Danach
Der Medicus zog scharf die Luft ein, als er die Decke zurück schlug und die Gestalt des jungen Mädchens betrachtete, dass in dem schmalen Bett vor ihm lag. Fachmännisch glitten seine Finger dann jedoch über ihren Körper und tasteten die geschwollenen und aufgerissenen Stellen behutsam ab. Dann und wann zuckte das Mädchen mit dem Mund und die Augenlider flackerten, aufwachen tat es jedoch nicht. Nachdem der Heiler mit seiner ersten Begutachtung fertig war stand er auf, ging zu der kleinen Kommode auf der er seine Utensilien abgelegt hatte und griff nach einem schmalen Horn. Zurück am Bett legte er das größere Ende auf die Brust des Mädchens und prüfte eine Weile ihren schwachen Herzschlag. Dann richtete er sich wieder auf und sah zu dem Mann und der Frau hinüber, die im Türrahmen standen und ihn abwartend, sie mit angstvollem Blick, ansahen.
"Sie hat verdammt großes Glück gehabt. Es hätte schlimmer sein können, aber es ist schon schlimm genug." begann er und legte sein Horn beiseite. "Einige der Knochen sind gebrochen - die werde ich schienen soweit es geht aber sie muss ruhig liegen - , die Prellungen und Abschürfungen sind bei weitem nicht das schlimmste." Die Augen der Frau weiteten sich prompt und die ersten Tränen begannen sich zu lösen. Der Medicus machte eine beschwichtigende Geste "Ich denke, sie wird durchkommen. Der Kopf ist unverletzt, morgen oder übermorgen sollte sie wieder aufwachen. Aber es wird eine ganze Weile dauern." Mit einem nachdenklichen Blick schob er noch einmal das Hemd des Mädchens nach oben und tastete ihren Bauchraum und die Leistengegend ab. "Was mir etwas Sorgen macht...." Nachdenklich runzelte er die Stirn und zog dann das Hemd wieder herunter, schlug die Decke zurück und stand dann auf. "Ich fürchte, sie hat innere Blutungen. Keine bedrohlichen, sonst sähe das anders aus, aber ernstlich genug..." um sich Sorgen zu machen fuhr es ihm durch den Kopf aber ein Blick in das Gesicht der Mutter sagte ihm, dass er das lieber ungesagt ließ, der Vater schien weitaus gefasster zu sein. "...ernstlich genug, um besonders darauf auchtzugeben."
Der Medicus ging erneut zu der kleinen Kommode und öffnete seine Tasche die dort stand. "Ich werde ihnen eine Salbe für die äußeren Wunden geben und einen Tee, die sie ihrer Tochter bitte drei Mal am Tag zubereiten." Er suchte alles erforderliche hinaus und legte es in ein Tuch eingeschlagen neben seine Tasche. Dann drehte er sich um und betrachtete das schmale Gesicht auf dem Kissen mit fast mitleidigem Blick. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich der Gesichtsausdruck des Vaters veränderte. Er kannte die Familie nicht sonderlich gut, aber auch er hatte Augen und Ohren und war dem Mann ein paar Mal in der Taverne des Dorfes begegnet. Dort hatte er sich meistens großspurig verhalten und dem Bier oder Wein immer sehr gerne zugesprochen. Von seiner Frau wusste er, dass man munkelte, dass er des öfteren die Hand gegen seine Familie erhob, öfter und härter, als es eigentlich üblich war. Aber so wie das Mädchen aussah konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass er dafür verantwortlich war. Soetwsa würde kein Vater seiner Tochter antun.
"Wenn ich fragen darf..." setzte der Medicus nach kurzem Zögern an "was ist passiert?" Die Mutter warf von der Seite einen Blick auf ihren Mann, dieser schnaubte nur kurz bevor er antwortete "Sie sollte etwas holen aus meinem Laden. Als sie zum Abendbrot nicht wieder zurück war, haben wir sie gesucht und so im Graben neben der Straße gefunden." Der Heiler nickte "Haben sie schon den Seraphen Bescheid gegeben?" "Das mache ich morgen." grunzte der Vater. Er hob über die ruppige Art etwas überrascht die Brauen, dachte sich aber nichts weiter dabei. Sicherlich hatten die Eltern beide große Sorgen um ihr Kind ausgestanden und das war eben seine Art, damit umzugehen. "Nun denn, ich werde alle zwei Tage nachsehen kommen, wie es ihrer Tochter geht. Sie können mir beim nächsten Mal den Lohn auszahlen. Das müssen wir nicht jetzt auch noch machen." fügte er mit Blick auf das Mädchen hinzu "Aber rufen sie mich sofort, sollte sie Fieber gekommen."
"Ich werde sie hinunter begleiten." bot sich die Mutter nach einem furchtvollen Nicken an und der Medicus nickte ihr dankbar zu. Vor der Türe machte er noch einmal Halt und wandte sich an den Vater. "Machen sie sich keine allzu großen Sorgen, ihre Tochter kommt wieder auf die Beine. Bei guter Pflege denke ich, wird auch kein bleibender Schaden zurück bleiben." Er erntete ein knappes Nicken und folgte dann der Frau hinunter und verließ das Haus, um zu seinem nächsten Patienten zu gehen.
Oben verschränkte Robert die Arme und trat an das Bett seiner Tochter. Die schlanke Gestalt wirkte in den Decken und Kissen noch winziger und für einen Moment zuckte sein Mundwinkel. Aber sie war es selber Schuld dachte er, sie war ungehorsam und dazu noch aufsässig gewesen, sie hatte eine Lektion verdient gehabt. Das ärgerliche war, dass sie ihn jetzt auch noch Geld kosten würde. Er hoffte, der Medicus war nicht zu teuer, aber seine Frau hatte darauf bestanden, sofort einen zu holen. Und hätte er es nicht getan, hätte sich das in Windeseile im Dorf herum gesprochen, etwas, dass sein Geschäft gar nicht gut hätte gebrauchen können. Wortlos wandte er sich ab und stolperte im Flur beinahe über Celia, die vor der Türe herum lungerte und mit angstvollen Augen zu ihm aufsah. "Geh runter zu deiner Mutter und hilf ihr beim Kochen." brummte er "Dann kommst du wieder her und sorgst dafür, dass deine Schwester zu Trinken bekommt. Und schlabber ja nicht die Decken voll!" wies er sie an um danach geräuschvoll die Treppe hinunter zu stampfen.
Celia sah ihrem Vater noch kurz hinterher, bevor sie in das Zimmer huschte und sich an das Bett ihrer Schwester drückte. Sie war sonst immer so fröhlich und nett zu ihr gewesen und hatte oft wenn sie etwas angestellt hatte, den Kopf dafür hingehalten. Und jetzt lag sie da so reglos in dem Bett und man konnte kaum sehen, dass sie atmete und ihre Brust sich bewegte. Die Kinderaugen füllten sich mit Tränen die sie vergeblich versuchte, fort zu wischen. Sie hatte solche Angst vor ihrem Vater....und er hatte ihr etwas aufgetragen, Celia wusste das es besser und gesünder für sie war, dem sofort nachzukommen. Ruckartig wandte sie sich ab und floh aus dem Zimmer. Die Türe quietschte leise, als sie sie eilig hinter sich zu zog und schlug nicht richtig ins Schloss an, so dass sie einen Spalt offen stehen blieb.