-TRAUMFÄNGER-
Tu' aus das Licht und dann – Tu' aus das Licht; –
Ja, lösch' ich dich, du flammenheller Diener –
Kann ich dein vorig Licht dir wiedergeben,
Sollt' ich's bereun; – doch dein Licht ausgetan,
Du reizend Muster herrlichster Natur,
Nie find' ich den Prometheusfunken wieder,
Dein Licht zu zünden.
Othello- Shaespeare
PROLOG Jahreszeit des Phönix ~1308 NE I- LÖWENSTEIN
„Papá!“, kieksend wirbelte das schwarzhaarige Mädchen herum, die schwarzen, satten Locken peitschten wild um das sommergebräunte Antlitz, während sie ihrem Vater mit großen Augen entgegen blickte und eilig die kleinen Hände reckte, als das Kind auf den Arm genommen werden wollte. Bénvolio näherte sich langsam, in gewohnt geschmeidigem Schritt. Ein Lächeln umspielte die Mundwinkel die von einem schwarzen Bart nachgezeichnet wurden. Die großen Pranken reckten sich nach der schmalen Taille der Tochter und lupften diese förmlich mühelos auf die Schulter. Seine nackten Sohlen sanken ein Stück in den weichen, weißen Sand unter den Füßen.
Für einen Mann besaß er ausgesprochen schöne Füße- befand die kleine Cylene. Aber ihr Vater war in ihren Augen ohnehin der schönste Mann in ganz Tyria. Irgendwann würde sie ihn heiraten, so lautete der Plan, der sich in dem siebenjährigen Köpfchen zusammen gesponnen hatte, von dem sie aber gewiss in ein paar Jahren ablassen würde.
Bénvolio wanderte indessen lässig über den sonnengewärmten Sand und nippte mit den Zehen in die Gischt des brandenden Meers. Die Sonne leckte bereits in einem seichten rotorange am Horizont, zeichnete scharfkantig die Umrisse der schwarzen Schiffsleiber nach, die im Hafen ruhten. Gleich einem Scherenschnitt mit welchem die Mutter, samt einer Kerze, Bilder an die Zimmerwand malte, wenn es darum ging 'Gute-Nacht-Geschichten' zu erzählen. „Runter Papá! Runter! Ich will ins Meer! Das Meer!“- „No, mi corazón. Es ist zu spät, die Strömungen bereits zu kalt.“
Cylene zog eine Schnute, so wie sie es immer tat, wenn ihr geliebter Vater nicht so reagierte, wie sie es wünschte. Die kleine Unterlippe bebte und bereits jetzt senkten sich die dunklen Wimpern ein zitterndes Stück hinab, als ginge es darum besonders viel Eindruck zu schinden. Eine unterschwellige, unbewusste Geste, welche sie wohl von der Mutter abgeguckt hatte. Vater Mêneth musste unweigerlich Schmunzeln. Die Grübchen senkten sich tiefer und sichtbar in sein ansehnliches Antlitz. Kleine Fältchen umspielten seine Augenwinkel. „Ich sagte no.“, wiederholte er eisern. Wer wäre er denn, wenn er nach all den Jahren nicht gelernt hätte den 'Verführungskünsten' der weiblichen Mênethfamilienmitglieder widerstehen zu können? Das Kind gab sich letztlich seufzend geschlagen, kuschelte sich an die Vaterbrust, als er sie nun seitlich auf seine Hüfte setzte. Ihr Padre roch nach Sand und Sonne. Er roch nach ehrlicher Arbeit, Schweiß und Leder. Er roch manchmal nach Pferd. Nein, eigentlich roch er ständig nach den edlen Tieren, die er züchtete und die er höchstselbst dann und wann zuritt und sie nach seinem Willen formte. Große, starke Hände führten die Tiere auf die rechten Pfade. Weicher Schenkeldruck hinter welchem enorma Kraft lauerte. Ein wacher väterlicher Verstand, ein großes Herz und grenzenlose Güte.
Sie senkte neuerlich die Wimpern, dieses mal vor plötzlicher Müdigkeit. Die langen gebogenen Kränze strichen über die Haut seiner Brust. Das schlichte, leinerne Hemd stand halb offen und sie kuschelte sich in das warme Nest auf seiner Brust. Dunkle Löckchen. Ebenso wie er dunkles Haar auf dem Schopf trug, welches bis zu den Schulterblättern hinab reichte und zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden war. Dunkles Haar überzog auch seine sehnigen Handrücken und seine Schienenbeine. Cylene liebte ihren Padre, wahrlich.
Bénvolio lächelte auf seine Tochter hinab, küsste ihren Haarschopf. „Schlaf schön, mi pequeña estrella.“, brummte er in seinem sonoren, tiefen Timbre, als er sich mit einem letzten Blick vom Meer verabschiedete und den Heimweg antrat.
Löwenstein bereitete sich bereits auf die Nacht vor. Lichter glitzerten in den unzähligen Fenstern der zahlreichen Schiffsbauten, die sich bis weit in den Himmel hinauf türmten. Lampions in den unterschiedlichsten Färbungen bewegten sich sanft in der sommerlichen, warmen Brise. Arbeiter, Kaufleute und andere Zünfte kreuzten seinen Weg. Frauen, mit gelben Bändern an ihren Röcken, zwinkerten ihm zu. Ein Charr schob sich etwas ruppig an ihm vorbei, hob aber grinsend die Pranke als Entschuldigung, als er das schlafende Kind in Bénvolios Armen entdecke, welche er zugleich schützender umfangen hatte. Der Südländer nickte diese Geste mit einem freundlichen Grinsen ab. Die starken Arme schoben den Kinderkörper wieder etwas höher auf den Arm, als er sich abwandte und die zentrale Stadt hinter sich ließ. Etwas außerhalb lag sein Gehöft und dort wartete seine Frau bereits vor der Tür auf der kleinen Bank, die er ihnen beiden einst gezimmert hatte. Ein Hund lag zu ihren Füßen. Klein, reinweiß war der Fuß, der zärtlich über den alten Köterrücken striff und ihn mit barer Fußsohle kraulte. Sie war so hell und so schön, als sie ihm mit den Nebelaugen entgegen sah. Das Gestüt selbst lag ruhig. Hier und da das Wiehern eines Pferdes, einer der letzten Stallburschen verließ nach getaner Arbeit den Ort. Das weiß verkalkte Haus besaß mehrere Türen und Fenster, die alle geöffnet standen, um die sommerliche Hitze aus der Lehmhütte zu vertreiben. Nachts luden sie die frischen Winde des Meeres dazu ein, sich in das Gebäude zu schleichen und dort zu verweilen um den nächsten Tag in milder Kühle überstehen zu können. Einzig ein Vorhang aus hölzernen Perlen sperrte den Eingang von der Außenwelt ab.
Bénvolio näherte sich seiner Frau und grub dieser sanft die Pranke in den Nacken, raffte besitzergreifend ein Büschel hellen Haares an dieser Stelle, senkte den Kopf um ihr einen süßen, schweren Kuss zu stehlen, der noch immer viel versprach und zu noch mehr einlud. Ein Lächeln mischte sich in den Kuss. Er schmeckte nach honiggesüßtem Obst, Mandeln und Mann. Als er sich löste war das helle Meerblau seiner Iriden eine Nuance dunkler. Sanft hob er die kleine, schlafende Cylene von seiner Hüfte und setzte sie auf den Schoß ihrer Mutter. „Wir sind daheim.“ Sie lächelte.
Eine wunderschöne Zeit.