Die Weiße Rabin - Kapitel 1: Jagd

Die weiße Rabin


Kapitel 1: Jagd


Das Heulen des Wolfes pfiff durch den von Schnee bedeckten Wald. Doch Heulen war wohl übertrieben, es war mehr ein Wimmern eines Hundes, der längst seinen Schwanz eingezogen hatte und nur noch hoffte, dass man gnädig mit ihm umsprang, wenn er sich unterwarf. Gnade? Unterwerfung? Die Tiergeister hatte sich gegen den großen Jäger Jormag gestellt. Jetzt, da sie sahen, dass man Jormags Erwachen nicht verhindern konnte, bettelten sie um ihr Leben. Wie schwach, dachte sich Hakon, als er streifend durch den Wald zog. Seine Schritte hinterließen kein Geräusch. Er war ein geübter Jäger und Späher, aus dem Grund wurde er auserwählt sich von seinen Schwächeren Brüdern und Schwestern abzuwenden und Jormag zu dienen. Sobald der älteste aller Tiergeister erwachte, würde er seinen treuesten und fähigsten Dienern Macht verleihen, die kein Norn jemals zuvor erlangt hatte, doch noch war es nicht so weit. Hakon hatte Zeit sein Können unter Beweis zu stellen, darum war er hier in den Wäldern.
Die aus Bärenfell angefertigten Schuhen hinterließen kein Geräusch, weder auf dem harten Schnee noch auf den Ästen, die die Lasten der Kälte und des Schnees nicht mehr tragen konnten und herab gebrochen waren. Die eisigen Temperaturen kündigten schon das baldige Erwachen Jormags an. Es war die Zeit der Schneestürme, doch die Kälte hielt die Wetterkapriole im Bann, weshalb nur einfache Schneeverwehungen an der Tagesordnung standen.
Hakons Blick wanderte zwischen den Büschen und Bäumen hin und her. Der Bogen lag locker in der linken Hand. Fünfzehn Pfeile ruhten noch im Köcher. Viele Norn waren neidisch darauf, dass sie nicht von Jormag auserwählt wurden, weshalb sie sich öfters in den Wäldern um das Lager tummelten. Sie versuchten durch das Töten von einem von ihnen, unter Beweis zu stellen, dass sie auch stark genug wären, um ein Sohn Svarnirs zu werden.
Svarnir war der erste Norn, der von Jormag durch die Worte Drakkars zum Auserwählten wurde, jedoch starb er vor fast hundert Jahren durch die hinterlistige Klinge seiner Schwester, Jora. Der Tod Svarnirs machte sie nur noch stärker und geschlossener und sobald Jormag seine Schwingen zur großen Jagd ausbreitet, würden sie die Macht der Söhne Svarnirs zu spüren bekommen.
Es raschelte.
Mit geschwinder Hand landete einer der Pfeile in der Sehne des kurzen Jagdbogens und surrte in das Gebüsch. All dies dauerte weniger als zwei Sekunden. Die Augen fixierten den Busch, in dem der Pfeil verschwunden war. Nichts war zu sehen, nichts zu hören. Hatte Hakon verfehlt? Der nächste Pfeil landete in der Sehne des Bogens und mit vorsichtigen Schritten näherte sich der Norn den Busch. Von der Größe des Blätterwerks ausgehend, dürfte wahrscheinlich nur ein Hase oder ein Vogel sich darin aufgehalten haben. Das vertraute Knarren beim Spannen des Bogens durchdrang das Schweigen im Wald. Die Pfeilspitze, wie als Zielmarkierung vor sich haltend, wischte er die Äste bei Seite. Nichts flog oder hoppelte zwischen dem Grün und Weiß heraus.
Ein Surren.
Reflexartig sprang Hakon zurück. Tock! Hakon kannte das Geräusch und wusste sofort, dass gerade ein Pfeil in einen Stamm sich vergrub. Mit schneller Drehung wendete er Körper und Bogen und zielte mit der Pfeilspitze in die Richtung, woher der Schuss kam. Weißes Haar, weißer Umhang mehr brauchte Hakon nicht zu wissen, als der Pfeil von der Sehne gelassen wurde. Noch bevor das Geschoss sein Ziel erreichte, lag schon der nächste Pfeil in der Sehne, aus gutem Grund. Der abgeschossene Pfeil verfehlte den Bogenschützen, doch wenigstens musste dieser ausweichen, womit kein zweiter Schuss erfolgte.
