Adlers Flug (Veldarin Solaris)


„Schließt die Augen...“ Noch bevor die Anweisung der Schamanin Enuara überhaupt kam, hatte Veldarin diese befolgt. Alles um ihn herum war nun dunkel, allerdings konnte er noch die Stimmen derer um sich herum hören. Wünsche für Erfolg, gegenseitigen Zuspruch. All dies verschwand dann plötzlich mit einem Ruck. Als hätte ihn etwas von den Füßen gerissen, stürzte er in die Finsternis, welche ihn umgab. Heftig fühlte er den Wind um sich herum wüten. Bis der Fall auf einmal stoppte. Ein lautes Kreischen ließ ihn dann die Augen öffnen. Allerdings fühlte sich alles sehr fremd an. Er war in der Luft, weit über dem Ort, an welchem er mit seinen Kameraden der Schattenflamme stand. Eigentlich sollten aber noch vier andere Leute bei ihm sein. Jedoch war er nun alleine. Außerdem... Sein Blick wanderte umher. Doch dort, wo er eigentlich seine Arme vermuten würde, waren nun ein Satz majestätischer Flügel, dessen Federn im Wind flatterten. Seine Beine konnte er nicht sehen. Wurde er selber gerade zum Adler? Ein weiteres Kreischen ertönte, dessen Ursprung sich nur wenige Augenblicke später in sein Blickfeld schwangen. Ein Adler, welcher übergroß über den Wind ritt. Allerdings kein gewöhnlicher Adler. Sein Körper war zum Teil immateriell, durchzogen von einem grauen Schleier und schwachen, blauen Leuchten. Der Geist der Wildnis, für dessen Schrein die Schattenflamme die Schamanin Enuara begleitet haben, um ihn zu reinigen.


„Mensch, der du eins mit der Natur bist. Beweise mir dein Geschick und deine Weitsicht. Folge mir mit Verstand und zeige deinen Mut.“ Mit diesen Worten schoss der Geist der Wildnis auch schon davon, flog einige beeindruckende Manöver. Daran erinnert, dass er eigentlich mal wieder seinen Greifen besuchen sollte, welcher bei einer Kameradin von Solus Aurora in ihrer Greifenaufzucht untergekommen ist, zog Veldarin nun die Flügel an. Fliegen konnte er, allerdings war es das erste Mal für ihn, dass er selbst im Körper eines Greifvogel steckte. Während dem Sturzflug pfiff der Wind ihm kräftig entgegen. Ihn überkam ein Gefühl, welches er nur schwer in Worte fassen konnte. Seine Bewegungen waren ungewohnt geschmeidig. In jedem Moment, in welchem er die Flügel wieder ausbreitete um den Wind einzufangen, mit den Flügeln schlug um wieder an Höhe zu gewinnen, fühlte er sich ungehindert. Dabei ließ er in keinem Moment diesen gefallenen Geist aus den Augen, welchen er in diesem Flug folgen sollte. Adler setzte zu einem Überkopfflug an, welchen Veldarin auch versuchte, zu imitieren. Da bemerkte er allerdings auch schnell seine Grenzen der Kontrolle über diesen neuen Körper. Oder eher, seine fehlende Kontrolle. So lange, wie der Geist der Wildnis, konnte er diesen Flug nicht aufrecht halten. Dennoch ertönte von diesem dann ein heiteres Lachen. „Für den Anfang war das doch ganz gut! Nun folge mir, um deine Weitsicht zu beweisen!“ Mit diesen Worten schwang sich Adler hoch hinaus in die Lüfte. Immer noch beeindruckt von der Geschmeidigkeit, mit welcher dieser den Himmel bereiste, folgte er diesem. Im Gedanken kam er nicht umher, die Greifvogelfamilie um diese Freiheit, welche sie haben, zu beneiden.

Allerdings überkam ihn nun ein etwas mulmiges Gefühl. Bei einer Prüfung der Weitsicht hätte er arge Probleme. Mit seinem beschädigten, rechten Auge kann er nur schwer über Distanzen gucken. Kurze Distanzen sind schon verschwommen, lange Distanzen sind also fast schon unmöglich für ihn. Aber nun einen Rückzieher zu machen, das war nicht seine Art und Weise, an Dinge heran zu gehen. Wenn er sich dieser Prüfung schon stellte, dann würde er diese auch bis zum Ende durchstehen. Oder zumindest bei dem Versuch daran scheitern.


Adler wartete hoch oben im Himmel und einige Sekunden später war Veldarin dann auch bei ihm angekommen. „Ein Adler hat seine Beute im Visier... Allerdings wäre es ein schwerer Verlust für dich, wenn dieser seine Beute erlegt. Immerhin ist diese Beute für dich ein sehr guter Freund. Jedoch muss der Adler auch jagen und essen, um zu überleben. Was machst du..?“ Diese Frage überraschte Veldarin nun. War diese nun Teil der Prüfung? Was genau möchte der Geist der Wildnis nun hören? Wenn es darum geht, Adler zu beschwichtigen... Wäre es weise, den Verlust eines guten Freundes zu betrauern, damit der Adler überlebt? Die Gedanken rasten durch seinen Kopf, entsprechend ließ er sich mit seiner Antwort etwas mehr Zeit.

