Die unwahrscheinlichen und wunderlichen Begegnungen des M., 1
1. Epilog für einen Idioten.
Der M. und A. sitzen an einem Brunnen in Götterfels. Die Schritte von hunderten, gar tausenden Bewohnern hallen über die riesigen gepflasterte Flächen, über dem sich drohend das Angesicht von Badassargh Balthazzar Balthasar herunter zu beugen scheint. Das ist der Platz, der im Schatten eines gewaltigen Abbildes liegt. Ein paar Kinder rennen durch die dicht zusammengedrängte Menge. Irgendwo schreit jemand "Haltet die Diebe" und stürmt den beiden Schatten nach, die in der Menschenmenge verschwinden.
Balthasars Abbild beugt sich herab. Es ist nicht echt, sondern aus Stein. Die Statue überragt den gesamten Platz. Eifrig verkaufen Händler in zusammengezimmerten Buden zu seinen Füßen kleine Abbilder, Ketten, Schmuck. Wertvolles und Wertloses. Bettler laufen umher und flehen um Brot und Gaben. Einer wird von einem finster drein blickenden Kerl weggestoßen: "Alterchen, mach dich davon", fährt er einen der Bettler an - aber der alte Verwahrloste schert sich nicht darum. Er bahnt sich seinen Weg durch die Menge, die um einen Prediger herumsteht. Dieser steht auf einem Steinpodest. Seine Hände beben und seine Stimme hallt über den Platz. Allen Anschein nach hält er eine entschlossene Rede. Die Zuhörer, mal schreiend, mal tobend, mal lachend bei ihren Gefühlen packend. Er gestikuliert, aber nicht wild und unbedacht. Seine Finger zeigen, ballen sich, und deuten das Undeutbare. Von den Opfergaben, die zu den Füßen der Statue liegen, verteilt er nachdem er gesprochen hat, einen Teil an die Bedürftigen. Danach stiebt die Menge auseinander und geht ihren Geschäften nach.
Unweit des Platzes streckt M. seine baren Füße ins kalte Brunnenwasser. Der Tag ist licht und ungewöhnlich heiß für einen Frühlingstag, denkt er sich. Er hält ein altes Buch in der Hand. Er kann den wilden, hektischen Bewegungen von A. wenig abgewinnen, die etwa weniger als Kniehoch im Wasser steht.
" Ich hab gehört: Asura haben soooolange Ohren ". A. packt, um ihre ohnehin schon merkwürdige Geste zu verstärken, sich an ihren Ohren und versucht sie ein Stück länger zu ziehen – erfolglos.
" Ich habe auch gehört: Asura lieben Explosionen!", sagt sie und schlägt die Hände zusammen und sie lässt pathetisch nach links und rechts entgleiten, sodass sie ein großes "V" formt.
" Ach, du bist doch einfach nur blöd!", sagt er, nachdem er sich kurz vor ihrem Schatten erschrocken hatte und weiterhin gedankenverloren im Folianten blättert.
"Was hast du gesagt?", erwidert sie.
"Du bist ...", unterbricht sich M. Er hat anscheinend irgendwas im Buch gefunden.
"Was hast du gesagt?", ruft sie wieder.
"Ich glaube, ich mag dich.", ruft er lauter zurück. Sein Blicke fahren Seite über Seite.
"Willst du mir nun deine famose Geschichte vorlesen?"
"Ja, vielleicht."
"Du hast es mir versprochen!!!" Ihr Gesichtsausdruck verrät: Sie ist kurz davor einen Heulkrampf zu erleiden oder vor Freude auszurasten. Für den M. ein unlösbares Dilemma. Er hebt den Kopf und starrt sie an. Sie starrt zurück.
"Na gut...", lenkt er ein. "Die Geschichte hab ich vor kurzem im Abtei-Archiv gefunden. Eigentlich interessiert mich das überhaupt nicht – aber so ein Typ von der Abtei wollte unbedingt so ein Exemplar. -- Äh...auf jeden Fall...habe ich dann das mitgenommen --- du weißt schon – ausgeliehen, verstehst du...? Morgen bringe ich es wieder zurück."
Sie setzt sich neben ihn. Ihr weißes Gesicht sah milde drein. Für eine weitere Weile schaute A. schweigend nur den M. an, dessen Pupillen wie ein schwarzer Abgrund jedes Sonnenlicht in sich hineinzogen und sich eiligst, und peinlich berührt wieder im Buch vergruben. Sie suchten dort angestrengt nach etwas was sie dort nicht finden konnten. Sie hatte sich neben ihn gesetzt und im nächsten Moment ruht ihr Kopf auf seiner Schulter....". Die Gefahr schien abgewendet.
Dann sprach er:
"Es geht um zwei Brüder...Asura....nein, zwei Asura die Brüder sind und Explosionen..."
"Sag ich doch....", murmelte sie, ohne betroffen zu wirken.
"Naja, es gibt eine Explosion und ziemlich viel Gewalt. Asura scheinen Gewalt zu mögen – ich glaube da sind sie wie die Menschen."
M. räusperte sich, ehe er die Seiten des Buches aufschlug."Irgendwo muss sie...ja...Ich find' die nicht...", stammelte er kurze Zeit später und legte das Buch auf den Brunnenrand. Ein Brunnenrand der wirklich gewaltig war, im Vergleich zu anderen Brunnenränder, die man sonst so kannte. "Die Brunnenränder dieses Brunnens sind wirklich außergewöhnlich breit, findest du nicht auch?", fragte er sie. Höchstwahrscheinlich hätte hundert M. und hundert A. an ihm sitzen können und in Büchern nach Geschichten suchen können.
"M....? Veralberst du mich? Du hast gerade 3 Sekunden da drin geblättert...", sie wollte nach dem Buch grabschen, aber er schob ihre Hände zur Seite...
"...ich hab halt gerade keine Lust auf Explosionen...ich erzähl dir aber was anderes...lass mich mal überlegen."
...
...
...
Seine ausdruckslose Miene fiel auf das Brunnenwasser, indem er sich selbst spiegelte...einen unbedeutenden Moment lang hatte er das Gefühl, nicht an einem Brunnen zu sitzen; Das sanft landende, wallende Wasser verwandelte sich in kleine Wellen die an einen sandigen Strand anlandeten. Algen und scharfkantige tote Korallen ragten heraus. Als er hinter sich blickte stand er vor einem dunklen Ozean über dem sich gewaltige Wolken aufgetürmt hatten, die den Strand und den weitläufigen Küstenstreifen umlauerten . In der Ferne sah man ein einsames Signalfeuer. Sein metallischer Körper war am Horizont kaum noch wahr zu nehmen. Wohl aber sein warnendes, helles Leuchten, das monoton im pulsierenden Rhythmus auf- und niederflackerte.
"M.?"
"Was?", fragte er gereizt, als ob man ihn aus einem Traum gerissen hätte.
Sie schaute ihn verwundert an. "Du wolltest mir doch was erzählen, aber stattdessen hast du nur den Brunnen angestarrt, du Idiot..."
"Mir ist nur die Seite von der Stelle aus diesem Buch wieder eingefallen," murrte M. und schlug das Buch auf...
...Das also geschah, unter dem Brunnen, der im Schatten des steinernen Abbildes lag. Die Götter sind meine Zeugen.
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