Ein weiterer Tag. Einer der Letzten, den ich noch im Lazarett der Zitadelle verbringen durfte. Ich war weitestgehend wieder genesen, doch wollte man mich für alle Fälle dabehalten. Die Angst einiger Heiler war wohl immer noch zu groß, dass meine Nähte wieder reißen könnten. Und so verbrachte ich meinen Alltag zwischen den Kranken, Verwundeten und sterbenden Prätoren. Die Gerüche nach Blut, Kräutern und Chemikalien waren mittlerweile so belastend, dass ich Mühe hatte, nicht ständig jemanden vor die Hinterläufe zu kotzen. Es gab wahrlich bessere Orte. Besonders unangenehm wurde es, wenn zwei Verletzte (Meist Blutler) der Meinung waren, dass sie sich provozieren mussten. Im Regelfall trat dies genau dann ein, wenn ich gerade im Begriff war einzuschlafen. Sie humpelten aufeinander zu und ein paar Heiler schritten ein und schon kam es zum Tumult. Dies waren Momente, in denen ich mich fragte, wieso ich nicht ehrenhaft im Kampf gefallen bin. Zugegeben, das waren schwere Zeiten für mich. Zum Aufgeben wurde ich nicht erzogen, aber mir fehlte schlicht die Kraft und die Lust mich wirklich aufzuraffen. Ich wusste noch immer nicht, was aus meinem Trupp geworden ist. Ich sah mich im Lazarett immer wieder um, doch fand ich nicht einen von ihnen.
Nun war es ein weiterer Morgen. Ich kannte die Abläufe hier mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass gleich drei Heiler sich hier umsahen, bevor die halbwegs-lebendigen etwas zu Fressen bekamen. Im Anschluss wurde bei jedem alles nötige an Bandagen oder wasauchimmer gewechselt.
Und wie an jedem Morgen, zog ich es vor, es einfach passieren zu lassen. Die Heiler würden kommen und auch wieder gehen. Kein Grund sich groß damit zu beschäftigen. Da meine Wunden sich auf einen guten Weg zur Besserung befanden, war es auch eher selten, dass man sich um mich kümmerte.
Meine Stimmbänder hatte es erwischt, hatten sie gesagt. Ein langer Schnitt vom Kiefer bis zur Brust und entlang meines Halses, hatten sie gesagt. Ich könnte froh sein, dass ich noch lebte, hatten sie gesagt. Eine Narbe würde bleiben und es hieß, ich hätte Zeit meines Lebens fortan Probleme beim Sprechen. Eine bittersüße Ironie schoss mir durch den Kopf, wenn man bedenkt, dass mein Trupp-Name „Ambossrufer“ lautete. Ich war bekannt dafür, dass ich mich hinter die feindlichen Linien schlich, um dem Trupp in einem Moment der Überraschung den Angriff zurief, ehe ich selbst den Gegner attackierte. Diese Zeiten gehörten der Vergangenheit an, so viel war sicher.
Ich lauschte den Gesprächen neben mir. Die ältere Soldatin, die in der Schlacht einen Hinterlauf verloren hatte war im Begriff sich mit einem der Heiler zu streiten. Ich wollte dem gar nicht beiwohnen, zumal ihre einzige Sorge offensichtlich dem galt, dass sie nicht mehr jagen konnte. Ich drehte mich auf meinem Fell herum und wollte dem nicht zuhören. Was ging mich ihr Elend auch an? Immerhin war sie ein Soldat der Asche-Legion, womit sie mein Interesse schon binnen weniger Sekunden verloren hatte. Gerade war ich im Begriff wieder die Augen zu schließen, als ich dieses seltsame Gefühl vernahm. Meine Ohren zuckten, noch ehe ich die fremde Pranke an ihnen spürte. Mein Instinkt sagte mir zwar, dass keine Gefahr im Verzug war, doch war es ungewöhnlich. Keiner der Heiler hatte bisher etwas an meinen Ohren zu schaffen gehabt. So passierte es nahezu zeitgleich, dass ich meine Augen öffnete und diesen mir so bekannten Geruch aufnahm. Der Duft nach altem Hirsch, wie ich es immer scherzhaft nannte. Und meine Nase enttäuschte mich nicht, drehte ich mich noch gerade wieder in eine Position, um besser sehen zu können, da blickten mir schon diese tiefgrünen Augen entgegen, in die ich schon so oft geblickt habe. Der alte Charr sah furchtbar aus. Die breite Narbe in seinem Gesicht verlieh ihm schon immer etwas Kriegerisches, doch seinen rechten Arm in dieser metallenen Schiene zu sehen tat sein Übriges. Ich muss ihn recht lange angestarrt haben, vermutlich weil ich dachte, ich halluziniere. Einzig das Kraulen hinter meinen Ohren war real, was von ihm ausging. Seine Lefzen waren zu einem breiten Grinsen verzogen, als er auf mich herab sah und schlussendlich „Hey Brüller!“, raunte. In diesem Moment war ich mir sicher, dass es keine Einbildung war. Neben mir kniete mein Legionär. Der ältere Charr, von dem ich mich noch erinnerte, wie er im Kampf gegen die Flammen-Legion neben mir in die Knie gezwungen wurde. Ich musterte sein tiefschwarzes Fell, die silbernen Muster an seinen Armen. Lumpen trug er und machte so auf mich nicht den Eindruck des Kriegers, den ich immer in ihm erkannte.
