(vor wenigen Wochen)
Götterfels
Es war einer dieser typisch lauen Sommertage in der Hauptstadt der Menschen. Die Luft auf den Hauptstraßen war erfüllt vom Duft der Sommerblüten, süß wie Honig. Ein stetiges Brummen ging von einer Vielzahl an Gesprächen aus, was für eine kleine Herumtreiberin hoch über ihnen wie ein großer Bienenstock klang. Die Wege waren gefüllt mit Leuten deren Kleider so bunt und lebensfroh aussahen, dass sie manchmal vergaß, dass sie gar nicht hierher gehörte. Spielleute gab es hier zu genüge, die mit kleinen Kunststücken versuchten den Vorbeiziehenden ein paar Münzen aus den Taschen zu locken.
Oft saß Neferet hoch über ihren Köpfen auf einem Dachvorsprung und beobachtete die vorbeiziehende Masse an Farben, immer hoffend, dass kein Seraph sie dabei erwischte wie sie die Leute beobachtete. Das Mädchen nestelte an einer ihrer geflochtenen Haarsträhnen in die sie eine Perle gewoben hatte. Ein letztes Stück der Heimat, die nun so fern hinter dem Horizont lag. Sie hatte schnell gelernt, dass man mit den Wachleuten hier ebenso wenig Spaß hatte wie Zuhaus. Nachdem sie in das Tal gekommen war, hatte sie den Ärger förmlich angezogen. Vielleicht hätte sich Vieles anders entwickelt, wenn sie sich an die Kinder ihres einstigen Helfers gehalten hätte, doch sie zog dem gediegenen und ruhigen Gehöft eher das bunte Treiben der Hauptstadt vor. So auch an diesem Abend, der das Leben der jungen Elonierin tüchtig durcheinander bringen sollte.
Der Tag neigte sich langsam dem Ende zu, auch wenn das Leben in Götterfels kaum zu verebben schien. Zwar begannen die Händler ihre Stände abzubauen, riefen sich hier und dort barsche Anweisungen zu, aber Alles in Allem, gefiel ihr dieser Umgang dort sehr. Es erinnerte sie an die Zeit bevor sie in diese Gegend kam. An die Märkte in Amnoon. Der Umgangston war ehrlicher und direkter als es die Oberschicht um die Hauptstadt zu sein pflegte und das schätzte sie sehr. Zu oft hatte sie beobachtet wie die hohen Damen und Herren lächelten und kaum eine Minute später das Gesicht verzogen als hätten sie sich mit Ungeziefer abgeben müssen. Sicher, sie waren nicht Alle so, aber das tat an diesem Abend nichts zur Sache. Sie wartete auf einen Weggefährten.
Sie hatte Jonah kennengelernt, kaum eine Woche nachdem sie in das Tal gekommen war. Er war ein aufstrebender Ingenieur, zumindest behauptete er dies gern mit stolz geschwollener Hühnerbrust, aber seine Konstrukte und Tüfteleien, brachten ihn in mehr Schwierigkeiten als dass sie ihm geholfen hätten. Er war ihr schnell ans Herz gewachsen und auch, vielleicht auch gerade weil er auf dem Gehöft ihres Gönners nicht mehr gern gesehen war, verschlug es sie immer öfter in die Stadt wo ihr Freund sein Glück suchen wollte. Seit der Sohn ihres Helfers ausgezogen war um die Welt zu sehen, hatte Jonah die Lücke gefüllt, die er hinterlassen hatte und lange konnte sie ihm nie böse sein, egal in welchen Shadhavarmist er wieder geraten war.
Die Sonne versank gerade hinter einem der hoch aufragenden Türme als Neferet ihn unten auf der Straße entdeckte. Er jagte etwas Kleinem nach, dass sich offenbar schwer fangen ließ. Als das Mädchen sich aus ihrer Deckung erhob tastete sie noch einmal ihren Mantel ab. Da ihre Fingerspitzen das klobige Bündel unter ihrem Mantel ertasteten, lächelte sie zufrieden, sicherte noch einmal ihre Ladung und begann den Abstieg. Regenrinnen dienten als Schwungstangen, stramm gespannte Vordächer federten ihre Sprünge ab. Einer Händlerin, die gerade die noch teils gefüllten Körbe mit Äpfeln auf einem Karren platzierte, sprang Neferet direkt vor die Füße. Unter einem erschrockenem Aufschrei entkam der Canthanerin schließlich nur wüstes Geschimpfe, doch die Herumtreiberin kümmerte es nicht. Sie behielt Jonah im Blick und folgte ihm, was nicht weiter schwer war, man musste schließlich nur der Blickrichtung der erbosten Händler folgen um ihn kurz vor dem Salmaviertel einzuholen.
