Wahrheit und Lüge

Dunkel war es... und kalt.
Die Wahrheit saß auf ihrem Stuhl und lächelte. Ein bitteres Lächeln, ein Lächeln voller Schmerz und
einem kleinen Fünkchen,
ein Fünkchen von Wahrheit.
"Du weißt, dass sie mich viel lieber mögen. Du weißt, dass es die Wahrheit ist das sie lügen lieber haben", sprach
die Lüge und ihr Lachen hallte durch die Dunkelheit des Raumes.
"Ja, das ist wahr", sprach die Wahrheit und erschrack kurz vor dem Zittern in ihren Stimme. Sie wusste es.
Sie wusste es selbst schon lange. Schon beim letzten Mal wusste sie es... das die Lüge wieder mal nicht die
Wahrheit sagte.
"Du weißt, dass sie mich immer lieber haben werden. Du weißt, dass sie immer mich wählen werden, weil es mit
mir einfach schöner ist. Mit mir lässt es sich besser leben. Mit mir werden sie all die schönen Dinge haben,
die sie mit dir nicht haben können. Denn du bist immer so hart. So grundlos hart und so direkt!
Niemand mag Direktheit", sprach die Lüge weiter.
"Ja, das ist wahr", entgegnete die Wahrheit wieder und nickte. Sie wusste auch das. Warum etwas wählen,
was einem manchmal vor den Kopf schlägt? Warum etwas wählen, was nie um den heißen Brei redet?
Und Lügen... ach die Lügen sind so wundervoll.
Sie schmeicheln uns, sie können uns sogar trösten. Sie schaffen für uns eine Welt die einfach besser ist.
Die besser sein muss.. denn die Wahrheit tut weh.
Leise kam ein Seufzen über die Lippen der Wahrheit.
"Jetzt schau doch nicht so. Was ist denn so schlimm daran, wenn man mal ein bisschen lügt?
Was ist denn so schlimm daran, wenn man versucht jemand zu sein, der man gar nicht ist? Was ist bitte so
tragisch daran, wenn man mit seinen Lügen den anderen alles schöner macht? Ich versteh dich nicht Wahrheit..
denn jetzt sitzt du hier und möchtest doch das ich dich anlüge. Das ich dir sage, dass alles gelogen war und
deine Illusion doch noch besteht. Sehnst du dich nicht gerade nach einer kleinen Lüge? Worte die das
Pochen in dir stillen? Die Enttäuschung etwas lindern? Die dir Trost spendet? Komm. Sag es schon. Los.
Sag es. Bitte lüg mich an"
Die Stimme der Lüge war nah an Wahrheits Ohr. Wie so oft vernahm sie den Klang. Der Klang der ihr selbst
so viel gegeben hatte. Der Klang der sie glücklich gemacht hatte. Und doch wusste sie es die ganze Zeit..
das es nur eine Lüge war. Und so war es am Ende nicht halb so schön gewesen.
"Ich gehe jetzt", murmelt die Wahrheit und wandt der Lüge ihren Blick zu. Helle, reine und vollkommene Augen
blickten den dunklen, verschwommen und zerbrochenen Augen entgegen. "Es war schön mit dir, für einen
kurzen Moment. Ich habe die Zeit genossen und werde sie nicht vergessen. Sie werden ein Teil von mir sein..
wie auch das hier" Die Lüge blinzelte verwirrt.
"Du kannst nicht gehen." "Doch kann ich. Und du weißt das es die Wahrheit ist."
Ja, die Lüge wusste es..denn die Wahrheit lügt nicht. Und so stand die Wahrheit auf. Leise quietschten
die Holzbeine des Stuhls und dumpfe Schritte hallten durch den Raum bis sie verklungen und die Wahrheit
am Lichtschalter stehen blieb.
"Bitte nicht. Du weißt das es dann kein Zurück mehr gibt. Es wird nie wieder so sein wie es mal war.
Aber noch kann ich es ändern.Komm zurück. Lausche meinen Worten. Lausche einer neuen Lüge und
deine Welt wird wieder schön sein. Sie wird wieder in Ordnung sein.. sie wird.. sie wird.." , stammelte die Lüge..
"... voller Lügen sein", schloss die Wahrheit ab und legte den Lichtschalter um.
"Auf ein Neues", flüsterte die Wahrheit, lächelte bitter und drehte sich um.... sie war alleine im Raum.