Aber auch, wenn ein Adler essen muss... Das heißt doch nicht, dass er einfach zusehen muss, wie einer seiner Freunde dem Raubtier zum Opfer fällt. Und wenn er eine Sache über die Geister der Wildnis ahnt, dann ist es, dass diese nicht hören wollen, dass das Tier, welches sie repräsentieren, einfach gewährt wird. Möglicherweise ist diese Antwort aber nun doch nicht das, was Adler hören möchte.


„Es mag zwar sein, dass der Adler ebenfalls jagen und fressen muss, um zu überleben. Das heißt aber nicht, dass ich einfach zusehen brauche, wie ein Freund von mir dafür hinhalten muss. Entsprechend... werde ich meinem Freund zur Seite stehen und ihn vor dem Angriff des Adlers verteidigen.“

Realistisch betrachtet kann man sich natürlich darüber streiten, ob Veldarin wirklich in der Lage wäre, einen herabstürzenden Adler rechtzeitig abzufangen. Aber dies war die Antwort, an welche er glaubte.


„Eine gute Antwort. Doch wie geht es weiter? Wirst du den Adler töten? Ihn vertreiben? Bietest du ihm deine Hilfe an?“ Über diese Frage musste Veldarin weniger nachdenken. Den Adler zu töten war außer Frage. Der Adler hat in dem Sinne nichts gemacht, was ihn zu einem Monster machen würde. Es liegt in der Natur, dass ein Adler jagen muss, um zu überleben. Wäre es sinnvoll, ihn zu vertreiben? Doch würde er dann nicht vielleicht das Revier verlassen, in welchem er sonst immer jagte? Was wäre, wenn er dann kein neues Revier findet? Mit dieser Frage dann im Hinterkopf sprach Veldarin seine nächste Antwort.


„Wenn der Adler es zulässt, dann werde ich ihm natürlich bei seiner Jagd helfen. In jedem Fall werde ich den Adler jedoch „nicht“ töten.“

Eine Antwort, welche für ihn nur wahr ist. Er hatte ja schon mit Greifvögeln zu tun. Die größte Herausforderung wäre es da wohl, dem Wildtier zu vermitteln, dass er ihm helfen möchte.


„Damit hast du diese Prüfung ebenfalls bestanden. Nun folge mir erneut und halte mit, wenn du kannst.“ Mit diesen Worten schoss der Geist der Wildnis erneut in die Höhe, flog eine weitere, kurze Strecke Überkopf bevor er zu einem Sturzflug ansetzte. Veldarin zögerte da nicht lange. Nicht wissend, ob das nicht vielleicht auch ein Teil der Prüfung ist, imitierte er wieder die Manöver des Geistes, dieses Mal merklich beherrschter. Alles, was er dann heran ziehen konnte, wurde angezogen während er sich ebenfalls in einem lang andauernden Sturzflug hinab begab, Adler folgend. Es ging in eine Höhle, woraufhin er, sobald er den Eingang zu dieser erblickte, direkt auch die Flügel ausbreitete um nicht gegen irgendeinen Felsen oder eine Felswand zu krachen. Adler führte ihn in eine Höhle mit mehreren Säulen. Auf einer davon ließ er sich nieder. „Setz dich. Erhole dich und erwarte die Ankunft der anderen.“ Diesen Worten folgte Veldarin dann auch und nahm auf einer der Säulen platz. Bis auf den Geist war jedoch niemand da, und kurz nachdem er auch Platz nahm, löste sich der Geist der Wildnis in Luft auf.


Einige Zeit verging, nach und nach trafen die restlichen Prüflinge ein. Allerdings... fehlte jemand. Hatte jemand diese Prüfung nicht bestanden? Adler erschien wieder, und nun war jeder der Anwesenden wieder in seiner menschlichen Gestalt. Worte der Dankbarkeit wurden gesprochen. Und ein jeder der Anwesenden bekam eine Art Titel zugesprochen. Zumindest fühlte es sich für Veldarin so an, als Adler ihn als „Eins mit der Natur“ ansprach. Diese Worte fühlten sich für ihn gewichtig an, jedoch füllten sie ihn auch mit jede Menge Stolz. Nach und nach verschwanden die anderen Prüflinge, welche Bestanden hatten, um in ihre weltlichen Körper zurück zu bleiben, und Veldarin richtete noch einige letzte Worte an den Geist. „Habt dank für diese Prüfung, Adler... Möge der Wind dich wieder als freier Geist der Wildnis in die Himmel tragen.“

Nach diesen Worten schloss er die Augen. Für einen Moment wurde alles Finster, und als diese wieder öffnete... war er von seinen Freunden und Kameraden der Schattenflamme umgeben. Dort, wo die Prüfung ihren Anfang nahm.

Kommentare 2

  • Schöne Geschichte über den Plot, hat mir sehr gefallen zu lesen und sehr treffend beschrieben :3

    • Ich ärgere mich ein wenig, das ich das ganze nicht screened habe, um die Interaktionen besser widerzugeben. Aber freut mich, dass ich es ja weitestgehend treffend beschrieben habe :)