Ein Brief
(heute)
Alexandra schlug die Augen auf. Ihr Blick erhaschte das Fußende eines einfachen aber immerhin robusten Bettes, den Teil eines durchgetretenen, schäbigen Holzbodens und ein Stück Wand, von dem an manchen Stellen der Putz abblätterte und auf den Boden rieselte. Kein Luxus aber immerhin trocken und warm, sie hatte schon wesentlich schlimmer geschlafen. Ganz automatisch wanderte ihre Rechte über den Rand des Bettes hinaus während sie herzhaft gähnte und tastete suchend herum, bis die Finger auf flauschigen Pelz stießen. "Morgn Süßer" murmelte sie und kraulte den großen Wolfshund, der wie immer treu vor ihrem Bett gelegen hatte eine Weile zwischen den Ohren. Nachdenklich ließ sie ihren Blick während dessen noch einmal durch den Raum wandern, über die einfache Kommode, die neben ihrem Bett stand, über den zerschlissenen Teppich bis hin zu dem anderen Bett, dass im Augenblick jedoch leer war. Vince hatte nur gemeint, er müsse was erledigen und er sei vermutlich ein oder zwei Tage fort und sie hatte auch nicht näher nachgefragt. Ganz langsam hatte es nach den letzten Tagen bei ihr zu dämmern begonnen, dass es vielleicht doch nicht immer so von Vorteil war, den Leuten Löcher in den Bauch zu fragen oder allzu viel zu wissen...
Mit einem weiteren Gähnen richtete sich Alexandra auf, streckte die Beine aus und kräuselte ihre Zehen. Sie konnte einfach nicht umhin sich zum gefühlt tausendsten Male zu fragen, wie sie sich überhaupt in diese ganze Misere hatte manövrieren können. Gut, mit Vince schien sie ja diesmal zumindest ansatzweise Glück gehabt zu haben, aber der ganze Rest? Dieser verfluchte Husten war alles Schuld! Es ging einfach gar nicht, ihrer besten Freundin, die fast soetwas wie eine Schwester für sie war, auf der Tasche zu liegen - also hatte sie ihr kurzerhand die geliehenen Münzen für den Arzt und die Medizin zurück gegeben. Leider...Alexandra stand vom Bett auf, streckte die Arme nach oben und reckte sich, bevor sie ihre auf dem Boden verstreuten Kleider einsammelte und nach und nach hinein schlüpfte.
Leider...hatte sich das mit dem Arbeitsuchen viel schwieriger heraus gestellt als auf dem Land. Auf den Dörfern, den Höfen hatte immer jemand etwas zu tun gehabt und Hilfe gesucht aber hier? Sie hatte sich ja förmlich den Mund fusselig gefragt, aber bei rumgekommen war nicht wirklich was...sie hatte von Glück sagen können, dass sie eine Zeit lang bei Turian hatte unterkommen können - natürlich nur weil sie krank gewesen war - sonst hätte es echt übel augesehen...andererseits...hatte diese Geschichte das ganze ja erst richtig kompliziert werden lassen.
Alexandra seufzte, fuhr sich durch die kurzen Haare, schüttelte den Kopf und befand sich für "vorzeigbar". Sie war ja selbst richtig geplättet gewesen als sie erfahren hatte, dass Jessi auf einmal Seraphin geworden war! Jedenfalls war ihr mal wieder ihre vorschnelle Klappe in die Quere gekommen. Es wäre mit Sicherheit kein Problem gewesen, hätte sie sich das Geld von diesem Typen einfach geliehen, eine zeitlang bei diesem Armenhaus gearbeitet und ihm die Münzen dann einfach wieder zurück gezahlt. Dann hätte sie ihre beste Freundin nicht ausgenommen, nicht wie ein Schmarotzer dem gutmütigen Knochenmann auf der Tasche gelegen und alles wär gut gewesen. Dummerweise...
Alexandras Hand wanderte kurz zu der Stelle auf ihrem Ledermantel, unter der sie den Brief verbarg, der sie so aus der Bahn geworfen hatte, dummerweise war dieser verfluchte Brief angekommen. Die dunkelbraunen Augen füllten sich fast augenblicklich wieder mit Tränen doch dieses Mal gelang es ihr, sie tapfer nieder zu kämpfen. Der Tod ihres Großvaters hatte sie zutiefst getroffen, war er doch der einzigste aus ihrer Familie gewesen, mit dem sie etwas hatte anfangen können. Mit ihm war auch die eh schon schwache Verbindung nach Hause gestorben und die Entscheidung endgültig, dass sie wohl nie mehr würde zurück kehren können. Tja...und ausgerechnet dann musste sie diesem brummigen Kerl über den Weg laufen. "ch kann dir beides gebn, Anschluss un Arbeit" hatte er gesagt aber es war klar gewesen, was er dafür verlangte. Und natürlich hatte sie ihre Klappe nicht halten können...auch wenn sie manchmal den Eindruck erwecken konnte, ganz auf den Kopf gefallen war sie ja nun doch nicht, und ihr war klar gewesen, dass der Kerl mit dem sie sich eingelassen hatte, keinen Spaß verstand. Also war sie lieber mal gleich ehrlich gewesen und hatte ihr von dieser Seraphengeschichte erzählt...naja, dass sie bei einem wohnte und so....Donnerwetter...DAS wollte sie wirklich nicht nocheinmal erleben. Jedenfalls...
Alexandra schnalzte mit der Zunge, griff nach ihrem Bogen und machte sich dann mit ihrem Gefährten auf nach unten, um das Haus zu verlassen und vor den Toren der Stadt auf die Jagd zu gehen, wie sie es sich vorgenommen hatte. Jedenfalls...damit er ihr nicht gleich den Kopf abriss hatte sie die Namen, die sie von den Seraphen bisher aufgeschnappt hatte rausgerückt und sich auf diese bescheuerte Abmachung eingelassen. Maul haltn und tun, was gesagt wird. Scheiße. Hören konnte sie doch eigentlich noch nie. Aber gut...um die Sache nicht noch schlimmer zu machen, hatte sie sich dann halt nach einem neuen Unterschlupf umgesehen und war bei dem hilfsbereiten Seraphen ausgezogen. Aber das beste an der ganzen Geschichte...kurze Zeit später stolpert sie über ihre Freundin und diesen Knochenmann und was ist? Sind die hirnverbrannten Idioten aus dem Dienst ausgetreten! Hätten die sich das nicht früher überlegen können?
Alexandra knallte bei der Erinnerung mit einem wütenden Schnauben die Tür zu dem einfachen Haus hinter sich zu und wandte sich ruckartig mit stampfendem Schritt nach rechts. Scheiße...sie verkauft wegen der Geschichte ihren Arsch, damit ihr Hals nich dran glauben muss und dann...all die Aufregung umsonst.