„Will ich wissen, wo du dich wieder herum getrieben hast?“, dringt die vertraute Stimme ihres Bruders an Morenas Ohr. Sie hat ihn im dunklen Gang zwischen der Küche und dem Dienstbotentrakt nicht erwartet und ist im ersten Moment, als Marco sich geräuspert hat, ertappt zusammen gezuckt. Doch nun, da sie ihn mit diesem süffisanten Schmunzeln an die nahe Wand gelehnt stehen sieht, die Arme vor der breiten Brust verschränkt und die langen Beine lässig übereinander gekreuzt, entfährt ihr ein leises Schnauben. „Selbst wenn du es wissen wolltest, ginge es dich nichts an“, erwidert Morena trocken und will an ihrem Bruder vorbei laufen. Doch Marco hält sie am Arm fest. „Du gehst ein verdammt großes Risiko ein, Schwesterherz“, mahnt die Bass lastige Stimme des Erben Montcada gedämpft, aber eindringlich. „Ahh, wird das wieder eine dieser unerträglichen Moralpredigten, Drago? Wenn du Schwesterherz sagst, läuft es mir immer eiskalt den Rücken runter!“ Nun ist es Marco der schnaubt. „Das ist nicht witzig, Morena.“ Er hält sie nicht wirklich fest, so dass sie ihren Arm leicht seinem Griff entwenden kann. „Nein, das ist es nicht. Aber für den Fall, dass mir etwas zustoßen sollte, erzählst du einfach, deine kleine Schwester hätte sich beim Reiten ungeschickt angestellt. Das werden die noblen, selbstgefälligen Herren sofort glauben“, gibt Morena spöttisch von sich. „Du bist die beste Reiterin, die ich kenne“, will der ältere Bruder einwerfen, kommt aber kaum zu seiner Argumentation. „Das weiß ja zum Glück niemand, da ich mich immer brav im Damensalon verstecke und so tue, als fände ich es erheiternd, den Tratsch anzuhören, während ich furchtbar hässliche Deckchen besticke.“ Marco seufzt. „Dabei bricht man sich aber wenigstens nicht das Genick!“ Morena rollt theatralisch mit den hellbraunen Augen. „Nein. Nur den Stolz.. in tausend Teile!“ Damit will sie endgültig aus dem schwach beleuchteten Flur verschwinden. Doch Marco hält sie erneut auf. „Vielleicht sollte ich unserem alten Herrn gegenüber erwähnen, dass es höchste Zeit wird, dir einen standesgemäßen Gatten zu suchen? Immerhin gehst du bereits auf die dreißig zu“, flüstert der Bruder mit einem hörbaren kleinen Schmunzeln in der Stimme. „Vielleicht sollte ich Vater darüber informieren, dass du die Blutlinie leider nicht fortsetzen wirst können, weil du über Nacht zum Eunuch geworden bist“, erwidert Morena staubtrocken und erntet das leise Lachen ihres großen Bruders dafür. „Immer gleich so brutal“, murmelt er kopfschüttelnd. „Ein Ehemann könnte vielleicht helfen, deine Aggressionen in den Griff zu bekommen“, neckt Marco seine kleine Schwester noch etwas. Die schnaubt nur. „Bestimmt nicht so sehr, wie dich vernichtend beim Kartenspiel zu schlagen“, entgegnet Morena und befreit erneut ihren Arm. „Wenn ich überhaupt jemals heirate, dann nur aus Liebe.“ Diesmal kommt das Schnauben von Marco. „Was weißt du denn schon von Liebe?“, frotzelt er ein wenig und hält seine Schwester tatsächlich davon ab, zu gehen. Für den Moment zumindest. „Die Liebe, Drago, ist die mächtigste Magie überhaupt. Sie ist nicht an Blut gebunden und wird auch nicht durch Unterschriften auf einem Stück Papier geschmiedet. Sie ist ein wildes Wesen, das nur gezähmt werden kann, wenn man an ihre Wahrhaftigkeit glaubt“, erklärt Morena noch immer mit gedämpfter Stimme, aber durchaus leidenschaftlich. Mit erhobenen Brauen stellt Marco fest: „Das war.. überraschend tiefsinnig!“ - „Du bist ein Arsch“, erwidert seine kleine Schwester in ihrer gewohnt trockenen Art, was ihm ein Grinsen entlockt. „Aber ein attraktiver Arsch“, korrigiert der Montcada Spross selbstbewusst. Morena summt grüblerisch. „Unter Zuhilfenahme eines Mehlsacks, in dem du deine Visage verstecken kannst und bei gedämpfter Beleuchtung.. vielleicht..“ - „Na warte, du kleines Biest“, hascht Marco nach seiner Schwester. Doch die ist schneller und huscht auch schon leise kichernd über den Flur.
Kommentare 2