Umgehend begab ich mich in eine sitzende Position und sah das Männchen deutlich verwundert an. Was machte er hier? Und wie kam es, dass er noch am Leben war? Groschka Ambossmauer, leibhaftig. Das war keine Halluzination. Er muss meinen Ausdruck bemerkt haben, denn umgehend ließ er von meinen Ohren ab. Ich beobachtete penibel seine langsame, abgehackte Bewegung, als er sich neben mich auf das Fell setzte und mich anstarrte.
Einmal atmete er tief durch und entspannte seine Haltung, als wäre alleine dies eine enorme Anstrengung für ihn gewesen. Für mich war der restliche Raum vergessen. Die Verletzten, die Heiler. Ich spürte Erleichterung darüber eine so bekannte Schnauze vor mir zu sehen.
„Siehst gut aus, Brüller“, stellte er in seiner tiefen, rauchigen Stimme fest. „Wie geht’s?“
Ich klappte mein Maul auf, wollte etwas sagen. Vor einigen Tagen wurde mir von einem Heiler bestätigt, dass ich sprechen könnte, doch hatte ich es bisher nicht versucht. Auch jetzt drang nichts aus meiner Kehle, als dieses langanhaltende Brummen. Auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, es war die Furcht etwas zu sagen. Allein die Diagnose über meinen Zustand ließen mich zurückweichen, auch wenn ich so viele Fragen an den Charr hatte. Ich entschied mich einfach mit den Schultern zu zucken, um seine Frage zu klären.
Er erwärmte sich zu einem weiteren bezahnten Grinsen und nickte. „Hab‘ schon gehört, dass es dir die Sprache verschlagen hat. Kein Problem, es reicht wenn du zuhörst. Bin nur hier, um dich aufzuklären“, erklärte er, während er sich an seinem Hornansatz kratzte. Das war nie ein gutes Zeichen. Ich kannte Groschka lange genug, um bemerkt zu haben, dass dies eine nervöse Reaktion war. Er tat dies immer, wenn er schlechte Nachrichten zu übermitteln hatte.
Die Pause, die er nach diesen Worten einlegte war schrecklich lang. Am liebsten hätte ich ihn angesprungen, nur damit er weiter spricht. Doch so musste er sich mit meinem bohrenden Blick zufrieden geben.
Sein Kopf senkte sich um eine Idee. Da wusste ich, es waren wirklich, wirklich schlimme Neuigkeiten und meine Befürchtungen sollten bestätigt werden.
„Ich zieh‘ mich zurück und werd‘ keinen neuen Trupp aufbauen. Die Anderen sind tot und ich werd‘ mich nicht gut genug erholen können, um noch mal einen Trupp zu leiten. Werd‘ mich vielleicht als Primus melden oder einem zivilen Trupp beitreten, aber meine Tage als Soldat sind vorbei“, er schaute mich nach den Worten an, in der Hoffnung meine Reaktion erkennen zu können.
Äußerlich muss ich ruhig gewirkt haben, denn seine Augen ließen eine gewisse Enttäuschung vermuten. Innerlich wollte ich diesen Charr in den Fluch zerren, wenn ich gekonnt hätte. Beiläufig wurde mir erzählt, dass Soldaten, die ich kannte, seit ich ein Junges war, nicht mehr existierten. Tot und ausgelöscht, vermutlich in unserer letzten Schlacht. Und ich hatte keine Chance auf Rache, sagte Groschka mir doch gerade durch die Blume, dass ich ein Gladium sei, ungeachtet und von nun an im untersten Rest der Nahrungskette in der schwarzen Zitadelle.
Zwar spürte ich, wie mein Magen sich verdrehte, doch ließ ich mich zu einem verstehenden Nicken hinreißen. Ich wollte mir in keinster Weise die Wut anmerken lassen, die ich in diesem Moment empfand.
„Ich vergess‘ dich nicht, Mogra. Mal sehen, ob ich im Kern etwas für dich beantragen kann, dass du nicht lange im Gladium-Kanton bleiben musst. Wäre schade, bei einem Weibchen mit deinen Fähigkeiten. Verstehst du doch, oder?“
Ich war vermutlich fast stumm, aber nicht taub. Also nickte ich ein weiteres Mal, was Groschka veranlasste sich zu erheben. Wieder konnte ich sehen, wie langsam er sich bewegte und wie viel Mühe ihn das bereitete. Ein winziger Teil in mir verstand tatsächlich, wieso er sich dazu entschieden hatte. Doch mein ganzes Sein als Soldat weigerte sich, diesem Charr auch nur in geringer Menge Verständnis zu schenken.
Wir schauten einander an. Wie oft und wie lange habe ich zu diesem Männchen aufgesehen, das einst mein Legionär war? Mein Leben lang, soweit ich mich erinnerte. Doch war diesen Leben nun offenkundig vorbei. Und ich müsste lernen mich damit abzufinden.
„Ich geh‘ jetzt und meld‘ mich, wenn ich was für dich finde. Pass auf dich auf, Brüller“, ich erkannte seinen Versuch, sich mit den Klauen wieder meinen Ohren zu nähern, doch wich ich dieses Mal mit dem Schädel entschieden zurück und untermauerte diese Reaktion wieder mit einem Brummen. Selbiges wurde von ihm erwidert. Seine grünen Augen starrten mich an, er nickte und wendete sich von mir ab, um das Lazarett zu verlassen.
Ich sah ihm noch nach, auch wenn er gar nicht mehr zu sehen war. Der letzte Kampf nahm mir alles, was mich ausmachte. Wäre ich doch nur gefallen, dachte ich mir wieder.
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