Tractatus Höggeri Speckfaustus I


Tractatus Höggeri Speckfaustus I


Es war ein eisiger Tag in den Gipfeln. Die Stille zwischen den Kronen der verschneiten Bäume und dem gefrorenen Boden, war so dicht und dick wie Honig. Die Welt schien in ihr zu ertrinken, alles Streben und Wimmeln verfing sich in ihren klebrigen Fäden und fiel langsam in tiefen Schlaf. Nur hier und da rieselte noch etwas Schnee von den müden Ästen der Kiefern. Die Bären schliefen fest in ihren Höhlen, die Vögel kauerten mit eingezogenen Köpfchen in windstillen Ecken – das Tummeln des Lebens, fror ein, wie der plätschernde Fluss. Weit in der Ferne konnte man die tiefen, traurigen Lieder der Bergleute hören, so herzerreißend schön, doch gleichsam so unendlich traurig, dass ihr sanfter Gesang die Stille untermalte, sie tiefer und bedeutender werden ließ, als sie es alleine je hätte sein können.
An diesem Tag schlief die Welt und weil die Welt schlief, schlief auch Högger Speckfaust. Er schlief fest zwischen den Überresten einer Jagd. Sein narbiges Haupt ruhte grunzend auf den Resten eines frisch erlegten Dolyaks, eine Hand noch immer den todbringenden Speer umschließend, die andere noch immer einen halbvollen Krug. Seine zum Wind gekehrte Seite lag nun bald schon ganz unter Schnee verborgen und nur Arme und Füße lugten noch hinaus. Im Windschatten des Riesen schliefen allerlei Tiere, die Schutz vor dem eisigen Atem des Winters suchten. Friedlich lagen dort nebeneinander Fuchs und Hase, Wolf und Schafsbock, Katz und Maus, denn jedes wusste, würden sie den Riesen wecken, fräße er sie allesamt auf, noch bevor er seine Augen geöffnet hätte. So herrschte inmitten des Winters, im warmen Schatten des Wanstes von Högger Speckfaust, Frieden wie er sonst selten in dieser Welt herrschte. Wie es schien schlief er schon lange dort und würde es noch lange tun. Doch auch wenn der Riese ruhte und die Zeit für ihn stand, so verging sie doch für den Rest der Welt. Der Riese schlief und schlief und keiner konnte die Winter zählen die er in der schweren Stille der Gipfel lag, wie keiner die Schneeflocken zählen konnte die in all diesen Wintern gefallen waren. Das Getier in seinem Schatten ward längst gestorben und zwischen den Knochen ihrer Väter und Mütter, wagte es kaum eine andere Kreatur Schutz zu suchen. Nur die Raben und Ratten krochen stets munter krächzend und quiekend zwischen den Gebeinen ihrer Vetter umher. Es heißt, dass nage eine Ratte auch nur an einem einzigen Haar von Högger Speckfaust sie auf der Stelle zu einem Wolf heranwüchse, ein Eichhörnchen zu einem Fuchs und ein Rabe gar zu einer Gewitterwolke. Dies waren die einzigen Kreaturen die den Mut oder die Dummheit besaßen sich am Leib des Riesen selbst zu laben. Es war Zeit vergangen, da erschien ganz unvermittelt, ganz ohne Sturm oder Gewitter, ein Wesen am Schlafplatz des Riesen. Es ward als hätte sich das ewige Sternenlicht zwischen den zarten Eisblumen des Winters verfangen, ein sanftes Gespinst aus funkelndem Raureif durchdrungen von einem Glanz der aus der Unendlichkeit des Himmels selbst zu stammen schien. Es war Erhabenheit selbst, in der Gestalt einer Frau, so schön und so rein, so zart und so zerbrechlich, das die schimmernden Flocken des Schnees es nicht wagten auf sie niederzugehen. Sie kniete sich neben den schlafenden Riesen und streckte ihre zarten Finger nach dem zerfurchten Gesicht aus, wie sanfter Wind, flossen ihrer Berührungen über jede Narbe, jede Falte, des alten Kriegers. „Das Leben hat dich hart gemacht.“
Sprach sie so leise und schön, dass selbst den herzlosen Raben, die still neben dem Riesen verharrten, schwere Tränen aus den Augen fielen.
„Und durstig.“
Ein leises, helles Lachen erfüllte die erhabene Stille.
[i]„Aber ich erinnere mich, ich erinnere mich an dich, als du nur die Idee einer Welt warst, die sich einen starken und schönen Sohn wünschte. Eine Idee von einem Kind, das die Last dieser schweren Zeit auf seinen Schultern tragen könnte ohne eine Träne zu vergießen. Aber wie konnten wir nur so töricht sein. Wir gaben dir ein Herz zu lieben und vergaßen, dass wir dir damit die Tränen selbst mit in die Augen legten. Wie kann ein liebend Herz, denn nicht erschüttern, wenn es doch einsam, ewig schlägt?“

