Ab 18
Ein unbarmherziger Griff umfasste ihn, seit er dieses Ambiente betrat und sich in die oberen Gemächer führen ließ. Wie so oft identifiziert sich seine Führerin des Hauses als rassige Elonierin. Ob es hier nur Menschen aus dem Süden gab? Nicht dass es ihn stören würde. Ihr Körper trug kaum einen nennenswerten Fetzen am Leib. Der Hauch von Seide umschmiegte diesen gekonnt und wirkte wie eine türkis gefärbte zweite Haut. Die weiblichen Rundungen, der fließend und dazu noch anmutende Gang, die laszive Haltung, der kecke Blick über die Schulter zu dem Besucher der Oase und ihre natürlich antrainierte Freude, sobald ein Freier das Hurenhaus betrat, sprach für ihre Kompetenz.
Schritt um Schritt.
Jeder fühlte sich an wie ein schwerer Klotz an den Fersen. Die Augenlider fielen unkontrollierbar und Cird hält sich immer mal wieder im engen Flur an der schlicht bemalten Wand fest, um nicht komplett das Gleichgewicht zu verlieren. Kitschige Schnörkelei fehlte komplett in dem Gebäude. Man wird hier keinen Hafenschmutz oder gar schnarchende Penner vorfinden. Die Oase ist kein Hafenbordell, wo jeder Kriecher Einlass erlangte, hier scheint eine gewisse Klasse vorgeschrieben zu sein. Oder eben ein praller Geldbeutel, der die Hässlichkeit des Trägers ausbadete und dadurch die Flügeltüren, im Eingangsbereich aufspringen, ließ. Eine Übelkeit erfasste ihn. Die Götter bewahrten ihn davor, den roten Teppich unter sich zu küssen.
Daher versuchte der Elonier, die letzten Meter, wie ein Mann durchzustehen. Die Schultern befinden sich in einer souveränen Linie, der Gang zeigte von einer unergründbaren Körperbeherrschung und niemand würde auf den ersten Blick erahnen, das Cird jeder Muskel im Körper brennend schmerzte. Er spielte sich selbst herausstechend gut. So wie immer. Die Führung endete an einer Zimmertür. Eine Zahl schmückte die Mitte. Einfaches Metall, nichts prunkvolles. 221. Einige Herzschläge lang wird die Zahl angesehen, betrachtet als hätte er sie in seinem Leben noch nie zuvor gesehen. Das es eine Lüge ist, wird durch die schmackhafte Elonierin an seiner Seite offenbart.
"Euer Freund befindet sich dahinter. Wie immer. Mit Begleitung."
Eine Antwort erhält sie von ihm nicht und sie erwartet auch keine. Ihre schlanken Finger legten sich auf die Türklinke und eine Sekunde später drückten sie diese hinab. Der erste Spalt gab einen Blick ins Innere preis. Ein Duft strömte Cird entgegen, der ihn dazu zwang, tief einzuatmen und den Geruch in sich aufzunehmen. Sandelholz. Sandelholz besitzt einen warmen, samtigen, zugleich aber auch süßlichen und milchigen Duft. Dieses Raucherwerk war ihm bekannt. Es wird oft in Form eines Raucherstäbchen im Zimmer aufgestellt um die alte Heimat, Elona, bis nach Löwenstein zu holen. Selbst wenn es nur eine lächerliche Kopie ist. Der einstige Spalt entwickelte sich zu einem breiten Zugang in eine andere Welt. Cird zögerte keine Sekunde. Die Gedankenwelt ist frei und zugänglich für kommende Eindrücke. Die ersten Schritte nach vorn ins Ungewisse überkommen ihn, dabei drückte er sich den rechten Unterarm gegen die Bauchdecke, auch wenn er es nicht zugab, die letzten Wochen nahmen ihn mehr mit, als man ihm ansehen wollte.
