Die stürmische Affäre der Lady Brooksworth (Samantha Allington)

Ein Seufzen glitt aus der Kehle des Fräuleins, während ein schlanker, hell behandschuhter Finger über die Buchrücken der Einbände glitt, die sich penibel und fein säuberlich in der Bibliothek des Hauses Allington an einander reihten. Titel um Titel flog an ihrem inneren und geistigen Auge vorbei, doch nichts erregte die Aufmerksamkeit des Mädchens, die schlichtweg penibel und artig nach dem Wälzer fischte, welchen der Hauslehrer ihr zu lesen aufgetragen hatte. Ein bisschen hiervon und ein bisschen davon. Mathematik und Geschichte. Das alles war wichtig und der Stundenplan voll davon.
Letztlich aber war das Schicksal ein wahnwitziger, kleiner Kobold, der nur allzu gern seinen Schabernack mit den Menschen trieb. Und so fand Samantha nicht was sie suchte, aber etwas anderes. Etwas weithin 'größeres' als das. Mehr als Formeln und Zahlen.
Es war wohl das Wort 'Lady', welches als erstes ihren Fokus einspannte. Die hellen, in warmen braun geweiteten Iriden traktierten dieses eine Wort, dann jene die darum sortiert und gespannt waren. 'Die stürmische Affäre der Lady Brooksworth'
Samantha sah sich um. Paranoid schaute sie an den Regalen vorbei, ob sie auch niemand beobachtete, ehe sie den dünnen Einband zwischen den dickeren Wälzern hervor zog. Es sah billig gemacht aus, dieses Buch. Der Einband war nicht aus Leder, sondern fühlte sich wie eine Pappschachtel ihrer Hutkartons an. Ein schäbiges Stück Lektüre. Fraglich wie es denn in diese Räumlichkeiten gefunden hatte. Ein Rätsel, welches Samantha zu locken wusste. Und vielleicht nahm sie es deswegen mit sich. Sonstweilen hätte sie es bestimmt ignoriert, oder abgetan. Doch ein kleines Rätsel reizte selbst ein so verstaubtes, naives Hirn wie das Ihre.
So watschelte man mit dem kleinen Schatz, den sie errungen hatte, in das schwesterliche Gemach. Tanya war jedoch nirgends zu sehen und kein Anzeichen davon, dass sie so schnell zurückkommen würde, also setzte sich das Persönchen seitlich auf die weiche Matratze ihres Bettes und schlug das Buch zögerlich auf. Zunächst nur wild darin blätternd. Hrmpf, es waren ja nicht einmal Bilder darin!
Dann aber stieß das Unschuldslamm auf eine Szene, die mehr als ihre Aufmerksamkeit weckte. Das Köpfchen schrägte sich, während sie zu lesen begann:


'.... konnte sie den Atem nicht länger zügeln. In einem heftigen Stoß, wich er in einem dumpfen Seufzen über die Lippen der Lady, während ihr Blick wie gefesselt auf dem Mann am Kamin ruhte. Jack, der Stallknecht, so erinnerte sie sich, maß sie eines bedeutungsschwangeren Blickes, die lange Sehne seines Unterarms gen Abaresken des Kaminkopfes gestemmt. Seine Lippen umspielte ein wissendes und zugleich süffisantes Lächeln. Seine hellen Augen waren die eines Raubstieres, die sich schamlos auf ihren Körper und ihre Seele legten und ihr den Atem stahlen, sie förmlich in Stücke rissen!...'


„Das klingt ja schmerzhaft...“, murmelte die Rothaarige nur stupide und kräuselte die kleine Nase, wie sie es immer tat, wenn sie sich höchst konzentrierte. Fraglich was in dieser Szene vor sich ging, aber scheinbar hatte sich die junge Dame ein Buch mit Grusellektüre geangelt. Nun denn, sie überflog den nächsten Abschnitt, ehe sie weiter las:


'… Seine großen, starken Hände waren braun gebrannt und mit Schwielen übersehen, als er diese rau und grob zu ihrem Kragen führte um dort die kleinen, stoffbezogenen Knöpfe zu lösen. Einer nach dem Anderen sprang aus der jeweiligen Öffnung, während sein Atem die breite Brust hob, die nur halb von dem offenstehenden Seidenhemd bedeckt wurde.'


