"Und du bist dir wirklich ganz sicher?", der Blick auf dem zerknautschten und von Narben gezeichneten Gesicht des ältlichen Asura konnte allemal als skeptisch bezeichnet werden. Die großen froschgrünen Augen richteten sich auf die entblößte rechte Schulter seiner Kundin, die dort mit ihm zugewandten Rücken auf der Bank hockte. Er selber hatte es sich auf seinem speziell für diese Arbeit angefertigten Stuhl bequem gemacht, die einzelnen Gelenke konnte er individuell anpassen um die perfekte Höhe zu erreichen, die er für nötig erachtete.
"'s hab 'ch dir jetz sicher schon dreima gesacht, du olle Kaulquappe.", war die eindeutig genervte Erwiderung darauf, das akustische Äquivalent zu verdrehten Augen die der Asura von seiner Position aus nicht sehen konnte. "Wir wär'n sicher schon fertich, wenn du nich die ganze Zeit über 's Motiv mecker'n würds't." Eine schmale, hellhäutige Hand erhob sich an den Nacken, strich in einer fahrigen Bewegung das schulterlange, silberweiße Haar zur Seite als wolle sie den Tätowierer mit dieser Geste auffordern, endlich mit der Arbeit zu beginnen.
"Ich gebe lediglich bedenken das die Wahl nicht leichthin getroffen werden sollte. Du wirst dieses Bild bis zu deinem Ableben in deine Dermis eingezeichnet mit dir herumtragen. Eine adäquate Wahl sollte daher gemessen an den drei Faktoren Exklusivität, psychologische Bindung und Symbolik erfolgen. Auch wenn die Chancen, dass dein Ableben aufgrund getroffener Lebenswegentscheidungen früher als durchschnittlich erfolgt, scheinst du dich bei deinem Wunschbild lediglich auf ein nautisches Klischee zu beschränken. Das erscheint mir unlogisch.", die Thematik schien dem Asura anscheinend wirklich am Herzen zu liegen, wenn er auch der Bedenken zum Trotz nun nach seinem Werkzeug griff und die kalte metallene Nadel auf der hellen Haut ansetzte.
"Ernsthaft Reez, halt jetz einfach die Fresse un stich.", anscheinend genügte der warnende Unterton dieses Mal endgültig aus um weitere Läuterungsversuche seitens des älteren Asura zu unterbinden. Der schmale, faltige Mund zog sich bei dem Gemecker der Kundin noch weiter in die Länge. Er bewegte die viergliedrige Hand leicht, rutschte in eine für ihn angenehme Position und schob dann mit der freien Hand eine Brille über die hellen Augen. Ohne weitere Vorwarnung schaltete er das Gerät ein und begann mit seiner präzisen Arbeit. Das boshafte Schmunzeln als er bei den ersten surrenden Stichen unter die Haut das leise, aber erschrockene Keuchen ausmachte, dass die junge Frau da ausstieß, konnte Reez sich allerdings nicht verkneifen. Das geschah dem jungen Hüpfer ganz Recht.
Zuerst war es nur ein starkes Vibrieren in der Schulter und beinahe hätte sie es als angenehm empfunden, hätte nicht in genau diesem Moment dann auch der Schmerz eingesetzt der durch die Nervenbahnen zuckte und dafür sorgte das sich die langen Finger in den Stoffbezug der Bank bohrten. "Nicht bewegen.", knallte da peitschenartig auch sofort die Anweisung von Reez durch die Luft, ohne das er deswegen seine Arbeit unterbrochen oder die Augen auch nur einen Moment lang abgewandt hätte. Dann setzte er ein wenig ruhiger in beschwichtigendem Tonfall an: "Du wirst dich gleich daran gewöhnt haben." Er sollte Recht behalten. Mit jedem wachsenden Strich, jeder auf der hellen Haut erblühenden Linie, jedem noch so kleinen Detail schien die Intensität des Schmerzes ein wenig nachzulassen, die selbstgewählte Pein auf ein ertragbares Maß herab zu senken.
Schweigend verbrachte das ungleiche Paar, die junge Menschenfrau und der alte Asura, so sicherlich zwei Stunden ehe das Summen der Nadel mit einem Schlag verstummte und Reez die Brille sorgsam wieder aus dem Knautschgesicht hoch in das schüttere, dunkle Haar schob. "Fertig. Zumindest der erste Teil deiner Abbildung eines Regenpfeiferartigen."
"'s is 'ne Möwe Reez. Einfach nur 'ne Möwe. Mach nich jed'n Scheiß unnötich kompliziert.", der Stimme fehlte jetzt jedweder genervte Unterton, lediglich Erschöpfung vibrierte schwach in jedem einzelnen der Worte mit als die junge Frau von der Bank herunter rutschte und sich dem Asura auf seinem Arbeitsstuhl zuwandte. Reez zog an einem der diversen Hebel, worauf sich sein Stuhl ein wenig herabsenkte, bis der Asura in der Lage war problemlos vom Sitz zu rutschen und in watschelnden Schritten zu einer Anrichte hinüber zu gehen.
"Wir machen in vier Tagen weiter. Trag bis dahin diese Salbe jeden Tag auf.", der Asura Tätowierer hatte während seiner Worte in der Anrichte herumgewühlt und zuletzt einen gläsernen Tiegel ausgewählt den er seiner Kundin nach oben entgegen streckte. Er erhielt statt einer Antwort jedoch nur ein leises Schnauben, als flinke Finger sich das angebotene Töpfchen griffen und beiläufig in eine Hosentasche hineinschoben. Noch im Gehen und ohne ein weiteres Wort des Dankes zu verlieren, warf sich die junge Frau ihr Hemd wieder über den Kopf, zog es zurecht und, sehr zur hämischen Freude des Asura, zuckte abermals zusammen als die empfindliche Hautpartie an der Schulter sich dabei unangenehm bemerkbar machte.
Erst als die Schritte schon eine Weile verklungen waren, begann der Asura damit sein Arbeitswerkzeug in präziser Kleinarbeit zu desinfizieren und reinigen. Es schien als würde er in den vermeintlich leeren Raum hinein sprechen, als er mit einem Mal wieder seine Stimme erhob und in einem entschuldigendem Tonfall sprach: "Leider waren meine Versuche ihr dieses spezielle Motiv auszureden nicht erfolgreich, Kapitän."
Eine Antwort ließ auf sich warten und es vergingen einige Herzschläge, in denen Reez weiter den in jahrelanger Arbeit geläufig gewordenen Arbeitsabläufen nachging, ehe in einer der dunkleren Ecken des Raumes ein Streichholz entzündet und an eine gestopfte Meerschaumpfeife gehalten wurde. Begleitet von saugenden Geräuschen, als die knisternde Glut sich durch den Tabak fraß, verbreitete sich ein süßlicher Geruch im Raum als ein erster Schwall Rauch in die Luft ausgeatmet wurde. Noch ein weiterer Zug wurde genommen, ehe der Raucher dann endlich mit volltönender, kräftiger Stimme erwiderte:
"Vielleicht erinnert sie sich ja doch."