… werde… sauer, … nicht aufwachst… muss ich … entschuldigen, weil … mich bedanken, weil … zu mir … ganze Zeit bei… mich aufgepasst…“ Da war noch eine Stimme. Wieder ohne Ursprung in diesem Nichts. Doch anders als bei diesem Geflüster fühlte sich diese Stimme nah an. Er verstand nicht jedes Wort, was diese Stimme ihm sagte, konnte aber die Sorge in der Stimme hören. „Außerdem musst… Geschichten erzählen... Ratschläge geben... doch gerne… brauche dich …wir brauchen dich..." Er ballte die Hände zu Fäusten, presste die Lippen aufeinander und richtete sich von dieser nicht vorhandenen, instabilen Hängematte auf. Langsam fing er an zu laufen. Diese Worte wurden wiederholt. Immer und immer wieder hörte er sie, die Stimme nach und nach immer klarer werdend. Das war ‚sie’. Die Jägerin, welche er in den letzten Tagen viel Beistand leistete.


„Willst du wirklich einem Weg folgen, der dich nur ins Unglück stürzt?“ „Halts Maul…“, knurrte er. Ich kann dir deinen Wunsch gewähren. Dir die Kraft geben, die du brauchst…“ „Halts Maul, verdammt!“ Zornig schrie Veldarin in die Dunkelheit. „Lieber gehe ich einen Weg voller Leid, voller Herausforderungen, als mich DIR hinzugeben!“ Das erste Mal war er sich sicher, womit er es hier zu tun hatte. Jormag, der Alt-Drache des Eises. „Und ich gehe DIESEN WEG NICHT ALLEINE!“
„Stell dich gegen mich… und du stehst alleine…“ Das waren die letzten Worte, die er von diesem Flüstern – nein, von Jormag vernahm. Sie klangen gleichgültig, fast schon selbstsicher, dass er einknicken wird. Die Stimme der Jägerin hingegen, klang weiterhin besorgt. Er wusste nicht, wohin er ging, aber er hatte das Gefühl, ihrer Stimme näher zu kommen. Es gab Leute, die an ihn glaubten. Die ihn brauchten. Er konnte es sich nicht erlauben, sich seinen Gedanken hinzugeben. Er wollte es sich nicht mehr erlauben.


Ganz klar hörte Veldarin nun die Worte der Jägerin, welche immer wieder auf ihn einredete. Er fand nicht die Kraft, zu antworten oder sich ihr zuzuwenden. Die Erschöpfung der letzten Tage saß immer noch in ihm. Er spürte die Kälte, die ihn umgab, und zog seine Decke dichter an den Körper.

Kommentare 1

  • Vel ist nicht alleine, nein, nein, nein. *wischt sich ein Tränchen weg*
    Schön, noch mehr von seinem inneren Kampf zu lesen^^