Der weiße Bogenschütze lief davon. Hakon wollte die Flucht mit einem gezielten Schuss beenden, doch leider wich der Fliehende immer wieder zwischen den Bäumen lavierend aus. Hakon musste ihm nachlaufen. Der weiße Umhang des Fliehenden wehte mit dem Wind, weshalb es Hakon schwer fiel den Körper darunter zu erkennen und so einen gezielten Schuss abzufeuern. Der Sohn Svarnirs musste sich in Geduld üben und aufmerksam sein. Irgendwann würde schon die Gelegenheit passieren und der Pfeil würde seine Beute treffen, bis dahin hieß es laufen und laufen, über umgefallene Bäume, zwischen noch stehenden Bäumen, an Büschen vorbei und auch über manchen Stein.
Hakon kontrollierte trotz des Sprints perfekt seinen Atem, wie es ihm einst beigebracht wurde, damit kein Seitenstechen ihn lahmen würde. Immer wieder gelang es Hakon ein paar Meter heranzukommen, nur um dann wieder dieselbe Anzahl von Metern zu verlieren. Der Atem presste sich wie eine Rauchwolke aus den Lungen in die kalte Luft. Der Fliehende war geschickt musste Hakon leider feststellen. Ohne seine Hilfe würde es zu einer endlosen Jagd werden. Doch in diesem Revier kannte sich der Norn aus und wusste sogleich, was er zu tun hatte, um diese Jagd erfolgreich zu beenden. Mitten im Lauf flog sein Pfeil dem Fliehenden hinterher... und verfehlte ihn. Die Pfeilspitze bohrte sich in einen Baumstamm rechts vor dem Fliehenden, der es gleich wie ein Hase machte und nach links abbog. Hakon brauchte nicht fluchen über den Fehlschuss, denn es war keiner. Er hatte mit Absicht danebengeschossen, um dem weißen Umhangträger eine Laufrichtung vorzugeben, wie man es auch bei Jagden auf flinke Beute tat, um sie in eine Falle zu locken. Immer wieder schoss Hakon rechts und links an der Beute vorbei und manipulierte dadurch den vermeintlichen Fluchtweg.
Dann war es soweit mit wallenden Umhang drehte sich die Beute in ein Klamm ab. Links und rechts ragten mehrere Meter hoch die Felswände in den klaren blauen Himmel. Die Schlucht war nur wenige Meter breit. Es gab nur zwei Wege, um hier wieder rauszukommen, entweder man lief zurück in den angelegten Pfeil von Hakon oder man lief die dreihundert Meter lange Gerade, bis die Felswände aufhörten. Die Fliehende entschied sich typischerweise für einen Feigling für Zweiteres und hoffte, dass der Umhang den Körper so bedeckte, dass Hakon keinen tödlichen Treffer landen könnte, aber da kannte die Beute Hakon schlecht. Gemächlich mit aller Zeit der Welt begann der Sohn Svarnirs seine Atmung zu reduzieren, um passend in der Sekunde, in der das Einatmen endet und das Ausatmen begann seinen Pfeil auf die Reise zu schicken.
Der Pfeil flog pfeifend durch die Luft und traf den Fliehenden am Oberschenkel. Getroffen viel die Beute zu Boden. Doch statt sich seinem Schicksal zu ergeben, robbte es sich weiter gen vermeintliche Rettung. Hakon hatte nun alle Zeit der Welt. Der Pfeil traf direkt die Hauptader im Oberschenkel. Sobald jemand diesen Pfeil entfernen würde, würde die Person schneller verbluten, als das ein Heilzauber Wirkung zeigen könnte.
Die Beute war längst aus der Schlucht entkommen, als Hakon zum Anfang der Blutspur kam, die sich wie eine Richtungslinie über den Schnee zog. Nun brauchte er sie nur mehr zu folgen.
Am Ende der Schlucht erstreckte sich ein von Schnee bedecktes Plateau, dessen Ende von einer hunderte Meter tiefen Schlucht begrenzt wurde. Zusammengekauert lag die Beute wimmernd da. Blut tropfte ohne geringer zu weden aus der Wunde und verfärbte das Weiß in rot. Ein weiterer Schuss in den Rücken hätte genügt und der weiße Bogenschütze wären tot am Boden gelegen. Aber Hakon schulterte seinen Bogen und schritt zur wimmernden Gestalt. Er wollte in die Augen der Person blicken, die es wagte ihm einen Pfeil entgegen zu schießen.
"Und du hast wirklich geglaubt, du könntest mich erschießen?!", kam es mit zynischem Unterton über Hakons Mund und wurde von den Wänden als Echo widergehalt.
Statt einer Antwort kam nur Wimmern Hakon entgegen. Es war Hakon egal. Er ging weiter gemächlich und zog seinen Einhänder aus der Scheide.