„Is’ dir ein Kullerkäfer ausgebüchst?“ fragte sie amüsiert klingend nach ehe sie sich mit der Schulter voran in den Torbogen lehnte um auf den jungen Mann herab zu sehen. Der Tüftler sah finster zu Neferet auf. „Nenn die nich’ immer so! Das sind hochexplosive Knallkäfer!“ brummte er basslastig. Die Tiefe der Stimme wollte einfach nicht zu den noch so jungen Augen passen, auch wenn das Gesicht durch einen gepflegten Bart älter wirken mochte. „Müssten sie dafür nich’… auch knall’n?“ fragte sie ungerührt nach, auch wenn der zuckende linke Mundwinkel ihre Neckerei durchaus verriet. Schließlich erhob Jonah sich zu voller Größe, wodurch er Neferet um gut einen Kopf überragte und gab dem Mädchen mit der Schulter einen Schubs. „Blöde Dolyakkuh.“ raunte er, was Neferet mit einem feixenden „Shadhavarhintern.“ konterte.
Nachdem die Beiden einmal die Straße herauf und herunter geblickt hatten, stießen sie sich ab um gemütlich ihrer Wege zu gehen. Jonah sah noch einmal über die Schulter bevor er leise die Stimme erhob: „Hast du eine bekommen?“ Neferet nickte ohne den Blick vom Pflaster der Straße abzuwenden und griff unter ihren Mantel nach dem Bündel um es ihrem Spießgesellen zu reichen. „Brad wird die nich’mal vermiss’n. Der hat genug davon.“ raunte sie leise, voll jugendlicher Überheblichkeit und Selbstüberschätzung. Der junge Mann sah sich um ein Weiteres um ehe er einen Blick auf das Mitbringsel warf. Die Pistole, die Neferet ihm gebracht hatte, sah gängig aus, nichts Besonderes daran. Außer, dass sie ihm tatsächlich nur die Pistole gebracht hatte. Er wollte gerade zu maulen beginnen, da unterbrach ihn schon eine tiefe unerbittliche Stimme von der anderen Gassenseite aus. „Wusst’ ichs doch!“
Die Stimme ließ Neferet zusammen schrecken. Sie hatte noch nie verstanden wie es diesem glatzköpfigen Hünen gelang so mit der Umgebung zu verschmelzen, dass man ihn übersah. Doch da stand er und kam mit großen Schritten zu ihnen herüber. Jonah aber beschleunigte seine Schritte als wüsste er bereits was folgen würde. „Lass mich in Ruhe Joe, du verstehst das nich’.“ entkam es dem Burschen keuchend ob seiner hastigen Beschleunigung. Die Herumtreiberin blinzelte ehe sie sich besann und wieder Schritt aufnahm, was gar nicht so leicht war, da Joe doppelt so lange Beine hatte wie sie. Auch er schien Jonahs Ziel bereits zu kennen, nur Neferets Brauen senkten sich immer tiefer ehe sie sich voller Verwunderung erhoben als sie bemerkte, wo sie waren. Dies war keine Gegend mehr für sie und das andere gemeine Volk. Hier lebten die gut Betuchten und ihr wurde flau in der Magengegend.
„Ist er etwa noch immer.. ?“ entkam es ihr atemlos als sie zumindest Joe eingeholt hatte. Jonah hatte bereits ein Haus am Ende der Straße fixiert und schmälerte die Lippen als er scharf abbog um in die Heckengasse hinter den Häusern zu gelangen. Die Hinterhöfe waren für gewöhnlich weniger beleuchtet. Als er den passenden Hof beinahe erreicht hatte, hielt er schnaufend an. Joe überholte ihn und nutzte seine Statur um sich einen Überblick zu verschaffen. Bis auf ein paar streundende Katzen war nicht viel zu sehen. Die meisten Anwohner tummelten sich noch in der Stadt. „D-du hast gesagt du brauchst die Knarre um was zu basteln…“ entkam es Neferet leise und durchaus enttäuscht klingend.“ Jonah biss sich auf die Unterlippe. Er hasste es wenn sie so klang und er musste sie nicht ansehen um zu wissen dass sie das Kinn vorgeschoben und trotzig die Arme verschränkt hatte.
