Tractatus Höggeri Speckfaustus II

Tractatus Höggeri Speckfaustus II


Als ich mit den Stürmen tobte...
Meinem Herzen Leere lobte...
Ohne Oben, ohne Unten...
Ganz der Last der Welt entbunden...


Alles was ich bin ist Tanz...
Bar der Schwere, der Substanz...
Bin nicht Wolke, bin nicht Himmel...
Bin ihr ewiges Gewimmel...
Bin ihr Wehen, bin ihr Stürmen...
Wolken auf zu Wolkentürmen...


Wehe fort, was nicht verwachsen...
Nichts, das sich in mir verbirgt...
Wo die höchsten Mächte schaffen...
Bin ich eine Kraft die wirkt.


Grauer Staub bedeckte den Boden und wurde in der Ferne eins mit dem Grau des unendlichen Himmels. Karg und leer zog sich die Ewigkeit der müden Hügel und flachen Täler bis zum Horizont. Kein Strauch, kein Baum, nicht einmal dürres Gebüsch durchbrach die Monotonie dieser tristen Wüste. Das Sonnenlicht fiel lustlos und schwach durch die Vorhänge aus Staub und traurigen, nein, gelangweilten Wolken. Denn sie waren nicht traurig. Seit so langer Zeit hatte keine einzige von ihnen eine Träne über diesem öden Land vergossen, hatte kein Tropfen Wasser diesen Boden geschwärzt. Ein steter, kalter Wind zog über das Land, so schwach dass kein Staubkorn ihm folgte, aber so stark und ständig, dass jedem Wanderer die Augen brannten, lief er gegen ihn und der Rücken fror, lief er vor ihm davon. Ein Ort an dem alles was dort zu finden war nur bewies, dass er sich an der Schwelle zum Nichts befand. Ein Ort an dem alles Sein nur die überschwängliche Größe und Herrschaft der Leere bestätigte. So selten wie Inseln aus den unendlichen Wellen ragten, so selten ragten Knochen aus dem ewigen Staub. Auf diesen Inseln tanzten zerfledderte Federn traurige, kraftlose Tänze. Wann immer ein falscher Wind, eine schlechte Entscheidung, der Überdruss am Blau des Himmels, einen Vogel in dieses Land trug, sollte er dort sterben. Diese Wüste, deren Mitte keiner kannte, weil niemand von ihrem Ende wusste; Diese Wüste, in der jeder Ort, jedem anderen glich; Diese kalte und immerwährende Wüste war die stumme und gleichmütige Zeugin eines Ereignisses, das von außerordentlicher Seltsamkeit und Seltenheit war.


