Knospentraum

Die Erinnerung an das dunkle Gesicht mit den weißen, starren Augen des Kleinen, der ihn in die Familie gebracht hatte, verblasste so schnell wie das Licht, das beim Schließen der Blüte erstarb. Dunkelheit umfing ihn erneut und wieder war er nicht in der Lage, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Allein seine normalen Körperfunktionen blieben intakt und erlaubten ihm immerhin zu atmen und zu schreien.


Er fand sich wieder in einer dunklen Welt, in einem Traum, der so real wirkte, dass er für den Moment vergaß, wo er wirklich war. In seinem Kopf fiel er durch tiefste, bodenlose Schwärze, in einer Geschwindigkeit, die ihm selbst die Luft zum Schreien abschnitt. Abrupt, als sei er an einem Seil befestigt, das nun die volle Länge erreicht hatte, stoppte sein unendlicher Fall und bewegungslos schwebte er in diesem schwarzen Nichts. Kein Laut drang an seine Ohren, kein Lichtstrahl an sein verbliebenes Auge. Für eine Sekunde glaubte Nymvir fast, er habe sein rechtes Auge auch noch einbüßen müssen.


Und ein drittes Mal begann das Grauen. Verzehrendes Feuer, nagende und fressende Blattläuse, ertrinken, ohne zu sterben... all das war nichts gewesen im Vergleich zu den Gräueln, denen er sich dieses Mal ausgesetzt sah. Noch immer umfing ihn tiefste Schwärze, die fast greifbar war und mehr war als nur die Abwesenheit des Lichtes. Wie ein Echo aus der Ferne hörte er ein rauhes Lachen. Erst war es nur wie eine Ahnung, aber langsam schwoll das Lachen an, kam näher und näher, bis es direkt neben seinen Ohren zu sein schien. Laut wurde es. Und lauter. Immer lauter, bis es zu einem Brüllen geworden war, welches so gewaltig war, dass es förmlich an den Trommelfellkonstrukten seiner Ohren zerrte. Aber er konnte sich nicht die Ohren zuhalten. Verzweifelt kämpfte er gegen die Lähmung seiner Glieder an, blieb jedoch erfolglos.
So abrupt sein Fall geendet war, endete auch das Lachen und erneut umfing ihn tiefste Stille. Allein sein eigener Atem, der mehr einem panischen Japsen glich, bewies ihm, dass er überhaupt noch existierte.


Jäh wurde die Stille von einem gellenden Schrei zerrissen. Von welchem Wesen dieser Schrei stammte, konnte Nymvir nicht ausmachen. Jedoch erkannte er sehr wohl, dass es ein Schrei unsäglicher Pein und Qual war. Kaum hatte sich diese Feststellung in seinem Geist verankert, löste sich die dunkle Schwärze um ihn herum auf und er fand sich in einem Raum wieder, der unheilvoller nicht sein konnte. Nymvir musste sich nicht lange umsehen, um zu erkennen, dass er sich in einer Folterkammer befand. Vor ihm kauerte ein Wesen, klein, rosa und augenscheinlich nackt, welches erbärmlich wimmerte. Bei näherer Betrachtung erkannte der Spross das Wesen als Mensch. Als sehr junger Mensch. Der dünne, geschundene Körper bebte und Nymvir hörte das leise Klirren von Ketten. Ketten, die an Haken befestigt waren, welche durch die Haut an Rücken und Armen des Unglückseligen getrieben worden waren. Das jeweils andere Ende einer jeden Kette war an Ringen befestigt, die gut an den Wänden hinter der kauernden Kreatur verankert waren.


Nymvir hätte am liebsten den Blick abgewendet, hätte sich am liebsten umgedreht, um zu fliehen, denn er ahnte, was in diesem Raum seine Aufgabe sein sollte. In ihm wehrte sich alles dagegen, in seinen Augen war die Kreatur bereits geschunden genug. Doch dann kamen die Stimmen.
Es waren körperlose Stimmen, jedoch verriet ihre Art, sich auszudrücken, dass sie von anderen Sylvari stammen mussten. Sie flüsterten, schrien und beschworen Nymvir, erklärten ihm in aller Ausführlichkeit das Warum und Wie und ganz besonders die Konsequenzen für ihn selbst, sollte er sich weigern seiner Aufgabe nachzukommen.
Man würde ihm das restliche Augenlicht nehmen, erklärten sie ihm. Auch seine Fähigkeit, zu hören würde man ihm entreißen, wenn er versagen sollte. Er wäre ein Ausgestoßener, gefangen in Stille und Dunkelheit und man würde ihn einfach irgendwo in der Welt aussetzen, unfähig, sich zu orientieren. Vielleicht würde man ihm auch die Zunge herausreißen, damit er sich nicht mehr mitteilen können würde. All dies drohten die Stimmen ihm an, ausgeschmückt mit allen Details, wie man ihn in seinem eigenen Körper einsperren würde. Wenn er versagen sollte.


Starr vor Angst blieb Nymvir eine geraume Zeit dort stehen vor dem gepeinigten Menschenkind und lauschte den Stimmen mit wachsender Verzweiflung. Er wollte das nicht tun. Alles in ihm sträubte sich gegen das, was von ihm verlangt wurde. Aber die Angst vor dem Versagen war ungleich größer.


Also schritt er zur Tat...


....


Nymvir fühlte sich elend, als seine Aufgabe endlich als beendet erachtet wurde. Er schämte sich dessen, was er hatte tun müssen und es schmerzte und schockierte ihn selbst, zu welchen Gräueltaten er offenbar wirklich fähig war, wenn nur genug Zwang auf ihn ausgeübt wurde. Aber er war seiner Aufgabe wie verlangt nachgekommen. Dachte er zumindest.
Aber die Stimmen lachten. Sie lachten völlig durcheinander, lachten ihn aus, verspotteten ihn und hatten nur Hohn für den Spross übrig. Drei Worte dröhnten schlussendlich in seinen Ohren, die die Stimmen ihm Chor in sein Hirn pflanzten:


DU HAST VERSAGT.


[to be continued...]

Kommentare 2

  • Mhm... Nettes (Alb)träumchen... ^^"

  • Uff...diese Geschichte ist so kalt, das ich mir die Heizung gerade hochstellen musste. Böse, aber irgendwie gut. Ich bin auf die Fortsetzung gespannt.