Sie hasste Müßiggang.
Hatte sie schon immer. Von Kindesbeinen an, soweit sie denken konnte, hatte sie Stillstand verachtet. Stillstand bedeutete Rückstand, bedeutete Nachteil. Nur wer sich bewegte konnte mithalten. Und sie mochte nicht zurückbleiben.
Träge drehten zarte Fingerspitzen das Weinglas auf dem Holz. Dem Holz, des frisch erneuerten, und frisch lackierten Balkongeländers ihrer gerade neu bezogenen Geschäftsräumlichkeiten. Der zweite Arm ruhte diszipliniert in ihrem Rücken, die Hand zur lockeren Faust geballt. Ihre Aufrechte Haltung hatte etwas Militärisches – etwas Gedrilltes. Vermutlich war das der Grund dafür, warum sie sich zwang sie abzulegen, wann immer jemand in ihrer Nähe war.
Das leise Kratzen des Kristallglasfußes auf dem Holz hatte etwas Beruhigendes. Der Stiel schmiegte sich kühl und ebenmäßig zwischen ihre Fingerkuppen, während der Blick in einer unfokussierten, unweiten Ferne lag. Türkisblaue Iriden die all ihre Aufmerksamkeit beobachtend auf etwas richteten, das nur sie selbst zu sehen vermochte.
Heute war ein Gärtnermädchen dagewesen, und hatte am Balkongeländer üppige Pflanzbecken anbringen lassen. Töpfe standen herum. Frisch geplanzte Frühblüher erfüllten nun in einer bunten Blütenexplosion ihren Balkon, und kitzelten ihre Nase mit Frühsommerlichen Gerüchen. Wie man es von einem Fräulein eben erwartet. Blassblau und Weiß dominierten das kunstvolle Ensemble, kombiniert mit Weinrot und Gelb. Das Mädchen, kaum jünger als sie selbst, würde wiederkommen sobald der Sommer Einzug hielt, und die kühlen Farben gegen kräftige Sommerblumen tauschen. Man musste schließlich mit der Saison gehen. Sie verstand ihr Handwerk – und Elizabeth bezahlte Leute, die etwas von dem verstanden was sie taten nur zu gern.
Ein spätabendlicher Wind zerrte an ihren Röcken, ließ ihr Halstuch flattern und das Haar im Wind tanzen.
Noch hatte sie den Vorteil auf ihrer Seite. Noch sah man sie tanzen, und vermutete nicht, dass sie Schach spielte. Dass sie mit den Besten Schach spielen wollte.
Cirds Worte kamen ihr in den Sinn, und brachten die Erinnerung an den stinkenden Haufen Kissen mit sich, zu dem sie die ganze Nacht über die wildesten Gedanken gequält, und sie davon abgehalten hatten die gut gemeinte Nachtstätte auch nur mit der Stiefelspitze zu berühren.
Ein Schauer kroch ihr über das Rückgrat, ließ sie die Schultern kurz anziehen, das Kinn stolz in die Luft recken. Momentan verlief alles nach Plan, auch, wenn auf dem Schachbrett zu viele Spielfiguren aufgestellt waren.
Doch waren Bauern nicht schon immer dazu dagewesen, die eigentlichen Gewinnerzüge vorzubereiten?
Sie hob das Glas und führte es an die Lippen, um es sachte anzuneigen und ihr süßes Gift über ihre Zunge perlen zu lassen.
Es gab noch viel zu tun – doch zunächst musste sie diese ministerialen Wachhunde loswerden. Ein Faktum, das erforderte, dass sie einen Serienmörder, oder zumindest einen Nachahmungstäter ausfindig, und unschädlich machte. Was schwierig war, mit einem ministerialen Wachhund im Nacken.
Wieder drehte das Glas einige Pirouetten zwischen ihren Fingerspitzen.
Sie hasste Müßiggang. Und abwarten würde sie ganz sicher nicht.
Es war also an der Zeit, einen Serienmörder zu jagen.
Und dann konnte das Spiel endlich beginnen.
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