Der ruhige Schlaf des Riesen, wich einem mürrischen Schnauben, einem Hin- und Herwälzen.
„Du kannst uns nicht vergeben, denn du weißt nichts von unserer Schuld. Ich kenne dich noch als die Idee eines Kindes, das die Last dieser Welt tragen kann ohne eine Träne zu vergießen. [i]Ich kenne dich noch immer, nun als einen Krieger der die Kraft hat diese Welt zu verschlingen ohne eine Träne zu vergießen. Das Leben hat dich hart gemacht, doch das Lieben wird dich bitter machen. Wehe dem Tag, an dem du nicht halten kannst, was dein Herz als seines fühlt.“
Sanft umstreichelten die sanften, doch so traurigen Worte, den unruhigen Schlaf des Giganten. Sanft beugte sich die ätherische Gestalt über ihn und legte die Lippen auf seine Stirn.
„Wir können unsere Schuld nicht sühnen, aber wir können keine weitere auf unsere Schultern laden. Also komm nun du stärkster Sohn dieser Welt, komm mit mir zurück in Zeiten in denen du nichts warst und ruhe endlich im sanften Schoß deines Urspru...“[/i]
„He?! FINGER WECH ZAUBERWEIB!
Höggers Augen sprangen auf, der Blick gefüllt von Verwirrung und Zorn, als er die fremdartige Gestalt erblickte. Noch bevor der müde Geist verstand was er sah, erkannte er die Zauberei in dem Wesen und die mächtige Faust des Kriegers schlug das Leben aus der Gestalt. Wie eine alte Puppe flog die Schöne durch den verschneiten Wald, Stämme barsten und die Luft war gefüllt mit dem Dumpfen Klang ihres Aufpralls auf den gefrorenen Boden.
„Ch glob ch spinn! Nu könn die Weiber enen nechmal mehr schlafn lassn!“
Schnaubte Högger wütend. Der Riese verzog das Gesicht und stapfte mürrisch grunzend zum zerschlagenen Weib. Skeptisch kratzte er sich am Kopf als er die zerschundene Gestalt am Boden betrachtete.
„Bistn du, eh? Siehst nech os wien Nornweib...siehst os wien, naja ch weß nech, wien Zauberweib oder so.“
Nachdenklich zog Högger etwas Rotz die Nase hoch.
„Ch mene bist selber schuld, ch mag kenen Zauberkram. Un kene Zauberweiber, un kenen der mich beim Schlafn stört. Lebse noch?“
Die ätherische Schönheit der Gestalt war gewichen. Wie ein zerbrochener Spiegel in dem die Erhabenheit nur noch bruchstückhaft hervorleuchtete, lag die Frau am Boden. Kein Anzeichen von Leben, kein Keuchen, kein Jammern, kein Wimmern. Högger Speckfaust hatte sie wohl totgeschlagen. Er zuckte mit den Schultern.
„S nächste mal weßtes besser. Naja ch mene wüsstest dus besser, wenne nech tot wärst?“
Ein dümmliches Lachen entkam dem Dicken.
„Weiber. Mal sindse ganz verliebt, s annere mal sind se tot. Versteh das ener.“
Der Riese blickte sich um, er streckte die langen Glieder und rollte den großen Kopf durch den Nacken. Fragend wanderte sein Blick durch den Wald. Das große Gesicht stellte sich große Fragen.
„He?“

Kommentare 5

  • episches höggerisches Gedankengut

  • Of Mice and Högger. ._.
    Hatte nach den ersten Zeilen irgendwie eine alte Zittergipfelmusik im Kopf und gleich mal laufen lassen.


    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

  • Oh man so beängstigend und romantisch zugleich.

  • Man weiß nicht ob man Lachen oder Weinen soll, die Geschichte ist sowohl absurd als auch zum Nachdenken anregend, genau wie Högger, der eine Gestalt ist, die es so kein zweites Mal gibt. Applaus.

  • Es ist so viel schöner, wenn man deine Erzählstimme im Kopf dazu hat. Kannst du das auf Band sprechen und mir schicken? :D
    Aber ich hatte dir ja schon gesagt, was ich davon halte. <3 Wie Höggers Erzählungen selbst, eine phantastische Ebene, die manche Köpfe sprengt. ;)