Adrian kam erst am frühen Morgen zurück. Die Söldner an der Pforte fragten ihn nicht, wo er gewesen war und auch Vito in der Diele wagte diese Erkundigung nicht, doch er ließ den Herren auf seine Nachfrage wissen, dass schon Menschen wach waren im Haus. Ihm kamen von den Libanez-Leuten noch zwei entgegen, die im Garten gearbeitet hatten und mit denen er nicht sprach, und dann stand auf einmal eine blonde Gestalt vor ihm, die von einer so eigenartigen Schönheit war, dass man nicht einmal sagen konnte, ob es überhaupt pure Schönheit war oder nur Seltsamkeit, die das Auge austrickste und faszinierte und das eine mit dem anderen verwechseln ließ. In ihrer Jugend erkannte er sie gleich. Er war sehr vertraut mit ihren länglichen Gesichtszügen und ihren riesengroßen Augen, in denen die energische Härte eines ungnädigen Urteils gegen ihn gerichtet stand. Er kannte auch ihr flachshelles Haar, das dick und gesund wie das seine weit über ihren Rücken schleierte. Jede Form von ihr war grazil und wie die Arbeit eines ungewöhnlichen Ästheten, und obwohl sie einen Ausdruck auflegte, den Adrian niemals hätte nachahmen können, hatte sie große Ähnlichkeit mit ihm.
„Was machst du hier?“
Das war die erste Frage, die er stellte. Als Diplomat hätte er wissen müssen, welch schwerer Fehler dieser Start eigentlich war. Er fand Bestätigung darob an dem unerfindlichen Anteil ihrer Mimik, der so beißend war, obwohl sie großes Talent darin aufwies, unbeteiligt auszusehen.
Adrian merkte, dass Vito von hinten kam, der ihn nicht vorgewarnt hatte, es auch nicht hätte können, weil die Zeit dafür zu knapp gewesen war. Der Diener kam mit der unangenehmen Beklommenheit, die eben dies ausdrückte.
„Ich wollte es gerade sagen“, erklärte er. Er wurde von Adrian mit einer ablassenden Handbewegung verjagt.
„Ich bin nach Göttefels gekommen“, sprach das junge Mädchen in einem Ton als langweile sie die Frage, einem Ton der ihm sagen wollte, dass ihn mehr nichts anging. „Ich kann doch bei dir wohnen.“
„Weiß deine Mutter, dass du hier bist?“
„Ich habe ihr gesagt, dass ich nach Götterfels will.“
Adrian starrte bestürzt. Es wäre ihm peinlich gewesen, hätten Fremde ihn derart entwaffnet gesehen.
„Das war nicht die Antwort auf meine Frage.“
„Ach. Komme ich dir ungelegen? Mach dir keine Sorge, Adrian, ich werde dich in deiner bedeutenden Arbeit nicht behindern.“
Er stand noch da, als sie an ihm vorbei und in die Küche zog. Sie war in der letzten Zeit gewachsen. Ihm fiel auch mit Missfallen auf, dass sie ihre Augen dunkel angemalt hatte; wie er ihr zutraute, damit man sie für älter und reifer hielt, als sie tatsächlich war. Sie war vollkommen unreif.
„Wer ist Elizabeth? Wer ist Hannah? Wer Gwinnis? Sind das deine Freundinnen?“
Adrian drehte sich. Sein Blick traf jetzt ungläubig Vito.
„Hast du sie in mein Büro gelassen?“
„Sie wollte dort auf dich warten. Das war gestern Abend. Ich dachte, du kommst noch, Adrian.“
„Bei welcher von ihnen warst du wohl.“
„Ich glaube, die dritte heißt Gwennis.“
„Wer weiß, ob es überhaupt eine Rolle spielt, wie sie heißt. Die Namen sind schnell vergessen, oder?“
Adrian stachen die unpassenden Gedanken an Aufwand und Ärger ins Befinden, wie er seine Tochter dort stehen und mit Vito über Angelegenheiten reden hörte, von denen keiner von beiden eine Vorstellung hatte. Sie ging immer so hart wie sie konnte mit ihm ins Gericht um ihm heimzuzahlen, dass er der war, der er war. Das war das trübe Handeln eines verletzten siebzehnjährigen Mädchens.
„Du kannst natürlich deinen Urlaub hier in Götterfels machen.“ Sein versöhnliches Versprechen, das sich nur nach dem Frieden mit seiner lieben Tochter sehnte und ein erster Versuch zu ihrer Besänftigung sein sollte, löste in ihr nur ein unbarmherziges Schnauben des Hohnes aus.