Geistig wie körperlich. In der Zwischenzeit nutzte die leicht betuchte Elonierin den entstanden Freiraum um die Tür tonlos zurück in die Verankerung zu ziehen. Sie ging nicht mit hinein, dass war nie ihre Aufgabe gewesen und auch sprach der Herr es zu keiner Zeit an, auch wenn sie sich ziemlich sicher war, das sein Blick kaum von ihrer Kehrseite gewichen ist, während sie ihn hier hoch geführt hatte. Cird blieb somit alleine zurück. Sich selbst überlassen. Ohne Begleitung. Nutzlos und untätig verweilte er die ersten kommenden Atemzüge, bis sich der Blick auf eine Szene im Raum einpendelte und nach seiner Aufmerksamkeit verlangte.
Lustvolle Geräusche gelangen von einem Eck zum Anderen, bilden Silhouetten in der Luft, nur um danach bis zu Cird's Gehör vorzudringen. Er musste nicht hinsehen um zu verstehen, was hier gerade passierte. Die Erkenntnis würde ihn auch treffen, sollte er wie aus dem Nichts plötzlich stockblind sein. Der Moment des Nichtstuns endete als der Mann sich im Zimmer zu bewegen begann. Zielsicher wird auf das breit geschnittene Bett mit den liebenden Leibern zugetreten. Es befindet sich ein recht einfaches Holzgestell daran. Dieses wurde mit rotem Tüll verkleidet und dank dem Material ist jeglicher Blick auf die Liegefläche gegeben. Über dem Bett erstreckt sich ein großzügig geschnittener Spiegel. Ein männliches Grölen. Derjenige, der diesen Laut von sich gab, mochte diesen drecks Spiegel. Cird hatte letztens mit ihm gewettet. Er hatte gewettet, dass der Pirat kein Weib benötigte, um sich bis ins Nirgendwo zu treiben. Ein Spiegel reichte da vollkommen aus. Der Kerl stritt es ab. Selbstbewusster Hund.
Die Schritte werden schwerer und verlangsamen sich dadurch. Nun stand er direkt daneben, sah alles aus bester Position und machte keinen Heil daraus, sich nicht zu verstecken. Der hellblaue Blick durchdrang den roten Tüll und legte sich auf die langen, rehbraunen Haare, die die Hure, ihre Eigenen nennen durfte. Eine Spange, in Rosenform, wurde an ihrem Hinterkopf angebracht damit sie nicht zu sehr bei ihrem Liebesspiel beeinträchtigt wird. Es kitzelte. Der Tüll streifte die Nasenspitze als Cird sich dabei erwischte, einen weiteren Schritt in die Richtung des Bettes gesetzt zu haben. Die Schultern hoben sich und der unscheinbare Schritt erfolgte erneut. Dieses Mal in die andere Richtung. Nach hinten. Genau in diesem Moment spürte er ein Stechen. Ein stechender Blick hatte sich auf ihn gerichtet und die nicht vorhandene Tarnung, wäre spätestens jetzt, gänzlich von ihm abgefallen. Ungeniert wird der Fokus des eigenen Augenpaares dem des Piraten entgegen gehalten. Durch den roten Tüll erhält die Welt davor und dahinter einen seltsamen Beigeschmack.
Ein Schleier. Ein Schutz. Für Cird ein Schutz sich nicht in das Treiben hinein ziehen zu lassen, auch wenn es ihm jetzt in diesen Augenblick danach lüstete. Er riss sich zusammen. So wie er es immer tat. Er hasste sich dafür. Sich und seine Selbstbeherrschung. Haut klatschte auf Haut und wieder drang das Grölen an sein Gehör. Die Frau, die auf der Mitte des Piraten hockte, verkrallte ihre langen Fingernägel, neben dem Schädel des Piraten ins Laken und lässt sich von jedem Stoß mitreißen. Die Leidenschaft der Beiden füllte den Raum bis hin zur Zimmerdecke aus, wie Wasser, das hineinfließt und das solange, bis die Wände, durch eine Explosion verursacht, gesprengt werden. Und in genau dieser Szene stand er. So unpassend wie ein bunter Moa an einem Abend voller Gekicher und geschäftstüchtiger Adeliger in der Rurikhalle.
