Von Ähren und Klingen I - Das Aufwachsen in Ebonfalke

Mit einem Seufzen ließ sie sich auf den massiven Stuhl hinter dem ebenso massiven Schreibtisch sinken, beides im alten, ascalonischen Stile aus dunkelbraunem Holz gefertigt. Dem blonden Mädchen, welches ihr mit einem Lächeln auf den Lippen eine Tasse mit Tee auf die Holzplatte stellte, nickte sie knapp zu, woraufhin sie sich zurückzog, und ließ sich dann in den Stuhl zurücksinken. Aus bernsteinfarbenen Augen betrachtete sie den Dampf, der aus der Tasse hinauf stieg und sich langsam in der Luft verflüchtigte. Es war seltener geworden, dass sie einmal eine ruhige Minute für sich hatte, aber umso wertvoller waren ihr diese Momente geworden, in denen sie auch die Rüstung ablegen konnte, welche sie sonst immer trug. Ein stets mit sich getragener Käfig, auch wenn sie die Rüstung über alles liebte. Nicht selten kam es ihr so vor, als wäre sie schon darin geboren worden.
Aber wo sie wirklich geboren war, war viel mehr als nur eine Rüstung. Es war eine Bastion aus Stein und Holz und vor allem eine Bastion aus Waffen, denn jeder tat sein Bestes, um die Stadt zu schützen, die als einziges noch von dem übrig geblieben war, was sich früher einmal voller Stolz Ascalon nannte. Inmitten dieses Chaos einer schon ewig währenden Belagerung war sie geboren. Während Dwayna ihr das Leben schenkte, nahm Grenth ihr im gleichen Atemzug die Mutter und so lernte sie diese nie kennen. Kindsbetttot war keine Seltenheit innerhalb der Mauern, selbst vor den höher gestellten machte er keinen Halt und zu diesen zählte sie von Geburt an.
Aus einem alten, ascalonischen Rittergeschlecht stammte ihre Familie. Einst, bevor diese Raubtiere den Nordwall mit ihrer Magie einrissen, besaß die Familie Ährentanz einige Höfe. Der Name war bezeichnend, denn hauptsächlich lebte die Familie vom Anbau und der Verarbeitung des Weizens. Auch wenn sie nie selbst diese Ländereien gesehen hatte, so wusste sie doch um deren Aufbau. Eine Dwaynastatue hatte in der Mitte gestanden, mehr als vier Meter hoch und ebenso ausschweifend in ihrem Durchmesser. Ein Pfad führte von dieser einen kleineren Hügel hinauf, auf dem das Anwesen der Familie stand. Nicht groß, immerhin war es nur niederer Adel, aber mehr, als die meisten einfachen Menschen jemals besitzen würden. Um die Dwaynastatue herum hatten sich die Häuser der Bauern angesammelt und um diese die ausgedehnten Felder des Ährengoldes. Reich waren sie damit nie geworden, aber es reichte für ein mehr als nur angenehmes Leben ohne Sorge. Der Adelstitel forderte dabei nur das älteste Kind jeder Generation in den militärischen Dienst. Eine Aufgabe, die ihres Wissens nach jeder gut absolvierte, bis der große Sturm kam.
So wuchs sie ohne Mutter auf, bei einem Kindermädchen, welches ihr ihr Vater besorgt hatte, während er auf den Mauern der Stadt und in den Straßen seinen Dienst für die Ebonvorhut tat, als hoher und noch immer adliger Offizier. Auch als sie älter wurde, sorgte er sich indirekt um sie. Einen Lehrer erhielt sie, der ihr das Lesen, Schreiben und weitere Gepflogenheiten des Adels beibrachte, dem sie zwar folgte, aber nicht sonderlich interessiert. Oftmals hing sie anderen Gedanken nach, während der alte Mann vor ihr sprach. Diesen konnte sie anblicken, interessiert aussehen und doch nicht lauschen. Eine Fähigkeit, die ihr erhalten geblieben war.
Ihre Aufmerksamkeit galt von jeher schon eher dem, was auf dem Hofe vor dem kleinen Haus passierte, auf welchem die Kinder der Stadt sich trafen, um zu spielen. Jungen, wohlgemerkt. Mädchen sah man bei ihnen nur sehr selten und wenn, dann vertrieben sie sie schnell mit ihren Holzschwertern oder das, was Holzschhwerter sein sollten. Lange Stöcker, mit einem kürzeren Holz eine Hand breit vom unteren Ende des Stockes als Parierstange. Sieben Jahre war sie alt, als sie zum ersten mal hin zu den Jungen ging, nachdem sie den Unterricht hinter sich gebracht hatte. Natürlich lachten diese sie aus, nannten sie ein Mädchen und versuchten sie mit ihren Holzschwertern zu vertreiben. Doch sie blieb standhaft. Ein paar Schläge musste sie einstecken, doch dann hatte sie einem der Jungen sein Holzschwert abgenommen, um zurückzuschlagen. Drei Hiebe brauchte sie, eh der Junge weinend davonrannte. Ihre Beute behielt sie, bis heute, denn das Holzschwert hing an der Wand hinter ihr, wie ein Zierschwert. Die Mundwinkel hoben sich bei dem Gedanken zu einem versonnenen Lächeln. Ihre Tasse griff sie, lehnte sich dann weit auf dem Stuhl zurück und nahm einen Schluck vom schwarzen Tee. Elise, ihre einzige persönliche Dienerin, hatte ihn wieder auf den Punkt gebracht. Einmal mehr war sie froh darum, dass sie sich durchgerungen hatte, eine eigene Bedienstete für sich zu nehmen, was sie eigentlich stets vermied. Es half ihr aber.