Respekt

Ihr falsches rotes Haar leuchtete grell. Das Licht vom großem Fenster in ihrem Rücken war schuld daran. Sie hatte die Vorhänge geöffnet und stand vor seinem Bett. „Milan.“ Bestimmt ein Dutzend Mal hatte sie ihn schon bei seinem Namen gerufen, unterschiedlich betont und nun sprang sie von liebevoll zu gereizt: „Milan!“ Langsam richtete sich der Anwalt in seinem Bett auf. „Guten Morgen auch dir.. Schwesterherz.“ brummte er und suchte nach seinen Schlappen am Boden. „Hattest du einen schönen Abend? Ausschweifend, wie ich sehe.“ Sie deutete mit der Hand auf die halbvolle Cognacflasche an seinem Nachtkästchen. „Darin bist du wohl eher die Expertin, also sag es mir .. wie ausschweifend war mein Abend gestern?“ fragte er eher gelassen, in seinem Gesicht waren noch immer die Abdrücke seines Lakens.


„Milan.“ Nun klang die Stimme wieder liebevoller. Sie konnte sich offensichtlich nicht entscheiden, wie sie heute mit ihm umzugehen hatte. „Ich verstehe, dass du jetzt … in einer Art Kriese bist: Es ist dein Alter. Die Gerüchte um dieses Kind … aber wie viel musst du getrunken haben, dass du in einer Taverne zur Querflöte greifst? Das hättest du letzte Woche nicht getan! Du hättest dich besser im Griff. Du hättest es, aus Respekt ihm Gegenüber, nicht getan.“ Sie ließ sich auf die Bettkante fallen und legte ein Bein über das andere. Als Antwort auf ihre Worte erntete sie Schweigen. Er stand auf, ging zu dem großen Fenster und schloss die Vorhänge wieder.


„Du solltest dich waschen und anziehen. Wir sind spät dran. Ich habe dir deinen Anzug rausgelegt.“ Ihre Stimme war immer noch gekünstelt liebevoll. „Hast du ihn also seine Lebzeit nicht respektiert? Du trittst schließlich fast jeden Abend in dieser herunter gekommenen Spelunke auf.“ Er rieb sich, kaum waren die Worte ausgesprochen, über das Gesicht. So wollte er gar nicht zu seiner Schwester sein – nicht heute, nicht jetzt. „Lass uns nicht am Tag seiner Beerdigung darüber streiten wer ihn mehr respektiert ha und wer nur aus schlechtem Gewissen, dass er ihn nach dem Tod unserer Mutter allein gelassen hat, zurück gekommen ist... Nur um doch den Weg einzuschlagen, den er für dich vorgesehen hat.“ Sie hatte recht, doch zugeben wollte er das nicht. Eilig führten ihn seine Schritte die Treppe von der Galerie hinab – sie waren wirklich spät dran für die Beerdigung ihres Vaters.


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