Urplötzlich trat ein beklemmendes Gefühl in ihm auf. Es geschah dann als er einem dunkel braunen Augenpaar entgegen sah. Die eigenen Augen waren durch die unerwartete Begegnung minimal geweitet, der Blick dazu passend starr als hätte man ihn bei etwas Verbotenen erwischt. Es pochte im Hals. Der Herzschlag fühlte sich intensiv so intensiv an, ihm wurde davon schwindelig. Die bewegungslose Starre seines Körpers brach ab als die Frau ihren Kopf in den Nacken warf und ein ungezügelt, lustgesottenes Stöhnen an die Zimmerdecke schickt wurde. Der nächste ermattende Atemzug brachte ihn endlich dazu den Blickkontakt zu lösen und sich gänzlich von der Szene abzuwenden. Dabei streifte die linke Schulter den roten Tüll, wanderte über seine Seite und hinterlässt an einigen Hautstellen einen kitzelnden Nacheffekt. Gedämpfte Schritte. Ein ermüdetes Durchatmen als der Mann sich auf eines der vielen Sitzkissen im Raum fallen ließ. Vor ihm befindet sich ein ovaler Teetisch. Auf diesem stand eine Flasche und zwei Gläser. Alle drei wirkten benützt. Wohl war der Pirat kein Mann der am Leben und dessen Freuden sparen wollte. Je länger Cird seinen Blick auf der Flasche belässt, umso größer wird die Gier nach der klaren Flüssigkeit darin.
Mit einem Mal streichelten Fingerkuppen über den Flaschenhals. So liebevoll als wollte er die Flasche in seiner Reihe willkommen heißen und während der Elonier das tat, wurde der Raum ungehalten weiter von dem Liebesspiel seines Freundes und dessen Auserwählten erfüllt. Er saß zurzeit mit dem Rücken zum Bett. Er konnte also im Augenblick nur vage erahnen, was genau dort vor sich geht.
"Gönn' dir etwas, Cionar. Du bist zu jung um dich auf ein Weib zu beschränken. Sieh' nur, was dir alles entgeht! Die kleine Blonde da vorne, die ist genau dein Typ. Für ein paar Münzen kann sie dir gehören und niemand muss je davon erfahren."
Ein gehässiges Abbild ergriff die Mimik als ihm die Worte aus längst vergangener Zeit ins Gedächtnis gerufen werden. Ein passender Moment. Immerhin sprach der Pirat ihm diese Worte entgegen als sie zum wiederholten Male das Etablissement betraten um sich Ablenkung vom trostlosen Alltag zu suchen. Sein Kumpel tat es um sich mit Alkohol, verbotenen Substanzen und Frauen einen schönen Abend zu gestalten und Cird wohnt diesen Abenden bei, um selbst den Kopf frei zu bekommen und nicht daran zu denken, was dort draußen auf ihn wartete. Rachegelüste suchten ihn regelmäßig auf. Es fällt ihm von Tag zu Tag schwerer sie zu schlucken und stumm in sich zu lassen. Er war nicht der Typ dafür. Er konnte nicht still sitzen während ein Anderer es sich herausnahm, über ihn zu bestimmen, zu urteilen und zu richten. Dafür wurde er nicht geschaffen. Nicht geboren. Er gestand es sich vor langer Zeit bereits ein, das er wohl die eine Sorte Mensch ist, die ihren eigenen Weg geht. Es gab genug Maden dort draußen, die sich kleinhalten lassen und funktionieren.
Er ließ sich nicht klein halten. Nicht mehr. Nicht einmal von ihr.
Durch eine rüpelhafte Handbewegung musste der silberne Verschluss, der auf der Flaschenöffnung saß, weichen. Desinteressiert und ungeliebt warf der Elonier diesen nach getaner Tat auf den ovalen Teetisch vor seiner Nase. "Du musst dich anpassen! Wie jeder von uns!" ertönte eine erzürnte gleichzeitig aber auch lieblich weibliche Stimme in seinem Gehör "Drauf g 'schissn'." flüsterte der Elonier gegen den Flaschenrand, nachdem sich das Lippenpaar dort platziert hatte, Stellung bezog, um den intensive Geschmack des Alkohols eine Sekunde später auf der Zunge zu schmecken. Gierig und ungezügelt wurde geschluckt und dabei die Augen hart zusammengekniffen als würde er, mit jedem weiteren Schluck, über eine gravierende Grenze schlagen.
