Ein Blutbad [Aktuell 2024]

Sonnenuntergang. Zwei Männer hatten das düstere Schlangennest am Ende des Friedhofs betreten und zwei Männer hatten die Höhle auch wieder verlassen. Nunja, mehr oder weniger. Jetzt brach die nächtliche Dunkelheit über das Tal ein, drängte das letzte Fünkchen Sonnenlicht hinfort und bot einen strahlenden Nachthimmel, mit Sternen so grell und unausweichlich wie die Wahrheit, die sich hier heute zugetragen hatte.


Im Inneren der Höhle lag sie, die Viper, in der Blutlache ihres Raptors, um dessen verwundeten Hals sie ihre zitternden Arme geschlungen hatte. Sie hielt mit verzweifelter Kraft an dem Tier fest, vergrub ihr Gesicht in der kühlen Halsbeuge des Kaltbluts. Ihre fein geschwungene Nase und die ein oder andere Rippe war gebrochen. In dieser Nacht waren Schüsse gefallen, deren Echo noch immer durch die Gänge zu hallen schien.


Jetzt wo sie allein war und dem schwachen Atem ihres Raptors lauschte, strömte ihr der Schmerz durch den Leib. Fuhr ihr durch den Körper wie ein Blitz, ließ sie erschaudern und schwächeln, bis ihr die Lieder zufielen.


Sie konnte ihn hören. Klar und deutlich. Da war sie wieder, diese Stimme in ihrem Hinterkopf und erstmals, seit vier Jahren, blitzen längst verloren geglaubte Erinnerungen auf.



Eine Erinnerung:



Die Erinnerung war schwammig, sie konnte das Gesicht des Mannes nicht erkennen, der zu ihr sprach. Doch sie erkannte sehr wohl die Wahrheit in seinen Worten. Auch heute hatte sie sich nicht unter Kontrolle gehabt. Zwei kerngesunde Männer hatten diese Höhle betreten. Zwei, zum teil schwerst verwundete, hatten sie wieder verlassen.


Sie bettete ihre Wange gegen den Hals des Raptors, den sie mit Mühe und Not verarztet hatte, als das Mondlicht, welches durch den Eingang der Höhle schien, durch eine Silhouette gebrochen wurde.


„Was hast du getan…“ sprach ein Dritter zu ihr. Stapfte eiligen Schrittes auf sie zu, löste seinen Umhang und warf ihn um die schmalen, in sich zusammengefallenen Schultern der Viper.


„Ich habe dir gesagt, du musst hier weg. Ich habe dir gesagt, du sollst mitkommen… was hast du getan?“ stocherte er väterlich weiter, die Höhle war das reinste Blutbad, er konnte sich ausmalen, was hier passiert war.


„Hilf mir…“ wisperte sie ihm fast tonlos zu und trug einen feuchten Glanz in ihren müden Augen.