Lautlos - 0

Es war interessant zu sehen, wie schnell einem das Leben als Gladium zusetzen kann. Wie schnell einem der Dienst und Trupp fehlt und wann der Zeitpunkt eintritt, dass man sich mit all dem abfindet. Bei mir trafen diese Dinge alle recht zeitgleich ein, wenn ich mich zurück erinnere.
Die ersten Nächte im Gladium-Kanton waren noch von Zurückhaltung geprägt. Du hast dich mit anderen Charr deines Ranges um die einfachsten Dinge geprügelt und wenn es nur ein warmes Fell war, was deinen alten Lumpen ersetzen sollte, welcher dir als Bett diente. Wer einmal in diesem Kanton lebte, weiß vielleicht, wie schwierig so etwas sein kann. Wenn man Hunger hat und sich mit einer Gruppe anfreunden muss, um das begehrte Fleisch zu bekommen. Gerade als Weibchen wollte man sich beweisen und das versuchte auch ich. Mit mäßigem Erfolg.
Eine Woche. Mehr brauchte ich nicht, um mich meinem Schicksal zu fügen. Dies müsste natürlich nicht zwangsweise bedeuten, dass ich aufgab, ich nahm es einfach, wie es kam. Ich erregte kein Aufsehen, beschwerte mich nicht über das feucht-warme Klima in diesen Räumlichkeiten und versuchte wenigstens eine halbwegs normale Bindungen zu anderen Gladia zu bekommen. Für den Fall der Fälle. Auch wenn ich nach wie vor nicht ein Wort gesprochen hatte, schienen gerade das andere Charr zu schätzen. Die Wahrheit war, ich stellte mich noch immer nicht der Furcht, welche mich heimsuchte, wenn ich das Maul öffnete. So hüllte ich mich lieber in Schweigen. Die einzigen Probleme, die ich diesbezüglich hatte, war das man mein Brummen, welches ich mir angewöhnt hatte, falsch interpretierte: Als Herausforderung oder Ablehnung. Doch über das Anschreien oder einem Schlag in die Schnauze wollte ich mich nicht beschweren. Es gab schlimmere Dinge, die man im Gladium-Kanton erleben konnte. Weitaus schlimmere.


Doch wenigstens dienten mir die Charr hier als abschreckendes Beispiel. So konnte und wollte ich nicht ewig mein Leben fristen. Ich war einst Soldatin und diente der Eisenlegion auf dem Schlachtfeld. Auch von meinem Punkt aus musste es etwas geben, mit dem ich nützlich sein könnte. Und so nahm ich mein Fachwissen, welches ich mir in Punkto „Mechanik“ aneignete und nutzte gute Kontakte zu einem Trupp, der sich um allgemeine Reparaturen kümmerte. Ich hatte Glück, dass ich den Brevet von ihnen kannte, ein mürrisches Weibchen, welches mich aufgrund meines Daseins als Gladium nicht sonderlich freundlich behandelte, doch hatte sie noch genug Ehrgefühl, um zu wissen, was sie mir schuldig war. Sie versorgte mich mit Materialien, die ohnehin nicht mehr gebraucht wurden. So hatte ich eine Idee und eine Aufgabe.


Ein halbes Jahr verging, bis ich meine Arbeit vollendete. Das Kanton ließ es nur nachts zu, dass ich arbeitete, waren die Schreie und die Streitereien doch immerhin nur dann auf ein Minimum begrenzt, sodass ich die nötige Ruhe fand. Meinen Langbogen zu präparieren war dabei wohl das geringste Hindernis. Der Köcher fraß weitestgehend mehr Zeit und Nerven, doch wusste ich, dass es sich lohnen würde und es war eine weitaus bessere Beschäftigung, als zu warten, dass ausgerechnet ich von einem Trupp entdeckt wurde. Auch nach der Vollendung meiner Waffe blieb ich weiterhin für mich. Die Tage nutzte ich zum Üben, zum Verbessern oder einfach für das Umherstreifen durch das Herz der Eisen-Legion. Ich machte mir nichts vor, ich hatte gehofft, dass mich jemand ansprach. Ich wollte zwingend wieder in einen Trupp, doch stellte sich dies schwerer heraus, als ich dachte.


