Athaid

-Hass-


Vor etwa einundzwanzig Jahren...


Der wunderschöne, kristalline Weinkelch fiel zu Boden. Der Kelch der schon seit fünfzig Jahren im Besitz der Familie ist und welcher dem Haus zum hundertjährigen Jubiläum des Geschlechts vom Königshaus persönlich geschenkt worden war.
Er fiel zu Boden.
Der Kelch der zu einem delikaten Service aus kristallinen Tellern, Platten und anderem Gedeck gehörte.
Der Kelch fiel zu Boden und zersprang in tausend glitzernde, kristalline Scherben, begleitet von einem leisen, aber eindringlichen Geräusch, als würde man silberne Glöckchen läuten.
„Das ist nicht dein Ernst oder?“ Sie war erschrocken darüber wie schrill ihre eigene Stimme in ihren Ohren klang. Unwillkürlich bettete sich eine zierliche Hand über das Herz der Frau. Schmerz pulste durch ihre Venen und Adern. Sie sollte sich nicht zu sehr aufregen, das hatte der Arzt gesagt. Es täte dem Baby nicht gut.
„Mein voller ernst.“ Er stand am Fenster. Eine geschmeidige und attraktive Silhouette, die sich förmlich an ihre Umgebung anzupassen schien. Dunkel war das Leder, welches seinen Leib sinnlich küsste. Seine Haut war von einem seltenen, gesund gebräuntem Hautton. Das Haar blond, fast wie gesponnenes Gold. Seine Augen... seine Lippen... Versuchung und Verheißung zugleich. Und seine Worte verdrehte Wahrheiten. Lügen, alles nur Lügen, wie sie jetzt erst bemerkte. Oh, sie hatte ihm alles gegeben. Geld. Einfluss, Beziehungen. Ihre Unschuld und ihren Körper. Wann immer er sie wollte. Wann immer er den Drang verspürte sie zu besuchen. Sein athletischer, diebischer Leib, der sie in die Laken presste, war das Köstlichste, was sie jemals erfahren hatte. Er wusste um seinen Erfolg. Er wusste, dass er unwiderstehlich war. Dies war sein großer und größter Fehler.
Sie liebte ihn, vergötterte ihn. Sie wäre für ihn aus diesem schrecklichen Adelshaus entflohen, hätte ihm die Türen der Welt geöffnet. Athaid, die Elster! Der berühmt berüchtigte Dieb. Das Phantom der Kessex-Hügel. Und dieser Mann hatte ihr Herz geraubt, nur um darauf zu spucken, es zu Boden zu schleudern und zu zertreten.
„Das... das kannst du nicht...“
„Nun, schau her, Liebes.“ Sein Lächeln war süßer und zähflüssiger als Honig. „Wir hatten eine schöne Zeit und wir haben beide aus dieser Verbindung profitiert. Habe ich dich nicht glücklich gemacht, all die Monate? Ich erinnere mich noch an deine zuckernahen Schreie...“ Sein gekrümmter Zeigefinger schob sich unter das Kinn der hübschen Blonden und hob es zärtlich ein Stück weit mit dem Knöchel empor um ihre aristokratischen Züge besser sehen zu können. Sie wich mit einem Geräusch der Abscheu vor ihm zurück, begleitet vom bauschenden Geräusch des Musselins und des Tafts, der sie umgarnte. Der ihre weiblichen Kurven und ihre vollen, schön gearteten Brüste betonte. Er konnte sich kaum an ihr satt sehen. Ihr Leib wusste den Mann noch immer zu reizen. Sie sah es an seinen Augen und an der sichtbaren Reaktion seines Körpers. Doch lag da kein Verlangen nach IHR in seinem Blick. „Was hat diese kleine, dreckige Schlampe, was ich nicht habe?“, fuhr sie ihn stattdessen an.
„Ich verbitte mir diesen Ton, meine Schöne. Isabella kann nichts dafür, dass du eifersüchtig bist.“- „Eifer...-“
Ihr fehlten die Worte, also holte sie aus und schlug zu. Eine Ohrfeige traf das gottgleiche Antlitz des Mannes, der sich nicht einmal gegen den Schlag sträubte. Nein, er belächelte diesen sogar nur. „Ja, ich liebe diese Frau. Ihre kupferroten Haare, ihre wunderschönen grünen Augen. Ihren Körper. Ihr Herz. Ihre Art... Sie ist durch und durch gut und rein... nicht so wie du, verdorbene kleine Unruhestifterin. Sie ist keine verwöhnte Prinzessin.“
„Sie ist krank!“, fuhr sie ihn in ihrer Frustration an. „Wie viel Jahre werdet ihr noch haben? Zwei? Drei? Bitte... du kannst doch nicht... ?“ Sie reckte beschwörend die Arme. „Wirf es nicht weg...“
„Ich bin ein Dieb, mein Herzblatt. Ich bin ein Lügner und ein Phantom. Als wir uns trafen wusstest du, dass ich vogelgleich davon flattern werde, wenn der Winter naht. Und nun naht der Winter. Es zieht mich in den Süden.“
Aber eine Elster war kein gottverdammter Zugvogel!
Sie wusste nicht mehr weiter. Wut und Schmerz wurden zu einem festen Knäuel in ihrem Magen. Ihr Herz schlug in wildem Stakato und drohte die Brust einzuhämmern. Blut schwoll durch ihren Körper, dick und träge und voller Grauen und elendigem Hass. So kam ihr das kleine Besteckmesserchen auf dem Salontisch ganz recht. Zum Kuchenschneiden gedacht, sollte es nun als Waffe ihrer Enttäuschung dienen. Sie stürzte sich auf den Mann und stach zu. Wieder und wieder, doch er fing ihre Hand mühelos ab. „Ach meine Liebe... dumme, kleine Närrin.“ Er quetschte ihr das Handgelenk so stark, dass das Messer aus ihren zarten Fingern rutschte und zu Boden fiel.
Lachend drängte er sie gegen die nächste Kommode. „Keine Sorge, meine Schöne.-... ich werde immer an dich denken und an Momente wie diese.“ Er hob die Röcke des Weibsbildes an. Sie wollte nicht. „Immer wirst du an mich denken.“ Das Geräusch der Strümpfe die zerrissen wurden hallten noch lange in ihrem Kopf nach, das Geräusch seines rauen Atems an ihrem Ohr. Ihr Flehen. Ihr Weinen. Nur noch dumpfe Geräusche in weiter Ferne.
„Nicht!“