"Na, dann zeig mir dein Gesicht." Die linke Hand griff sich die Schulter und drehte den Fliehenden herum. Die Fliehende, wie es sich herausstellte. Es war ein Nornweib. Obwohl sie weißes Haar besaß, das ihr bis zu den Schultern reichte, wirkte das Gesicht recht jung. Lavendelfarbige Augen starrten zu Hakon hoch. Es war Furcht zu erkennen. Die Angst, das nun das Leben zu Ende sei. Hakon hatte es oft genug gesehen... und er hatte es jedes Mal genossen.
"Und du dachtest wirklich, ein schwachen Weib wie du könnte mich töten?", kam es spöttisch. "Jormag hat mich ausgewählt. Ich werde nicht durch die Hand irgendeines Welpen sterben." Ein Kichern konnte und wollte Hakon nicht verbergen. Doch plötzlich änderte sich der Blick von der Norn. Es war nicht mehr der entsetzte Blick voller Furcht, auch keine Resignation, wohlwissend, dass sie nun sterben würde. Nein, keines von beiden. Es war ein Lächeln. Ein Lächeln umspielten die Lippen der hellhäutigen Norn. "War-" Noch bevor Hakon die Frage vollenden konnte, stach ein Schmerz durch seine rechte Schulter. Die Faust öffnete sich und die Klinge fiel aus den Fingern und landete im Schnee. Hakons Blick war immer noch auf die lächelnde Norn gerichtet, als er durch sie den Schnee erblickte. Die Norn löste sich von Sekunde zu Sekunde weiter auf, bis sie nicht mehr da war. Hakon blickte schnell um sich. Wo war sie hin? Sogar das Blut der Norn war verschwunden. Beim Herumschauen erblickte Hakon dann etwas neues, einen neuen Norn. Der Norn stand mit erhobenem Schwert vom dem Klamm.
Der Wind hebte etwas das weiße Bärenfell am Leib des Neuankömmlings, wie auch dessen rotbraunen Vollbart. "Ho.", kam der trockene Gruß über die Lippen des Norn "Hat sich deine Liebste in Luft aufgelöst?"
Hakon spie auf den Schnee und die Arroganz, die ihm entgegen gebracht wurde. "Warst du das?" Der Zorn schwang in den Worten mit. Der Norn grinste nur als Antwort. Sogleich stürmte Hakon los und schnappte sich in der Aufwärtsbewegung sein Schwert vom Schnee auf.
Das Klirren hallte über das Plateau, als die Klingen sich das erste Mal mit voller Wucht berührten. Der rotbärtige Norn trug einen Zweihänder und war deshalb sicherlich langsamer als Hakon, der sich wendig bewegte. Hakons Klinge glitt am Eisen des Zweihänders ab, was der Sohn Svarnirs gleich nutzte, damit er um den Norn herumrutschen konnte. Die Klinge war bereit von der Seite in das Bärenfell zu piksen, doch der Zweihänder parierte diesen Stoß und schlug Hakons Klinge beiseite. Der Norn selber machte zwei Schritte zurück, um die längere Waffe effizienter gegen Hakon zu nutzen. Der Lauf hatte wohl zu viel Kraft gekostet, weshalb wohl der Angriff fehlschlug. Hakon musst schnell den Kampf beenden. Das Stechen, das zuvor in seiner Schulter aufgekommen war, hatte sich zu einem beständigen Ziehen entwickelt. Es würde etwas nerven, aber nicht im Kampf hinderlich sein, egal weshalb das Ziehen kam.
"Kommst du endlich?" Gelangweilt fast höhnisch stützte sich der Norn am Schwertgriff ab.
"Darauf kannst du wetten." Wieder stürmte Hakon los. Diesmal wollte aber der Sohn Svarnirs keinen Frontalangriff wagen, sondern eine Finte. Zwei Meter vor dem Norn machte Hakon eine Drehbewegung zur Seite, um wiederum in die Seite des Norns zu stechen. Doch wieder klappte es nicht.
Ein gewaltiger Fausthieb traf Hakons Kiefer, dass die Zähne fest aufeinanderschlugen. Violette Sterne tanzten vor seinen Augen, als der nächste Schlag traf, diesmal in den Magen. Der Mageninhalt versuchte sich über die Speiseröhre hoch zu retten. Etwas traf Hakon am Bein. Der Sohn Svarnirs verlor komplett die Orientierung. Kälte umfasste seine linke Wange. Das Essen samt Magensäure schoss aus seinem Mund. Langsam kam Hakon Blick zurück und das Letzte, was er noch sah, war, wie eine Schwertklinge ihm entgegen kam.