Bis zu jenem Tag, etwa ein Jahr nach meinem Bezug im Gladium-Kanton.
Ich ging meine übliche Route um den Kern herum, mit der Absicht durch das Factorium wieder nach oben zu gehen, um die Ruinen zu betrachten. Ein herrliches Bild, wenn man bedenkt, was für ein Abschaum einst in ihnen wohnte. Doch ich kam nicht einmal bis Ehrenmal-Quadrant. Auf halber Höhe meines Weges vernahm ich plötzlich wieder diese tiefe, rauchige Stimme. Das Männchen, welches mich bei meinem früheren Spitznamen rief. „Brüller!“
Ich ging noch einen Schritt, ehe ich mich entschied inne zu halten und zurück zu blicken. Da waren wieder diese tief-grünen Augen, die mich so viele Jahre lang kritisch musterten, bei allem, was ich tat. Groschka sah erholter aus, frischer, trotz seines Alters. Ich nahm an es lag an dem kleinen Haufen an Jungen, welcher sich um ihn scharrte. Ich zählte fünf Stück, nicht älter als drei oder vier Jahre alt. Wie verwundert sie mich ansahen, als ich mich ihrem Primus zuwendete. Ich hörte, wie ein kleines Männchen zu dem neben sich raunte, was Groschka sich denn mit einem Gladium unterhält. Mich stimmte es interessanterweise froh, immerhin zeigte dies, dass mein früherer Legionär die Jungen gut erziehen würde.
„Wie geht’s dir, Brüller? Redest‘ immer noch nicht?“, fragte er mit einem breiten Grinsen, als ich näher kam und er mich musterte. Als Antwort bekam er nichts, außer einem Brummen, welches für ihn scheinbar genug war. Er hingegen nickte verstehend, ehe er anfügte „Wirst es wieder lernen müssen. Hab da was für dich gefunden. Da gibt’s ein Trupp, der deine Fähigkeiten bräuchte“, seine letzten Worte gingen im Lärm der Zitadelle völlig unter, sodass ich sie nur mit Mühe verstehen konnte. Er suchte nach etwas in der Seitentasche seines Beutels, welchen er schon mit sich herumschleppte, als ich noch unter ihm diente. Er erklärte dies, dass man auf alles vorbereitet sein musste, doch durfte nie einer von uns einen Blick hinein erhaschen. Das war auch jetzt nicht der Fall, wie ich sehen konnte. Eines der Jungen ging neugierig einen Schritt näher und streckte sich, um den Inhalt des alten Leders erspähen zu können. Ohne, dass Groschka wirklich zu dem Kleinen sah, verpasste er ihm einen Klapps auf die Stirn. Ich unterdrückte den Drang zu Grinsen, als das Junge sich wieder einreihte, konnte jedoch genug Verständnis aufbringen. Immerhin kannte ich seinen Primus gut, um zu wissen, dass er derartige Neugierde nicht duldete.
„Ah! Hier ist es!“, er zog aus seinen Beutel ein Schriftstück, welches er offensichtlich schon öfters zusammen- und auseinandergefaltet hatte. Es war in keinem guten Zustand, aber immerhin war die Schrift lesbar. Ich überflog die wenigen Zeilen, die lediglich eine kurze Information über einen Trupp enthielten.
„Die suchen einen Späher. Du bist Späher, du wirst denen zugeteilt!“, antwortete der alte Charr auf meine unausgesprochene Frage hin. Ich muss wohl den Kopf geschrägt und ihn ziemlich irritiert angesehen haben, den Groschka hob die Lefzen zu einem seiner seltenen, eher wärmeren Ausdrücke. „Hab doch gesagt, ich vergess‘ dich nicht, Mogra! Hat mich viel Nerven gekostet, aber demnächst geht deine Akte beim Grollenden ein. Wenn du mal einen Blick auf den Legionär werfen willst, der verkloppt im Fluch gerade Soldaten. Hab den vorhin dahin gehen sehen!“
Nun war es an mir, wenigstens die Andeutung von Freude zu zeigen. Ich formte mit den Lefzen einen stummen Dank und nickte abschließend. Die Aussicht bald wieder aktive Soldatin sein zu können, weckte in mir einen ziemlichen Ehrgeiz. Und ich war neugierig, nach seinen Worten.
„Du machst das schon, Brüller. Zeig‘ denen ruhig mal, was du kannst und lass dich nicht unterkriegen!“, nach den Worten meines ehemaligen Legionärs, wandte er sich um und befahl den Jungen, dass sie sich gefälligst bewegen sollen.