So war es auch nicht verwunderlich, dass sich das Lippenpaar nach wenigen Sekunden wieder stürmisch von der Flaschenöffnung losriss. Er hielt die Flasche danach sicherheitshalber auf einen halben Arm Abstand um sich danach den freien Handrücken gegen den Mund zu pressen. Ein Würgegefühl überkam ihn. Heißer Atem stößt in Form eines erschlafften Stöhnens gegen den Handrücken. Zeitgleich brannte die Lust im Raum heller. Immer öfters, in weniger langen Zeitabständen, hörte man, wie Haut an Haut klatschte. Direkt hinter ihm. Nur einen Handgriff weit entfernt.
Bebend riss er sich zusammen, verschraubte die Flasche im Eiltempo und zeigte sich selbst die Zunge. Irgendetwas klebte daran. Penibel einfühlsam wurde der Störenfried hinab gepikt. Ein Haar. Es könnte sein eigens sein, oder das des Piraten aber mit absoluter Sicherheit keines der Hure. Ihre braunen Locken stachen ihm penetrant in die Augenwinkel. So als benötigten sie Dauerbeachtung von dem Kerl. Anerkennung für ihre Schönheit. Und er nahm es sich heraus, ihr keinen einzigen Blick zu würdigen. Dafür war jemand anders im Raum zuständig. Das Haar strich er geistesgegenwärtig an einem weiteren Sitzkissen ab.
Wie lange ist er bereits hier? Eine halbe Stunde? Eine Stunde? Die Zeit floss im Süden schneller. Die von Gier durchtränkten Geräusche werden immer lauter, vermehren sich und prasselten ungehindert auf ihn ein. Mürrisch zog er die Beine an den Körper und platzierte die Unterarme auf den Knien. Sein Kinn nützte die neu entstandene Fläche vor der Nase als Ablagefläche. Sein treuster Gefährte und gleichzeitig unsichtbarer Erzfeind in Form einer schlichten Glasflasche, stand wie zu Beginn seiner Attacke, auf dem Teetisch. Dort passte sie besser hin. Zumindest besser als in seine Hand. Der Moment war nicht stimmig um sich das Hirn mit Alkohol zu zunebeln und die Sinne schwächeln zu lassen. Man könnte ihn jeden Augenblick zu sich rufen. Er müsste immer einsatzbereit sein und darf sich keinen noch so kleinen Fehltritt in dem neuen Gebiet erlauben. Diese Leute kennen ihn nicht, beurteilten ihn daher auch nicht wie er in der Vergangenheit war, sondern beurteilten das, was man ihnen vor die Nase setzte und sehen ließ. Die rechte Hand wanderte am eigenen Körper hinab. Vom Oberarm schlängelte sie über die Seite bis hin zu einer Manteltasche. Dort verkrochen sie sich, kamen mit einem umfassten Gegenstand wieder hinaus und das Kästchen, welches vorhin nur ein schemenhafter Gegenstand war, wird neben der Flasche abgelegt um dieser Gesellschaft zu leisten.
Ein basslastiges Grölen. Ein heller Aufschrei der davon gesegelten Lust. Plötzliche Stille. Ein Mundwinkel, der sich zuckend hob. Verschwitzte Körper. Nachdenkliche Haltung. Dumpfes Stöhnen.
"Das Gefühl von Machtlosigkeit bedarf eine starke Hand, Cionar. Dein Zorn muss richtig eingesetzt werden, auch wenn das bedeutet, das du Grenzen überschreiten musst, von denen du noch Nichtmals den Hauch einer Ahnung hattest, das sie existieren. Ich will dir nichts vormachen. Es ist Zeit, dass du vergisst, wer du bist und woher du kommst. Du musst dazu fähig sein, sonst überlebst du mir hier nicht. Auch wenn es für dich bedeuten wird, das du lernen wirst, grausam zu sein."
Er sollte recht behalten.
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