„Warum bei Lyss sollte denn ein Stallbursche Seide tragen? Und warum öffnet er ihren Kragen? Hat sie keine Zofe?“ Sie schlug das Buch zu, die Finger zwischen den Seiten um über den Titel nach der Autorin zu spähen. „So eine Stümperin... wo kommt sie denn her? Ich sollte ihr einen Brief schreiben, jawohl das sollte ich!“ Womit sie aber wieder das Buch öffnete um weitere Zeilen zu überfliegen, ehe sie dieses entdeckte:


'… der Brokat glitt raschelnd zu Boden, so dass die Dame nur noch in ihren Strümpfen vor Jack stand. Ihre Augen weiteten sich entsetzt und vorfreudig zu gleich, sowie sich die Wangen mit röte füllten. Sie hob eines der schlanken, bestrumpften Beine und trat aus dem Faltenwust des Kleides hervor. Nackt, wie die Sechs sie schufen, streckte sie die milchweißen Arme nach dem Mann aus, der sie in eine leidenschaftliche Umarmung zog und sie seinen ganzen Körper spüren ließ. Lady Brooksworth stöhnte auf...'


„Nackt!“ Samantha spie dieses Wort förmlich aus und starrte neuerlich auf die Stelle. Doch, tatsächlich. Nackt. Im Wohnzimmer! Unmöglich! „Aber das Personal... die Wachen, die Familie, ihr Mann... nackt im Wohnzimmer? So ein Humbug!“ Wieder klatschte man den Schund herrisch zu und sie taxiert bösartig die Lettern des Autorennamens. „Im Wohnzimmer... nackt... und der Stallbursche sieht sie sogar! Eine Dame ist höchstens im Badezuber nackt... sonst niemals! Aus welcher Welt stammt diese Person denn...?“
Und doch öffnete sie das Buch erneut und eine steile Falte bildete sich zwischen den dunkelroten Brauen. Was nun folgte stürzte das Fräulein in tiefste Verwirrung. Eine blumige, höchst irritierende Beschreibung von irgendwas, fand sich zwischen den Zeilen. Sie wusste alsbald nicht mehr wo Hände und Arme und Beine und Füße letztlich zu finden waren. Zudem folgten höchst seltsame Begriffe aus der Pflanzen und Tierwelt. Ob nun Knospen oder Maulwurfsschnäuzchen, Samantha verstand nur noch eines: gar nichts. Und sie war sich mehr als sicher, dass dieses Treiben im Wohnzimmer nichts verloren hatte. Trotz allem studierte man weiterhin tapfer die schauerlichen Zeilen: irgendetwas weinte am Schluss bei dem Mann, während die Frau aus ganz anderem Grund heulte und schrie.
Die junge Allington war sich nicht einmal sicher ob sie da einen Mord mitgelesen hatte, oder ob die Beiden da etwas ganz anderes, unsittlicheres getan haben. Was im Grunde unmöglich war, denn laut Buch hatte die Dame schon einen Gatten und das war ganz sicher nicht der Stallbursche Jack!
„Seltsam...“ Kopfschüttelnd fasste das junge Weib seitlich gen Nachttischchen und zog die Schublade einen Spalt weit auf, ehe sie den Einband darin verschwinden ließ. Nachdem sie den Nachttisch wieder geschlossen hatte, drehte sie den kleinen Schlüssel im dazugehörigen Schloss und bettete diesen auf die spiegelnde, polierte Fläche aus Ebenholz.
Hiernach zog Samantha Allington sich selbst aus und verhüllte den Körper hiernach mit dem altbekannten altbackenem Rüschennachthemd und der Unterwäsche, die bis zu den Knien reichte und mit kleinen Schleifchen an den Knien versehen war, ehe sie zwischen die warmen Decken ihres Bettes glitt und die Öllampe löschte. „Humbug...“, tönte es nur erneut, ehe das Fräulein wohl vorzog zu schlafen und von Wohnzimmern zu träumen. „Humbug!“
Sie würde wohl jemanden ob des Buches fragen müssen- ein guter Plan, der vor dem Träumen gefasst wurde und eingehalten werden sollte. Ein guter Plan. Im Wohnzimmer, also wirklich!

"Wer die Klinge beim Griff ins Dunkel nicht erwartet, den schneidet sie umso tiefer!"


"If you think that this has a happy ending, you haven't been paying attention"

Kommentare 5

  • Seh ja jetzt erst das du hier tatsächlich einen kleinen Auszug drin hast *g*
    Bin gespannt ob Luc das auch als "Humbug" empfindet.
    Er gibt ihr sicher Bescheid :D

  • Sehr schönes Ding, Fräulein Regenteufel. Sehr sehr schön. Genau so erwartet es man von der hohen Gesellschaft ;)

  • Super geschrieben!!! :D

  • Aaaaah, wie geil! <3

  • Eine Schande das man sie beim Buchlesen nicht erwischt hat!


    Sehr schön und auch flüssig geschrieben, man kann sich direkt ein Bild dazu vorstellen!