Zwei Tage später verließ der ansässige Arzt das Zimmer der jungen Edlen. Ihr Blick war stumpf und tränenvoll auf das weiße Fenster neben ihrem Bett gerichtet. Die Hände in die Decke gekrallt. Neben dem Bett verräumte eine Dienstmagd, das blutige Besteck, die blutigen Handtücher und jene metallne Schüssel, mit jenem blutigen Inhalt, den ihr Leib ausgewürgt hatte, wie Erbrochenes aus der Kehle zu quellen pflegte.
Sie sah nicht hin, spürte nur das dumpfe Pochen zwischen ihren Schenkeln und in ihrem Unterleib, welche umwickelt waren mit weiteren Tüchern, die den letzten Rest Blut willentlich aufsogen, der warm, fast heiß aus ihrem Schoß perlte.


„Wie geht es unserer Tochter mein Herr?“, konnte sie die besorgte, viel zu weiche Stimme des Vaters dumpf hinter ihrer weißen Tür vernehmen. Das leise Schluchzen ihrer Mutter. „Sie kommt durch, Milord. Das Kind hat sie verloren. Sie hat sich einfach zu sehr aufgeregt. So etwas kommt vor bei der ersten Schwangerschaft. Aber sie wird noch weitere bekommen können.“
Niemals.
So schoss es der jungen Blonden durch den Kopf, während sich die tränenverschleierte Miene in blindem Hass verzog.
„Ich denke auch, dass dieser natürliche Abbruch eurer Familie gewiss zugute kommt. Man munkelt der Vater war nicht repräsentabel?“
Murmeln hinter der Tür erfolgte. Worte welche sie nicht verstehen konnte noch wollte.
„Wie steht es um ihre Künste? Die Magie in ihrem Leib? Sie besitzt großes Potential was Mesmerismus anbelangt. Zuweilen glauben wir sogar sie könnte sogar nekrotische Fähigkeiten entwickeln!“
„Das ist Unsinn, etwas derartiges hat es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben. Duale Beherrschung ist nichtig. Aber der Magiestrom in ihrem Leib ist ungebrochen. Sie kann ihre Fähigkeiten noch in aller Macht nutzen.“
Und das werde ich...
Der Hass in ihren Augen war ein loderndes Feuer. Eine Sturmflut, ein Flächenbrand. Nichts ist übrig geblieben von dem hübschen, unschuldigen Püppchen, welches damals in Dummheit die Beine für einen Dieb breit machte und die ganze Zeit dabei jungfräulich zitterte. Die verkrallten Hände in der Decke verkrampften sich. Die Knöchel traten weiß hervor, der Stoff zwischen ihren Händen knirschte.
Dieser Mann würde seine Tat bereuen. Alles was er liebte würde sie ihm wegnehmen. Sie würde zu seinem Alptraum werden, so wie er der ihre wurde. Rache war schließlich süß und dunkel wie köstlicher, sündiger Wein. Mit der Kunst und der Kraft ihres Leibes, würde sie der Elster alle Federn ausreißen. Ein dunkler Fleck würde die Geschichte dieser Familie verfolgen.


Und so ward der Makel geboren.

"Wer die Klinge beim Griff ins Dunkel nicht erwartet, den schneidet sie umso tiefer!"


"If you think that this has a happy ending, you haven't been paying attention"