„Ihr versteht das nich’, verflucht! Sie liebt mich, das hat sie mir gesagt. ‚s nur der Alte, der sie nicht geh‘n lässt. Ich hol sie raus und dann können wir..“ „Was?!“ unterbrach Joe ihn barsch und dennoch zischend wie eine Schlange. „Was könnt ihr dann? Weglauf’n? Du bist doch nich’ bei Trost. Junge. Die Wumme is’ nich’mal geladen. Der Kerl versohlt dir den Hintern und lässt ihn dir dann von den Seraphen bis zu den Ohr’n aufreißen bevor er dich in 's dunkelste Loch werf‘n lässt, was er findet! Der wartet doch nur auf nen Grund! Steck das Ding wech!“
Verbissen trat Jonah auf der Stelle und betrachtete seine Stiefelspitzen. Joe hatte ihn meist vor Ärger bewahrt, war ihm über Jahre wie ein Vater gewesen, vielleicht reckte er gerade deshalb forsch das Kinn um dem Mann und nicht zuletzt sich selbst zu beweisen, dass er kein Kind mehr war. Neferet stand der Mund einen Spalt breit offen als sie zwischen den Beiden hin und her sah. Ihr Hals wurde ihr trocken, dennoch rang sie sich einen kratzigen halb erstickten Einwurf ab. „Mhm, und dann geh’n wir in den Flasch’nhals und vergessen das Ganze einfach.., finden nen anderen Weg...“ fügte sie zuletzt leiser murmelnd an und hob bereits die Schultern als sie Jonahs Körperhaltung sah, wie entschlossen er war, als hätte er keinen ihrer Einwände gehört.
Folgendes passierte viel zu schnell und wenn Neferet versuchte sich an den Ablauf zu erinnern, verworren die Erinnerungsfetzen ein wenig. Sie erinnerte sich noch wie Jonah losgelaufen war, dass Joe noch gerufen hatte, aber der Bursche hatte den Zaun bereits übersprungen und rannte die Treppen zur Hinterür hinauf. Ob des Gebrülls entbrannte Licht in der Küche und das Nächste, woran sie sich erinnerte, war ein Knall. Ein lauter Knall, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Wie gebannt starrte sie auf die Hintertür die Jonah aufgetreten hatte um die Einwohner zu überrumpeln und sah wie in Zeitlupe ihren Freund rückwärts, steif wie ein Brett in den Hinterhof fallen.
Der Rauch, der dem Musketenlauf entkam, ließ keine Sicht auf den Schützen zu. Neferet starrte noch immer auf den leblosen Körper im Hinterhof, unfähig sich zu rühren, etwas zu hören, außer Rauschen und einem sich entfernenden Pfeifen, dass sich erst lichtete als starke große Hände sie an den Oberarmen griffen und schüttelten. „Wir müssen hier weg! Da woll’n wir nich’ drin steck’n – LAUF!“ Das Mädchen blinzelte, sah an dem Hünen vorbei, der sie gegriffen hatte, blinzelte noch immer als er sie herum und in die Gasse zurück schob. Sie lief, ohne zu wissen wohin und ihre Sicht durch aufkommende Tränen verschwamm.
Auf den Straßen herrschte reges Treiben. Ein Sommerabend wie so viele schon zuvor, auch wenn gerufene Seraphen über die Wege in das Salmaviertel strömten. Doch für Neferet war in diesem Moment nichts mehr so bunt und ausgelassen wie zuvor. Bald schon brodelte die Gerüchteküche , dass der Pöbel versucht hatte einen angesehenen Handelsmann zu überfallen. Um sie aus der Sache raus zu halten hatte Joe ihr einen Platz in einer Handelskarawane nach Löwenstein organisiert. „Etwas Abstand wird dir gut tun, Kleine. Wir seh’n uns in ein paar Wochen, wenn die Sache vom Tisch is’.“ hatte er noch gebrummt bevor die Karawane ihrer Wege zog und der Hüne für Neferet in der Ferne nur noch ein kleiner Punkt war.
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