Die Füße schmerzten ihm, die Lumpen halfen nicht so gut wie die Stiefel die er noch vor wenigen Tagen
besessen hatte. Er zwang sich vorwärts, erlaubte sich nur eine Rast wenn er das Gefühl hatte seine Füße, oder sein Kopf würden ihn umbringen.
Zwei Tage war es her. Zwei Tage war es her das er das erste mal dem Tod in die Augen blicken musste, Grenths eisige Kälte so nah bei sich spürte und die Gnade Dwaynas so entfernt wie nie zuvor schien.
Aus irgendeinem Grund hatten sie ihn leben lassen. Vielleicht hatten sie ihn auch einfach für Tot gehalten. Wenn er auch nur annähernd so schrecklich aussah, wie er sich fühlte wäre das eine gute Begründung. Als er wieder zu sich kam hatte er den Geschmack von Eisen im Mund. Eisen und Schlamm. Irgendetwas klebte in
seinen Haaren und sein Kopf pochte dumpf, schmerzend. Das Sonnenlicht stach ihm unangenehm in die Augen und ließ ihn mehrere male blinzeln. Jede Bewegung war eine Qual, die Gelenke waren steif und scheinbar hatte er auf seinem rechten Arm gelegen, total taub.
Mit Mühe und einem leisen Stöhnen wälzte er sich herum, und rollte einen kleinen Abhang hinunter. Der Geruch von Fäkalien stieg ihm in die Nase und aus irgendeinem Grund hörte sich die Welt nicht auf zu drehen, doch zumindest war sein rechter Arm befreit.
Das Blut strömte kribbelnd, gleich den Stichen von tausend Nadeln zurück in diesen und er bekam wieder ein Gefühl in die Fingerspitzen.
Es dauerte eine Weile bis er versuchte sich aufzurichten. In seinem Kopf herrschte ein reines Durcheinander, unterdrückt von dem dumpfen Pochen was es ihm unmöglich machte einen klaren Gedanken zu fassen. Blinzelnd kam er auf die Knie, verschnaufte kurz und blickte sich ganz langsam um, bei jeder
schnelleren Bewegung hatte er das Gefühl sich übergeben zu müssen.
Im Schatten eines großen Laubbaumes machte er Rast. Die Blätter rasselten angenehm im Wind und veranstalteten ein Lichtspiel auf dem dunklen Gras unter ihnen.
Der Blick des jungen Mannes wanderte ziellos herum. Er hatte die Zeit gefunden die ersten schrecklichen Gedanken zu verarbeiten, das geschehene zu verarbeiten. Doch was nun?
Er blickte auf seine dreckigen Hände, rieb ein wenig Schmutz von ihnen. Waschen. Das wäre ein Anfang.
„Und dann?“ Die Frage galt dem Baum, dem Gras, den Blättern, sich selbst. Doch niemandem der darauf hätte Antworten können.
Das Pochen in seinem Kopf schob sich wieder in den Vordergrund, verdrängte jeden Gedanken dem er hätte nachgehen können, schlug sie nieder.
Mit um den Kopf geschlungenen Händen rollte er sich zusammen, so ließ das dumpfe Pochen wenigstens ein wenig nach.
Schlammiges Braun. Es umgab ihn, fand sich auf seiner Hose und seinem Hemd wieder, auf seinen Füßen und seinen Händen. Er faste sich an die dumpf pochende Stelle am Hinterkopf und zuckte zusammen. Ein scharfer Schmerz durchzuckte ihn als er die Stelle berührte. Er fuhr sich vorsichtig durch die ebenso
dreckigen, wie zerzausten Haare. Schlamm und etwas rotes klebte an ihnen. Blut.
Der Blick wanderte weiter und mittlerweile hatte er sich auch an das Licht der Sonne gewöhnt.
Schwarz gefiederte Vögel starrten ihm entgegen. Sie saßen auf dem Wagen. Ihre Krallen bohrten sich in das dunkle Holz. Ihre Köpfe bewegten sich kaum, doch ruckartig. Die ebenso schwarzen, scheinbar seelenlosen Augen auf den Mann gerichtet, der da vor ihnen im Dreck kroch. Sie kamen ihm bizarr starr vor.
Lenarius wandte den Blick tiefer. Ein dunkles braun hatte sich unter dem Wagen ausgebreitet und wurde zum Rand des Weges hin immer heller. Es wurde immer rötlicher. Blut, doch diesmal nicht seines.
Es war kurz vor Anbruch der Nacht, Neumond sollte es werden, als er aus dem Bach stieg. Er hatte sich selbst überwunden und den Schmerz ertragen. Einfach weiter machen auch wenn man nicht wusste wie genau es weiter gehen sollte. Die Kleidung war vom gröbsten Dreck befreit und er selbst hatte auch wieder seine weiße Hautfarbe zurück, mehr oder minder.
