Alchemiestündchen – vor gut 8 Jahren

Sie hatte die in weiches Rehleder und flauschigen Lammpelz gehüllten Arme auf dem, ausnahmsweise unbestückten, steinernen Altar verschränkt und das feine, spitz zulaufende Kinn auf den oberen gebettet, während ihre Iriden, in deren eisiger Blässe sich das flackernde Schimmern der Kerzen spiegelte, aufmerksam ihrem Meister folgten. Dieser tigerte durch den Raum, hatte die eigenen Arme an seinem kerzengeraden Rücken verschränkt. Er traf ihren Blick. Sie war das Zentrum seiner Aufmerksamkeit, noch voller Elan und versessen darauf, sich ihrem Gott zu beweisen. Die Chance sollte sie bekommen.


„Du wirst mir einen Prototyp brauen…“ begann er. Selbst heute löste der Klang seiner dunklen, unnachgiebigen Stimme eine Gänsehaut bei ihr aus, die ihr kühl den gesamten Leib hinab kroch.


„… Lähmung.“ Er wand sich einer Tafel zu, die nur mäßig gereinigt schien und notierte etwas, in fremdartigen Zeichen und Runen. Es war sein Alphabet und er schrieb alle seine Notizen und Rezepte in dieser selbst entwickelten Sprache.


Sie lauschte aufmerksam und musste süffisant schmunzeln. Lähmung? Überheblich verdrehte sie die Augen – nichts leichter als das. Aber war es wirklich so einfach?


„Oh. Amüsiert dich das?“ sprach er über seine Schulter, ohne über jene hinweg zu blicken. Der Weißhaarige kannte sie besser, als seine eigene Handfläche. Er musste sie nicht ansehen, konnte ihr selbstgefälliges Grinsen förmlich hören.


„Na dann.“ Er legte die Kreide beiseite und wand sich ihr nun wieder zu.


„Es soll Lähmen, nicht betäuben. Beginne mit Säugetieren. Reptilien und Vögel kommen danach. Du wirst dein Rezept oft anpassen müssen. Dann Menschen. Groß, klein, alt, jung. Gesund – schwer krank. Die Dosis macht das Gift. Achte darauf, dass du zu Anfang möglichst Objekte wählst, die sich in Körpergewicht, Größe, Alter und Gesundheitsstatus soweit wie möglich ähneln. Später Norn und Charr. Die wandelnden Bäume lassen wir erst einmal aus, für die braucht es dann erst Anatomiestudien. Du wirst sehen, es wird nicht bei einem Rezept bleiben.“ Für den Moment vergönnte er ihr die Selbstsicherheit. Das Grinsen würde ihr schneller vergehen, als sie „Lähmung“ sagen konnte.


Sie quittierte seine Forderung mit gelassenem Nicken, erhob sich und machte sich voll jugendlichem Eifer und verbissenem Ehrgeiz an die Arbeit. Zunächst beschäftigte sie sich mit allerlei potenten Nervengiften. Pflanzlich wie tierisch, entnahm Schlangen ihr Gift, extrahierte Öle aus tödlichen Pflanzen, wühlte sich durch die Schriftrollen ihres Meisters, der sie regelmäßig in seiner Sprachform unterrichtete. Niemand außer den beiden sollte je in der Lage sein, seine Werke zu lesen.



Minuten, Stunden, Tage, Wochen und Monate zogen ins Land.


„Komm schon…“ wisperte ihre dünne, rauchige Stimme, als sie auf das „Objekt“ hinabsah, welches rücklings auf den Altar gebunden worden war. Mitleid war offenbar keines in ihr vorhanden. Sie hatte Stift und Pergament zur Hand, notierte jede Regung, die durch den Körper des Objekts zuckte, bis es verzweifelt zu röcheln begann.


„Was? Nein, nein, nein… komm schon, komm schon! Es ist nicht die Leber, es kann nicht die Leber sein, was… WIESO?!“ eifrigen Schrittes hastete sie um den Altar herum, griff ein Stethoskop und drückte das eiskalte Metall auf den blanken Brustkorb des Mannes. Das Herz schlug, angestrengt und aus dem Takt fallend.


„Es ist nicht das Herz. Seine Lungen versagen und das Herz kann den Sauerstoffmangel, des Giftes wegen, nicht durch kräftigeres Pumpen ausgleichen. Es versagt. Aber das ist nur das Symptom. Es sind die Lungen.“ Dröhnte es trocken und ihr Meister trat aus dem Schatten eines Bücherregals hervor, aus welchem hunderte Bücher und Schriftrollen ragten.


„Du hast dich überschätzt. Nicht schlimm, die meisten glauben, es wäre einfach, eine Lähmung hervorzurufen, die die Organe nicht angreift.“ Er trat von hinten an sie heran, legte ihr sanft die Pranken an die Oberarme und beugte sich an ihr Ohr hinab.



„Es ist schwierig, zu ermitteln, welche Organe du bei welcher Dosis angreifst, wenn du sie nicht reagieren siehst…“ hauchte er kaum hörbar, striff dabei ihr Ohr mit den lila verfärbten Lippen, sodass sie erschauderte, ihm dann das Puppengesicht entgegendrehte. Fast Nase an Nase, sah sie ihm abwechselnd von einem Auge ins andere.


„Du meinst ich soll…“ die hauchzart gesprochenen Worte endeten im Stillen, waren von Unsicherheit belegt. Meinte er, was sie glaubte, das er meinte?


„… aber wie soll ich sie dabei am Leben erhalten?“



„Ich bringe es dir bei. Ganz ohne Magie.“ Dann strichen seine kalten Finger über ihre Wange.


„Das Grundrezept ist gut, es geht in die richtige Richtung.“ Wurde die Viper gelobt, um nicht ihre Unsicherheiten, sondern ihren Ehrgeiz zu bestärken. Die Forschung ging unerbittlich weiter.

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