Er, der sich Högger Speckfaust nannte, saß im Staub der Ödnis und betrachtete die dunkle, langsam fließende Lache, die den durstigen Boden nährte. Högger Speckfaust war von außergewöhnlicher Statur und noch außergewöhnlicherem Wesen. Er war ein Riese, ein alter Riese, so hoch gewachsen, dass die Sterne sich in seinem Haar verfingen wie Glühwürmchen in den Locken von jauchzenden Kindern zum Maientanz. So dick und rund, als wäre er das Fass, in dem die Ozeane zu ihrer Reife gekommen waren. Falten durchzogen das alte Gesicht; Falten der Freude, so viele, dass nicht einmal die Sonne so oft gelacht haben konnte wie er; Falten des Zorns, so viele, dass weder Sturm noch Feuer so oft gewütet haben konnten wie er. Narben, hässlich und krumm, von schönen Geschichten; Narben, wunderschön und fein, von hässlichen Geschichten. Die Kraft die in den Armen, den Beinen, der Stimme, dem ganzen Leib, des Giganten ruhte, war die Kraft mit der die Mühle der Welt mahlte, der Zahn der Zeit nagte, die Wellen tanzten, der Sturm ritt und die Gebirge aufrecht standen. Er war alt und seine Geschichten viele, so viele, dass nur sie aufzuzählen schon all die Zeit eines Menschenlebens bräuchte; sie zu erzählen, das Leben eines Berges.
Nun saß eben jener eine Riese, den man Högger Speckfaust nannte, im Herzen dieser unbekannten Wüste, der Boden um ihn schwarz und nass, in seinen Händen ein Bündel aus Lumpen und schmutzigem Verband. Unverdrossen quoll dickes, rotes Blut aus dem eng gewickelten Stoff und unverdrossen suchten die dicken Finger des Riesen einen Weg die Wunden zu schließen. Hilflos riss er Fetzen von seinen eigenen Kleidern und verband das Bündel, doch vergebens. Zuletzt saß der Titan nackt und stumm am Boden, noch immer suchten die Finger vergeblich nach Rettung für das blutende Bündel. Der schwarze Kreis um den Riesen wuchs und bald ward der Boden um ihn schwarz, erst einige Schritte weit, dann kroch es schon tief ins Land. Doch soweit das schwarze Blut auch kroch, es war verloren in der Unendlichkeit der grauen Wüste. Schwer atmend, voller Trauer und Zorn, suchte der Riese nach einem Weg den ewigen Fluss zu stoppen, doch die müden, alten Finger fanden ihn nicht. Kein Tuch mochte die Wunde schließen und das Herz des Högger Speckfaust schlug mit der Kraft, mit der der Donner die Blitze schmiedet, gegen seine Brust, sein Atmen wurde zum Sturm und ein Schrei entfuhr ihm, so laut und verzweifelt, dass die Sonne und Sterne sich in Furcht von ihrem liebsten Sohn abkehrten. Die liebkosende Sorge des Riesen wandelt sich in verzweifelte Wut. Die nach Heilung suchenden Finger fanden nur noch Gewalt. Sie griffen zwischen die von Blut getränkten Leinen und rissen das Bündel und was immer darin war in tausend Fetzen. Blut ergoss über sich über ihn, über die Hügel, über die Täler, über die tanzenden Federn und schlafenden Knochen, Blut floss in die Unendlichkeit der Leere. Die Wüste ward schwarz, und irgendwann stand der Riese bis zu den Knien im Rot. Es stieg und stieg und er tanzte, wie ein Kind in den Pfützen des Herbstes! Ach wie er tanzte und jauchzte, denn er war frei, frei von seiner steten Last, frei von seiner unendlichen Mühsal, seiner so schweren Erinnerungen. Um ihn herum stieg und stieg das blutende Meer. Es stieg ihm bis unter das Kinn, über den Mund, über die Nase und er tanzte und tanzte und holte nicht einziges Mal Luft, als sein Körper so gierig danach schrie.


Das rote Nass erstickte sein sterbendes Lachen. Am Abend jenes Tages trieb der Körper des ersten und letzten wahren Riesen auf einem Meer von Blut, sanft von den Wellen geschaukelt, in tiefer, tonloser Ruhe versunken. Die Augen weit offen zu den Sternen gerichtet. Graue Augen, pechschwarz in ihrem Zentrum. Grauen Augen, die im Blut das letzte Mal fröhlich lachten. Graue, alte Augen die so viel gesehen hatten, dass sie selbst ganze Welten waren.


Grauer Staub bedeckte den Boden und wurde in der Ferne eins mit dem Grau des unendlichen Himmels. Karg und leer zog sich die Ewigkeit der müden Hügel und flachen Täler bis zum Horizont. Kein Strauch, kein Baum, nicht einmal dürres Gebüsch durchbrach die Monotonie dieser tristen Wüste. Das Sonnenlicht fiel müde und schwach durch die Vorhänge aus Staub und traurigen, nein, gelangweilten Wolken. Denn sie waren nicht traurig. Seit so langer Zeit hatte keine einzige von ihnen eine Träne über diesem öden Land vergossen, hatte kein Tropfen Wasser diesen Boden geschwärzt.

Kommentare 4

  • +1

  • Diese Geschichte war im TS einfach perfekt. Aber auch hier, ich mag sie sehr.
    Dein Sprachgebrauch ist besonders, sehr philosophisch und ermuntert zum träumen und Gedanken spinnen. Ich frage mich was das bündel war...

  • Ich liebe was für Emotionen deine Worte in mir auslösen.
    Und der Auftakt ist so sensationell. Ich freue mich über jedes Wort von dir. <3

  • Wie du schreibst, ist eine ganz andere Art und Weise, die mir unglaublich gefällt. Toll, dass es endlich auch hier zu lesen ist - wenn ich die Vorlesung auch großartig fand. Ein wunderbarer Interpretationsspielraum für einen einzigartigen Charakter. <3
    :love: