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Mittlerweile steht der halbe Friedhof unter dem Zeichen von Orchidee und Lotus. Die letzten Jahre haben beide Familien bis zur Unkenntlichkeit dezimiert. Die Einheimischen glauben an einen Fluch. Aber ich weiß, es gibt keinen Fluch so grausam wie die Realität.
Sie fallen so sacht,
Die Blätter vom Baum.
Der Herbst hat den Bambuswald in tiefen kalten Nebel gehüllt und erfüllt die Luft mit einer klammen Kälte, die jede lebende Seele fort von hier treibt, zurück nach Hause. Wir sind allein, er und ich.
Sie schweben, durch die dunkle Nacht,
Verglühen, im Traum.
Ein Publikum aus Grabkerzen malt seine zuckenden Schatten in die dichten Nebelbänke. Er kniet umringt von stummen Geistern und Opfergaben im flammenfarbenen Bambuslaub, das Liuqin auf dem Schoß, als könnte sein Gesang niemanden wecken außer den Siebenschläfern.
Komm, junger Offizier, Marschier nach Haus'
Mutiger Offizier, Komm doch nach Haus'.
Die Melodie verklingt und nun umfängt sie die Stille der Andacht, ihn und seine Geister. Sie weichen erst, als er sich im Abschied erhebt.
“Keine Bewegung, General.”
Meine Stimme durchschneidet die Stille wie eine Guillotine.
“Außer Ihr wollt auf Eure letzten Worte verzichten.”
Langsam erheben sich seine Hände, dann wendet er sich zu mir um. Seinen Bewegungen fehlt das nervöse Beben der Todesangst. Ich weiß, mit wem ich es hier zu tun habe. Unsere Blicke treffen sich. Er scheut nicht, mich anzusehen, er schämt sich nicht der Tränen darin.
“Immerhin hattet Ihr genug Respekt vor den Toten, um mich mein Gebet beenden zu lassen.”
“Das hier ist nichts Persönliches, General. Diese unglücklichen Umstände ändern nichts an dem, was Ihr für dieses Land getan habt. Ich werde dafür Sorge tragen, dass Euer Tod eine Tragödie war. Er fügt sich nahtlos in Eure Dynastie. Es ist bezeichnend, dass Euch letzten Endes Eure Sentimentalität zum Verhängnis wird.”
Auf seine Lippen findet ein bleiernes schwermütiges Lächeln.
“Ich sterbe glücklich, wenn ich so aus dieser Welt scheiden darf, wie ich gelebt habe.”
“Dann sprecht Eure letzten Worte. Ich werde ihrer auf ewig gedenken.”
Zumindest so viel bin ich ihm schuldig.
Die Stille ist ohrenbetäubend, ehe er sie durchbricht. Meine Hand ist erhoben, bereit zur Exekution.
“Ich war niemals hier.”
Die Kugel sticht pfeifend durch den Nebel, ein Jadeblitz der sein Ziel immer findet. Doch ehe er es tut, zerbirst die Welt um mich herum, ein Kaleidoskop aus kristallinen Lotusblüten. Purpurne Magie.
Er sollte Recht behalten. Er war niemals hier und ich war ein Tor, es zu glauben. Der Bericht wird nicht gnädig mit mir sein.
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