Ein Blick konnte ja nicht schaden. Ich nahm mir vor, es wie immer zu machen: Mich unter die Anwesenden mischen und mich unauffällig verhalten. Im Fluch den Kämpfenden zuzusehen war immerhin kein Verbrechen und bisweilen sogar interessant, wenn sich die richtigen Kontrahenten getroffen hatten.
Ich drängte mich durch andere Zuschauer, bis ich einen guten Platz für mich selbst fand, nah an den Ketten, welche einen hindern sollten nach unten zu fallen. Gerade waren einige Übungskämpfe im Gange, sodass es für mich schwer war den richtigen zu finden. Es war ein elendig-altes Weibchen, welches meine Aufmerksamkeit bekam, als sie einen Blut-Soldaten anfeuerte, der im Begriff war einen Kampf gegen einen Charr der Eisen-Legion zu verlieren. Das musste er sein, so viel stand für mich fest. Immerhin war er der einzige Charr der Eisen-Legion, der gerade im Fluch kämpfte. Von meiner Position aus konnte ich nicht viel erkennen, außer dass er weißes Fell aufwies, welches von schwarzen Streifen durchbrochen wurde. Er hatte wenig Mühe mit seinem Gegner und so dauerte es nicht lange, bis der Blut-Soldat bewusstlos im Staub der Arena lag. Sein Kontrahent jedoch schien wenig erfreut über seinen Sieg. Er wandte sich achtlos um und ich erkannte den lustlosen Gang, als er die Tribüne wieder betrat. Natürlich wollte ich mich weiterhin im Hintergrund verhalten, lediglich beobachten und mich anschließend wieder in das Gladium-Kanton aufmachen, wo ich auf meinen Einberufungs-Befehl wartete. Aber mein Instinkt sagte mir etwas Anderes. Ich beobachtete den getigerten Charr, wie er zu den Ketten ging und seinen Kopf darauf ablegte, als wäre er zu schwer für seine Schultern. Ich sah, wie sein Schweif lustlos und unregelmäßig von einer Seite zur anderen schwing und in dem Moment fragte ich mich, was einem Legionär wohl passieren muss, dass er so fertig mit sich und der Welt wirkte. Was bringt einen stolzen Soldaten so nahe an den Rand des Abgrunds? Und noch wichtiger war die Frage, wieso scheinbar sonst keiner Notiz davon nahm, wo sich nicht einmal sein Trupp hier befand?


Tu irgendwas, dachte ich mir. Mach irgendetwas oder irgendwie auf dich aufmerksam. Du kannst jetzt nicht einfach wieder gehen. Meine innere Stimme befahl mir zu bleiben, auch wenn ich eigentlich schon lange wieder verschwinden wollte. Ich muss den Charr etwas mehr als eine Minute angestarrt haben, bis ich mich zu dem Einfachsten der Welt entschied: Ich öffnete mein Maul und hörte eine fremde Stimme sagen „Guter Kampf!“
Ich unterdrückte den Drang zurück zu weichen, als mir klar wurde, dass diese fremde Stimme meine Eigene war. Tiefer, als es für ein Weibchen normal wäre. Rauchig, leise und mit diesem leisen Unterton, die einen ahnen lässt, dass meine Tonlage sich gleich überschlagen könnte. Wahrscheinlich hatte ich mich angespannt, doch hätten Außenstehende dies vermutlich auf die Situation geschoben: Ein Gladium, welches einen Soldaten belästigte. Keine Seltenheit. Für mich war dies ein bedeutender Moment: Das erste Mal, seit einem Jahr, dass ich gesprochen hatte. Wenn ich gekonnt hätte, wäre ich selbst vor mir weggerannt.
Der Charr, der seinen Kopf so lustlos in den Ketten hingen ließ, blickte zu mir und schaute mich nicht minder überrascht an. Vermutlich hatte er damit gerechnet, dass eine alte Prätor ihn mal wieder beglückwünschen würde oder dergleichen. Es war unklar, was in seinem Kopf vorging.
Doch mich beruhigte der Austausch an Verwunderung.
Der erste Schritt in die richtige Richtung.


- Ende -

Kommentare 2

  • Das Ende einer schönen Geschichte und der Anfang einer Neuen interessanten Geschichte! Es gefällt mir wie die reine Geschichte langsam in das wirklich IC ausgespielte übergeht. Mir war nie bewusst, dass Mogra erst wieder anfing zu sprechen, als sie den Kontakt mit dem Grollenden Eisen aufnahm. Ich glaube... man sollte wirklich mal mehr über die Vergangenheit der Trupp-Mitglieder in erfahrung bringen.


    Lange Rede, kurzer Sinn: Toll!

  • Schon interessant zu lesen wie die Geschichten der Soldaten des Grollendem sind. Der schreibstil gefällt mir sehr und ist gut zu lesen. Besonders ist es interessant den Gedankengang des Charrs zu verfolgen da sie ja nur selten redet. Leute die wenig Reden denken bekanntlich viel :P und ich als spieler frag mich immer was mein gegenüber denkt.