Egal was er von hier aus tun wollte, gewaschen fühlte es ich doch ein wenig besser an. Ein wenig hoffnungsvoller. Es dauerte zwar etwas doch kurz nach Aufgang des Mondes, der nicht mehr als eine schmale Sichel war, brannte ein kleines Feuer zu seinen Füßen. Ihm war in den letzten zwei Tagen keine Menschenseele begegnet und er kannte sich hier nicht aus, wusste nicht wo das nächste Dorf war oder wie weit er von Löwenstein entfernt war.
Was sollte er dort dann überhaupt tun? Er war nun Mittellos. Hatte nichts außer die Kleider am Leib und dazu nicht einmal Schuhwerk. Egal, er erlaubte es sich nicht, nicht wieder in das Loch dieser Hoffnungslosigkeit zu fallen das ihn umgab, ein falscher Schritt und er würde wieder hinein fallen. Es würde Kraft kosten daraus hervor zu kommen und er wusste nicht ob er diese Kraft noch hatte.
Immerhin ließ das Pochen in seinem Schädel endlich nach, als er die Augen schloss.
Er lief leicht gekrümmt, aus irgend einem Grund war es so angenehmer mit dem Schmerz im Schädel zu laufen.
Konstanz lag neben dem Wagen, das Gesicht war zu einer Grimasse des Schmerzes verzehrt, der Pfeil in seinem Unterleib war verschwunden. Seine Hände wirkten grotesk verrenkt.
Der Händler war weiter oben zu finden, auf der Grünfläche die auf die kurze Böschung am Rand des Weges folgte. Hier musste er hinunter gerutscht sein. Die Augen des Händlers waren nur halb geschlossen und getrocknetes Blut klebte an der Kleidung, eine breite klaffende Wunde zog sich über den Bauch des Mannes. Seine Hände lagen leblos knapp darüber und darunter, die Mütze war nirgends zu finden.
Der Eine seiner Gefährten lag mit aufgeschlitzter Kehle unweit des Wagens, von Ladung, Ochse oder dem Fünften der Truppe fehlte jede Spur. Die Banditen hatten sich wohl reichlich bedient. Keiner von ihnen hatte mehr Schuhe.
Hier und da fand er zerfetzte Stoffe, Taschen waren es wohl mal oder Säcke. Sie sollten ihm vorerst als Lumpen dienen damit er nicht Barfuß weiter musste.
Dem ersten Impuls folgend verließ er die Straße, weg von dem Bild, weg von der Erinnerung. Den Vögeln ihr Mahl lassend.
Lenarius konnte nicht glauben wie knapp sie ihr Ziel verfehlt hatten. Zwei Tage im ordentlichen Tempo und sie hätten Löwenstein erreicht gehabt. So jedoch war es nur er der sich glücklich schätzen konnte. So war es jedoch nur er der sich die Vorwürfe machen musste sie dort so liegen gelassen zu haben.
Seine Schuldgefühle wurden jedoch schon bald von egoistischen Gedanken verdrängt. Was sollte er nun tun? Karren zogen an ihm vorbei, das Wetter hatte sich gehalten und die Wege waren wieder befahrbar. Bald würde sicher jemand an dem Ort des Überfalls vorbei kommen und die dort liegenden entdecken.
Ein knappes schütteln des Kopfes, nein er musste nun zuerst an sich selbst denken.
Am fünften Tag ergab sich eine Möglichkeit, die Möglichkeit. Er zögerte, ob er es wirklich wagen sollte. Einerseits könnte ihn dies aus dieser schwierigen Situation retten, andererseits noch im selben Atemzug verdammen.
Die Sonne senkte sich bereits wieder, er hatte den einfachen Holztisch nicht aus den Augen gelassen, hinter dem ein ebenso einfacher hölzerner Stuhl stand. Auf diesem Stuhl saß ein Mann in Grau. Grauer Gambeson, graue Handschuhe, graue Haare, Beinschützer aus Stahl an denen sich rötliche Strahlen der untergehenden Sonne brachen.
Lenarius holte einmal tief Luft und trat in die Reihe ein, die sich vor dem Tisch gebildet hatte. Söldner hatten vor den Toren Löwensteins ihr Lager aufgeschlagen. Flache zwei bis drei Mann Zelte reihten sich aneinander. Die Gedanken des jungen Mannes überschlugen sich.
Die Eisernen, stand da in blockiger Schrift auf einem Stahlschild. Sie rekrutierten jeden der ihren Ansprüchen genügte, welche genau das waren wusste niemand der hier stand so genau. Die Söldner die man zu Gesicht bekam sprachen kein Wort mit ihnen, als gäbe es die Freiwilligen gar nicht die sich hier vor dem Tisch aufgereiht hatten. Dieses Verhalten trug nicht unbedingt dazu bei das sich Lenarius besser fühlte je näher er dem Tisch und dem grauhaarigen Mann dahinter kam.
Schließlich war er an der Reihe, er traute sich nicht einmal so recht den Grauhaarigen an zu sehen als dieser ihn befragte.
„Schau mir in die Augen, Bursche!“ Die Stimme war laut. Der Mann hatte nicht gebrüllt doch war es eine dieser Stimmen die sich überall Gehör verschafften.
Lenarius gehorchte ohne einen Gedanken daran zu verschwenden was genau er tat.
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