Lia und Elias

„Habt Ihr vielleicht 'n Kupfer oder 'n Stück Brot?“ kam die Frage aus seinem Mund gepoltert, wie üblich mit der kratzigen Stimme, die schon lange ebendiesen Ton an sich hatte. Aufgeschreckt aus seinem Trott, wandte sich der Händler um und das Rattern der Räder über das Kopfsteinpflaster wurde langsamer, deutlicher jeder einzelne Stein zu hören.
„Scher' dich weg, Junge! Hab nix für dich!“ die passende Geste des weg Winkens folgte direkt und der Mann machte sich weiter, seiner Wege zu folgen. Es war Enttäuschung, die sich in ihm breit machte. Und noch etwas mischte sich mit hinein, als er sich zurück zog und im Schatten eines Hauses den Kopf gegen den Stein lehnte. Alles war anders. Hätte es nicht ewig so bleiben können, wie noch vor einigen Wochen?! Vor einigen Wochen... Bevor diese Verrückte die Stadt in Schutt und Asche gelegt hatte.
Er hatte gelernt, nicht zu weinen. Hatte gelernt, jemand zu sein, der er nicht war. Doch hier, im Schatten des Hauses, während die Erinnerungen an eine vergangene Zeit über ihn hinein brachen, wäre er am liebsten wieder das kleine Mädchen mit dem langen, braunen Haar, das noch immer beim Vater in der Stadt lebte...


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...Löwenstein. Die wilde Stadt. Rau, mit Meer und See und Vertretern aller Völker. Ich weiß nicht mehr, warum Mutter mich mit Acht dorthin zu meinem Vater geschickt hat. Aber immer, wenn er von der See wieder kam – zurück zu mir, seiner Kleinen... Ich hab ihn so sehr geliebt. Tu' es noch immer!
Vater. Der größte und berühmteste Kapitän, mit einem Schiff so prachtvoll, das kann man sich heut gar nicht mehr vorstellen. Die Laeticia. Wenn meine Augen zu sind, dann seh ich sie immernoch vor mir. Mit den großen, Segeln und der wunderschönen Galleonsfigur. Die Laeticia sah immer so traurig aus... und ein bisschen wie ich. Mit langen Haaren, die bis über den Po reichten und großen Augen, in denen nur das ganz helle Blau gefehlt hat. Pa meinte immer, meine Augen sehen aus wie das Sylvari Leuchten. Keine Ahnung, welches Sylvari Leuchten er gemeint hat. War mir auch nie so wichtig.
Pa war oft auf der See. Musste handeln und solche Sachen. Er meinte immer, dass die See gefährlich sei und dass er Angst hätte, wenn ich dabei wäre. Deshalb ließ er mich in unserer kleinen Hütte zurück. Die war direkt am Hafen, dass ich sofort mitbekam, wenn sie wieder einliefen.
Immer, wenn ich allein war, hab ich an meine Schwester und meine Mutter gedacht. Hab nie verstanden, warum sie nicht mit mir gekommen sind. Warum sie zurück geblieben sind. Meistens hab ich an sie gedacht, wenn ich die Hütte geputzt hab. Das kann ich gut, glaub ich. Sachen sauber machen. Pa hat sich zumindest immer gefreut.
Und sobald ich fertig war, bin ich immer raus und hab mir einen Platz auf dem Steg gesucht, von wo ich alles beobachten konnte. Zu gern wär ich mit auf den Schiffen gereist. Weit weg, bei meinem Pa an der Seite. Aber ich durfte nicht. Und so hab ich mir andere Sachen gesucht, die ich machen konnte, bis Pa und die Laeticia wieder zu sehen waren. Mich mit den Schiffsjungen messen! Das war auch immer lustig... naja.. fast immer...


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...Fest kniff er die Augen zu und atmete tief durch. Wieder einmal war er an dem Punkt in den Erinnerungen angelangt, an welchem sich alles änderte. Wie alt war er nochmal gewesen? Er wusste es nicht mehr so genau. Elf oder zwölf... Aber war es denn wichtig? Nein, eigentlich nicht. Und so lies er seine Gedanken weiter zurück schweifen, blickte mit einem leichten Lächeln auf den Lippen zurück zu dem Tag, der ihm noch so gut im Kopf hing... Der Tag, an welchem sie starb.


Sie stand auf dem Steg und winkte der Laeticia nach. Die See drückte an diesem Tag ihren salzigen Duft von weit draußen tiefer in die Stadt hinein, mit einem herrlichen Windhauch, der ihr braunes, Hüftlanges Haar flattern lies. Gerade passierte das prächtige Schiff die Felsen, hinter denen es rascher verschwand als es ihr lieb war. Mit einem leisen Seufzen lies sie ihre Hand langsam sinken und schluckte schwer. Wieder war der geliebte Vater fort. Und wieder war die Rückkehr ungewiss, wie immer.
Doch das bellende Gelächter holte sie aus dem Kummer des Trennungsschmerzes heraus, als die Schiffsjungen hinter ihr über den Steg polterten und den Strand ansteuerten. Und natürlich folgte sie ihnen. Mit eiligen Schritten und immer genügend Abstand, rannte sie durch den Sand. Auf blanken Füßen, wie es für die Kapitänstochter üblich war. Wild flatterte Kleid und Haar, als sie weit hinter den Jungen über die Planken lief und immer weiter hinauf, bis Holz sich mit Sand abwechselte und der ein oder andere Stein dazwischen lag. Patschend führten ihre Schritte hinauf, bis zum höchsten Punkt der Felsen, dort wo einst jemand ein Gerüst aus Holz aufgebaut und den Sprungturm errichtet hatte. Sie war noch nicht ganz oben angelangt, als die spöttische Stimme des Größten der Jungen zu hören war.
„Eh, Püppch'n! 's willst'n hier ob'n?!“
Langsamer führten sie ihre Schritte weiter, bis sie den Jungen gegenüber stand und mit allem Mut, den sie aufbringen konnte, ihren Standpunkt, ihr Vorhaben berichtete. Doch statt Anerkennung und Zusprache erntete sie nur Hohn und Spott. Ein Mädchen, das vom Turm springen wollte?
„Verzieh' dich un' spiel mit dein'n Pupp'n, Pisskuh!“
Es waren nicht die Worte, die sie dazu brachten, weinend vor Kummer und Zorn zurück zu laufen. Es war die Feuchtigkeit der Spucke, die in ihrem Gesicht landete. Spucke, auf die ein vielstimmiges Lachen folgte.


Und als sie nur wenig später mit dem Messer in der Kochnische stand und die langen Haare in den Spüleimer fielen, war ihr Entschluss fest. Niemals mehr würde sie ein schwaches Mädchen sein. Niemals mehr würde Greg Rotbard seine Tochter Lia zu Gesicht bekommen, denn das kümmerliche Mädchen Lia war mit der Spucke im Gesicht jämmerlich verendet.
Und er schaute in den angelaufenen Spiegel und begrüßte sich. Elias.



„The Norn will not change simply because the Dwarves do not understand our ways.
I'd rather be hated for who I am than loved for who I am not.“

Jora