Mania I

Die Kammer lag in den Krypten des Tempels. Messingfackeln an den Wänden warmen Sandsteins erhellten den Weg in eine endlose Tiefe. Unbesungene Heldentaten in der Form artistisch hochwertiger Wandmalerei begleiteten den Abstieg und nach Kahreems Meinung waren sie überladen mit Pathos. Irgendwelche klischeehaften Darstellungen heroischer Krieger, die gegen gesichtslose Gräuel kämpften. Warum konnte er nicht einmal in einen Tempel der Zweigesichtigen geführt werden? Diese Treppenstufen könnten ein Vorspiel sein. Statt langweiliger Kriegsgestalten würden sich dort großzügig geschwungene Weiber miteinander verkreuzen und in exotischster Form zu einem sinnlichen Wirrwarr der Anzüglichkeiten werden. Vielleicht sei auch ein Mann zwischen ihnen, Muskeln wie geschnitztes Ebenholz, umringt von gleich dreien oder vieren - ach, von fünf Tempeldienerinnen, eine für jeden Arm und jedes Bein, eine die er küssen könnte und .. herrje, am besten doch sechs, denn es braucht noch eine für ...


Und am Ende der langen Lusttreppe läge eine stilvolle Zisterne, die schon die Stufen hinauf mit verhaltenem Gekicher und einladendem Geflüster das Plätschern entspannenden Wassers verschönerte. Stattdessen - rasselnde Eisenschellen an seinen Handgelenken, starrsinnige Wächter die ihn in die Tiefe eskortieren und das Gestöhne von Männern, die irgendetwas schlugen. Wüsste er nicht, dass er ein Ass im Ärmel hat, er könnte sogar ansatzweise so etwas wie Furcht empfinden. Das hier musste ziemlich einschüchternd und hoffnungslos auf jede verlorene Seele wirken, die hier unfreiwillig aufkreuzte. Von Langeweile und Einschüchterung verstanden diese Leute also etwas.


"Könnt ihr mir irgendetwas zu denen erzählen? Wer ist das? Und warum wachsen ihm gleich acht Arme aus dem Rücken? Habt ihr viellei-" Einer der Wächter verlor die Geduld, drückte seine Plattenhand gegen sein Kreuz und stieß den jungen Elonier nach vorn. Er verfehlte die nächste Stufe, stolperte und fiel drei Stufen bis zum Treppenabsatz. Seine Schulter schmerzte, im Brustkorb stach es, er ächzte. "Idiot.", herrschte der eine Wächter den anderen an. Der allerdings zog bloß seine Schultern in die Höhe, griff nach Kahreems Handeisen und zerrte ihn zurück in den Stand. "Weiter."


Statt des warmen Dunstes einer erhofften Badeoase erwartete sie am Treppenfuß eine Abzweigung. Drei Gänge spalteten sich ab - während rechts und links weitere Krümmungen der Architektur keinen Blick auf ihr Ende zuließen, führte der mittlere geradewegs auf eine einfache Tür zu. Die Wandmalereien wurden elaborierter und die ganze Strecke von Anbeginn bis zur Tür selbst schien zu beiden Flanken je eine einzige Schlacht darzustellen. Rote Geister fochten gegen schwarze Schatten in verschiedensten Formen. Das Bildnis einer siebenfach gehörnten Gestalt im Hintergrund, halb Löwenbestie, halb Mensch, war eine Konstante im Hintergrund des Schlachtenchaos. Im Schein vorbeiziehender Fackeln erreichten sie die finale Tür. Eine Tür mit dunklen Intarsien aus rotem Mahagoniholz. Trotz ihrer Symmetrie verursachten die vielen feinen Muster auf dieser Tür Kopfschmerzen bei Kahreem. Jetzt wollte er dieses Treffen einfach nur noch schnell hinter sich bringen und sich dann für den Rest des Tages einen schattigen Ort suchen, um dabei seine frisch errugene Entlohnung zu verplanen.


Denn hier unten war es heiß. Es war nicht nur das Fackelfeuer. Als brüte in den Tiefen dieser Gewölbe ein Vulkan aufgebracht vor sich hin. Alles nur Taktiken der Einschüchterung, befand er erneut. Für einen Hamaseen war das hier nicht die erste gefährliche, aber äußerst profitable Situation in seinem Leben. Was er besaß, war zu wertvoll, um es mit seinem Leben zu vernichten. Und diese Leute hier hatten großes Interesse daran, das wusste er. Dieses Ass war seine Lebensversicherung.


Die Zeit, in der sich einer der schwergerüsteten Wächter zum Türschloss bewegte, war eine dröhnende Ewigkeit. Er wartete und durch seine Hirnwindungen kroch ein dicker Parasit. So fühlte es sich an, schleichender Schmerz, der sich durch seinen Kopf schlängelte, je länger seine Augen die geschwungenen Holzelemente verfolgten. Dieses sinnhafte Chaos erschloss sich ihm. Die Krönung all dessen war ein Schwarm, eine Plage, irgendeine verkörperte Pestilenz, die die stilisierte Sonne, eines der wenigen ordnenden Elemente seinem Schatten unterwarf. Gestalten rangen verzweifelt gegen das Miasma wuchernder Gefahr. Erst als das Schloss klickte, fiel ihm eine dünne Schicht auf, die die kauernden Gestalten, verzweifelte Soldaten, kauernde Familien und panische Kinder, vor der reißenden Bedrohung schützen musste. Wellen, züngelnde Ausuferungen, die Hitze stieg, sein Kragen wurde ihm plötzlich schrecklich eng, die Luft stand, er stand mit halboffenem Mund dort -



...



- und starrte, er starrte mit verlorener Beherrschung in das jüngst geöffnete Heiligtum der Krypten dieses Wüstentempels. Für den Rest seines Lebens konnte er den Anblick nicht mehr vergessen.

Kommentare 5

  • Ich habe oft das Gefühl, dass ich unter vielen anonym geschriebenen Geschichten diese eine, also DEINE.. finden würde. Die persönliche Border-Note ist unverkennbar.

    ...

    Aber was hat der nun gesehen?!

    • Du könntest einige meiner Geschichten in anderen RP-Foren und unter anderem Nicknamen finden. 👀 Also quasi-anonym. Aber so viel schreibe ich insgesamt auch wieder nicht.


      Und Fortsetzung folgt! :D

  • Poha, was du immer für stimmungsvolle Geschichten schreibst. Möchte mich vor deinem Schreibstil immer hinknien.