Frischer Reif zog sich an diesem Morgen über die Gräser, legte sich auf die kleinen und großen Halme wie eine Haut und auch die Wipfel der Kiefern, die hier im Süden der Zittergipfel an den Ausläufern der hohen Berge wuchsen blieben nicht unangetastet. Lange schlugen sie bereits ihre Wurzeln in das Erdreich, denn hoch hinaus gen Himmel streckten sich ihre Spitzen und die Äste boten so manchem Tier ausreichend Schutz. Hier und da hörte man ein Tier, das mit den ersten Sonnenstrahlen seinen Tag begann. Tage in denen es einzig um das Leben und Überleben ging, um Fressen und gefressen werden, um das Sichern der eigenen Rasse. Denn der Frühling nahte und einzig die Nächte waren von bitterer Kälte erfüllt, die dann wich, wenn die wärmende Sonne die niederen Hügel mit ihrem Glanz erfreute und Eis und Schnee die Stirn bot.
Leise Stimmen, die nicht in dieses idyllische Bild und die Existenz von Flora und Fauna passten, durchbrachen die Stille, verscheuchten einige Kaninchen in nächster Nähe, die sich rasch wieder in ihrem Bau versteckten und nur vorsichtig hinaus spähten. Es ging darum, der Gefahr zu entgehen, den Fallen und Pfeilen der Jäger, den Messern und Klingen der Jägerinnen. Doch an diesem Morgen drohte weder den Kaninchen noch den Hirschen und ihren Herden Gefahr, denn die Gruppe der Norn zog weiter gen Süden. Sie schenkten dem Wild nicht mehr Beachtung als es nötig war um den Überblick zu behalten.
Ihre Schritte knirschten auf dem erdenen Grund, der von großen und kleinen Steinen gespickt und für nackte Füße eine Qual war, so sie nicht von einer festen Schicht Hornhaut geschützt wurden. So zog die Gruppe bestehend aus erfahrenen Kerlen und Weibern, sowie zwei Jungnorn weiter in den Süden, um rechtzeitig an ihrem Ziel anzugelangen. Die Schritte der beiden jüngeren Norn waren schleppend und schwer, die Augenränder unter den Augen des Mädchens dunkel wie die Nacht und die Körperhaltung des Burschen mehr schlapp und gerädert. Die Nächte, die die Gruppe unter freiem Himmel verbrachte, zehrten an den Kräften der Jungnorn, die diese Reise jedoch nicht taten weil sie mussten, sondern vielmehr weil sie wollten. Es war die Reise bei deren Rückkehr der Junge und das Mädchen nicht mehr als Kinder gelten würden, sondern als Erwachsene. Sie würden die Prüfung bestehen, die für sie bestimmt war. Sie würden bestehen und von da an ihrem eigenen Weg folgen oder sie würden versagen und ihr Leben lassen.
Und so oft das Mädchen auch fragte, wohin sie unterwegs waren und so oft der Junge wissen wollte, wie lange sie noch unterwegs waren - sie bekamen beide immer die gleiche Antwort.
"Die Geister leiten uns, egal wo wir sind."
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Leise knisterte das Holz, das von gierigen Flammen verzehrt wurde und wohlige Wärme in der bitter kalten Nacht spendete. Leicht umspielte der Wind die Körper der Norn, die um die Feuerstelle saßen und lagen, im Dunkel mit halblauten Stimmen erzählten und sich unterhielten. Es war eine Nacht, wie auch schon die Nächte zuvor, in der die Gruppe unter dem Sternenzelt ihren Schlaf und ihre Ruhe suchte. In der Ferne hörte man die Eulen rufen, die sich zur Jagd aufmachten und mit lautlosen Schwingen durch die schwarze Nacht glitten. In der Nähe, knackte es im Unterholz, als ein Fuchs in der Nähe der Gruppe vorbei schlicht, kurz aufschaute und sich dann doch raschen Fußes davon zu machen und im Wald zu verschwinden. Doch weder von streunenden Füchsen, noch von dem Wolfsrudel das gemeinsam durch das Dunkel heulte, bekamen die beiden Jungnorn etwas mit. Viel zu lange hatte die Müdigkeit an ihnen genagt, die Unruhe und Angespanntheit ihre Spuren hinterlassen, sodass sie nun nahe des Feuers eng in die Felle gewickelt schliefen.
Und wie das Mädchen früh am Morgen die Augen aufschlug und unter dem Fell hervor krabbelte, da blieb ihr das Herz in der Brust stehen, als sie sich umschaute. Panisch drängte sich ein Schrei aus ihrer Kehle, verebbte doch schnell und wurde zu einem leisen Wimmern. Der Junge schreckte auf, als er den Laut vernahm und griff nach seinem Jagdmesser, bereit...für was eigentlich? Hastig schaute er sich um und als er sah, dass sie von nichts bedroht wurden, schaute er zornig zu dem Mädchen hin. "Du dummes Moahuhn, da is' doch gar nix!" blaffte er sie an und schob das Messer zurück in die Scheide, die an seinem Gürtel hing. Noch immer weinte das Mädchen, schüttelte wild den Kopf und starrte in die Reste der Glut, die weißen Rauch von sich gab. Von dem Holz war nichts mehr übrig, nur noch schwarze Brocken, die hier und da noch rot glühten und die weiße Asche, die sich mit einem Windstoß über den Boden bewegte, hinauf in den Himmel gewirbelt wurde. "Alle weg..einfach weg," flüsterte sie und barg das Gesicht in ihren Händen. Der Junge sah sie einen Moment lang an, ehe er seinen Blick durch das Lager wandern ließ. Und erst jetzt begriff er, was sie damit meinte denn außer ihnen beiden war niemand mehr da. Die Erwachsenen hatten vermutlich früh am Morgen ihre Sachen gepackt und waren aufgebrochen. Sie waren gegangen und die beiden Jungnorn auf sich selbst gestellt.
Es begann.