"Sie liegen in Löwenstein vor Anker?"
"Tun sie."
Der Wortwechsel weilt nur kurz zwischen den zwei Gestalten, die es sich ausgesucht hatten, den restlichen Nachmittag in einer verwinkelten Gasse in Götterfels zu verbringen. Die Sicht ist für Spaziergänger wie auch den Beiden deutlich eingeschränkt. Der klebende Staub an den Wänden, die zerknüllten Papierstücke, bunte Schnipsel und teilweise noch ganze Flaschen vegetieren an diesem Fleck vor sich hin. Vegetieren, ein sehr passendes Wort für die aktuelle Unterhaltung. Sie ernüchtert. Zumindest bei einem der Beiden.
Cirds Augenmerk ruht nicht vollends auf dem Mann vor sich. Im Grunde behält er den Blick lieber auf sein eigenes Tun. Gerade wo es zum Abschluss kommt. Der entschiedene Moment eintreten könnte und auch prompt stattfindet, als die Finger sich daran machten, das Röllchen zu vollenden und das getrocknete Gemisch aus Kräutern von der Seite und der Spitze abzuklopfen. Der Halt des Papiers liegt im dabei am Herzen. Die Stirn zeugt von deutlicher Anstrengung. Nochmals eine Zigarette zu drehen wäre bei den herrschenden Lichtverhältnissen ein Wagnis, das nur unnötig Tabak kosten würde. Umso gründlicher sollte die Erste daher vollendet werden. Als das markant helle Iridenpaar schlussendlich die gedrehte Zigarette ausreichend in Augenschein genommen hatte, wurde ein stummes aber deutlich zufriedenes Nicken in die Welt gerufen. Erst jetzt, in diesem Moment, wechselt Cirds Aufmerksamkeit und sein Gegenüber wird fixiert. Der Mann wäre lediglich als flüchtige Bekanntschaft einzustufen. Ein Zeitvertreib. Ein ausgesprochen Netter.
Bei dem Gedanken zwingt ihn sein Unterbewusstsein den linken Mundwinkel leicht aufzucken zu lassen. Nach drei weiteren Sekunden dreht sich das Handgelenk, die Finger bringen die Zigarette in Position, der Arm wird länger und schlussendlich erhält der Wartende sein Geschenk. Cird schnalzt mit der Zunge auf davor spricht er: "Es ist'n Stück stärker als sonst. Nich' das es dich aus deinen jämmerlichn' Stiefln' wirft."
Besagte jämmerliche Stiefel werden im nächsten Moment angesehen. Der Anblick lässt Cird minimal schadenfroh innehalten. Da hat er diesen Mann bereits oft für seine Dienste ausgezahlt und was treibt dieser mit seinem schwer verdientem Geld? Jedenfalls nicht in neues Schuhwerk investieren. Nun wirklich, an manchen Tagen könnte man meinen die Zehen hindurchschimmern zu sehen.
"Wird es nicht." spricht sein Gegenüber und holt den Elonier aus seiner Gedankenwelt hervor. Ein deutlicher Zweifel steht im hellen Augenpaar jedoch lässt er ihm seine Freiheit und nimmt die Worte hin. Er legt ihm nicht die eigenen Gedanken auf die Zunge und zieht es in der Tat vor, mit bedacht schweigsamer Haltung zu zusehen, wie eine Streichholzschachtel ins Spiel kommt und es, wie erwartend leise aufzischt. Ein gar mickriges Flämmchen erhellt die schmale, abgedunkelte Gasse und man wird ein stummer Augenzeuge davon, wie die Spitze der Zigarette in Flammen aufgeht. Das beinah lautlose Knistern, als das Papier verbrannt wird, bringt Cird dazu die Schultern anzuheben. Ein tiefer, hastiger Zug, ein plötzlich auftauchendes Hüsteln und ein lascher Versuch in einem Fluchen unterzugehen, erzielen nur wenig Regung auf der beherrschten Mimik des breitgebauten Mannes. Vielleicht ist ihm das Rauchverhalten des Gesprächspartners nicht unbekannt. Verwunderlich, dass dieser es noch immer nicht verstand, mit so etwas Alltäglichen wie einer gedrehten Kippe umzugehen.
"Verdammter Mist!"
"Du solltest das Zeug nicht jedes Mal so hastig einatmen, Ramirez."
Die Belehrung trifft direkt ins Schwarze denn keinen Moment später wird Cird von besagtem Ramirez aus deutlich verengten Augen heraus angesehen. Angriffslustig schimmert das zimtbraune Augenpaar dem Größeren entgegen. Sie wollen ihm die Stirn bieten. So wie er es früher schaffte. Als Beide noch Kinder waren. Aber doch wirkt die Motivation bei jedem Herzschlag so weit entfernt, dass die Verteidigung gänzlich fallen gelassen wird und nur noch ein frustrierter Laut zwischen ihnen vorherrscht. Angewidert wird nach Luft gefischt und die Zigarette seitlich gehalten, um nicht wieder ins Kreuzfeuer des Dunsts zu gelangen. Es breitet sich Stille aus in der Ramirez den Kopf nach vorn sinken lässt. Dabei fallen ihm die rotbraunen Locken über die Stirn. Sie könnten kürzer sein, wachsen ihm aber bereits weit über die Schultern und bringen ihm fast täglich Hohn und Spott ein. Dabei ist es in seinem Land üblich, quasi ein Zeichen des Rufes, dass auch Menschen männlicher Abstammung ihr Haar nicht komplett kurz scherren als wären sie Ziegen oder ein Schaf mit durchwachsener Wolle, dass man von ihrem aushaltenden Elend befreien muss. Aber in diesem verdreckten Loch, in dem er ab und an haltmachen musste, sieht man es erschreckenderweise genau anders. Das komplette Gegenteil. Eine verdrehte und sonderbar komplizierte Welt. Man siehe sich lediglich um, in was für Lumpen er des Öfteren schlüpfen darf. Nur um eben nicht befürchten zu müssen, von dem erstbesten Amateurdieb ausgeraubt zu werden. Die gute elonische Seide. Niemals könnte er es sich verzeihen, wenn so ein Banause sie in die Finger bekommt. Ein weiterer Zug. Ein Röcheln.
"Und du solltest deinen Arsch nach Löwenstein schleppen. Du hast dieses Mal nicht auf ihren Brief reagiert! Kannst du dir auch nur im Entferntesten vorstellen, wie sie durchdreht? Dass sie keine Antwort bekommt? Nicht heute, nicht morgen? Nein, natürlich nicht. Du musst auch nicht dafür herhalten, wenn deine Schwester ihren Launen erliegt, und versucht ihr Schiff auseinanderzunehmen. Jede meterhohe Welle ist ein Lüftchen gegen ihre aufbrausende Art. Von wem hat sie das eigentlich? Deine Mutter war jedenfalls nicht _so_. Die Flotte bleibt die nächsten zwei Tage noch im Hafen und es wird von dir erwartet, dass du dein Gesicht zeigst. Mindest einen Tag. Und zieh dir was Ordentliches an! Außerdem wollte dein Cousin ohnehin noch mit dir sprechen, Cionar. Richtig, auch er reist mit deiner Schwester und betreibt deine eigentliche Aufgabe. Die Handelsrouten aufrecht zu halten. Bei Dwayna, so wichtig kann diese Stadt nicht sein, egal was genau dich hier nun wieder hält und welche Ausrede du mir jetzt wieder an den Kopf knallst. Nein, mein Guter. Dieses Mal erklärst du selbst, was dich alles aufhält und weswegen du dich nicht beteiligst und dich von allem distanzierst. Mir stehts bis hier!"
Damit beendet Ramirez seine Ausführung. Zum Schluss deutet er weit über den eigenen Kopf, um vor allen den letzten Satz zu unterstreichen. Ein aufbrausender Wirbelwind. Auch dieser Mann besitzt einen Funken seines Blutes. Deutlich schimmert es in solchen Momenten hindurch, und während Cird das Gehörte kommentarlos schluckt, bildet sich ein unterwürfiges Lächeln auf dem dunkelgehaltenen Lippenpaar. Es ist alles, was er ihm zurückreicht. Vorerst.
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