„Urlaub. So schnell willst du mich loswerden. Wer sagt, dass ich nicht bleibe?“
„Darüber reden wir noch.“
„Du hast mir nicht erzählt, dass du in einem riesengroßen Anwesen wohnst. Hast du das vergessen – Papa?“
Seine Brauen zuckten grimmig.
„Oder war es nur nicht erwähnenswert? So wie ich?“
„Rede keinen Unsinn. Du weißt, was ich davon halte, wenn du diese Karte ausspielst. Deine Mutter wollte, dass dein Leben so verläuft.“
„Meine Mutter wollte, dass du über mich schweigst vor meiner Familie? Oder ist es nur die deine? Es wundert mich nicht, dass Veruca hier nicht lebt. Sprichst du von ihr auch nicht?“
Vito verließ seinen Posten. Er ging aus dem Raum als habe er drüben jemanden nach ihm rufen gehört. Da hob das Mädchen die Hand und deutete dem groben Mann ärgerlich nach.
„Da. Sogar den Vollpfosten hast du aus Löwenstein kommen lassen. Antonia Godart ist auch da, oder? Sie alle müssen unbedingt dabei sein, bei deinem Aufstieg.“
Er hörte, was sie ihm vorwarf, auch wenn sie es nicht noch klarer formulierte.
„Ich hab-“
„Sneshana hat es mir schon gesagt. Du hast mich überhaupt nicht erwähnt. Du sprichst gar nicht von mir. Ich existiere hier in Götterfels nicht, oder? Peinlich für dich, deine Vergangenheit, oder? Tja, jetzt bin ich hier. Und ich gehe auch nicht wieder weg.“
„In dem Ton rede ich mit dir kein Wort mehr.“ Adrian war zornig geworden. Er stieß sich von dem Stuhl ab, an dessen Lehne er sich gerade noch festgegriffen hatte und ging resolut bis zur Hälfte des Flures, wo er sich noch einmal umdrehte und ruhig sprach. „Ich freue mich, dich zu sehen. Du bist mein Kind. Aber wenn du so mit mir sprichst, werden wir beide, du und ich, ein Problem bekommen, das ich schneller löse, als du ahnst. Sag hinterher nicht, dass ich dich nicht gewarnt habe.“
Dann wollte er gehen, aber er gewahrte, dass die Tür zum Anwesen aufgesprungen war und jemand neu in der Diele stand.
„Wer bist du denn?“, hörte er Helenas Stimme sprechen.
„Helena“, rief er ohne zurück zu gehen. Seine Tochter, die von jugendlicher Wut vollkommen festgefroren neben der Steinanrichte stand, würdigte er nicht eines Blickes mehr. „Meine Tochter wohnt einstweilen hier. Sei so gut und mach ihr ein Zimmer klar.“
Jetzt ging er und Vito kam in die Küche zurück, wo er Helena sah, die mit glasigen Augen nicht mehr erschöpft, sondern perplex dastand und das blonde Mädchen anglotzte.
„Hast du dich wieder davongeschlichen?“, fragte er, um sein Wissen zu präsentieren und seinen Mut durch Dreistigkeit wieder anzumehren.
„Nein.“ Helena nahm die Augen nicht ab von dem Mädchen, das absichtlich in eine andere Richtung stierte und keinen von ihnen sehen wollte. „Ich war bis gerade eben unterwegs mit...geht dich nichts an. Mach ein Zimmer fertig.“
„Ich hab schon ein Zimmer. Vito hat mir eines gegeben, ehe Adrian auf den Gedanken kommt, mich bei den Dienstboten zu verstecken.“
„Sie hat schon eines“, pflichtete Vito notlos bei.
„Jetzt wirst du unfair", richtete Helena an das Mädchen.
„Helena, ja? Wann haben wir uns zuletzt gesehen?“
„Vor...ich weiß nicht. Du warst viel jünger. Ich hab dich gar nicht erkannt.“
„Du hast Adrian nach Götterfels geholt, was?“
„Ich hab ihm geschrieben, das ist richtig.“ Helenas müdes und verwirrtes Aussehen glich sich mit ihren Gedanken, die gerade aus einer völlig anderen Stimmung gerissen worden waren und sich in diesem neuen, sehr kalten Wasser erst noch anpassen mussten. Sie hatte noch nicht ganz verstanden, was das Ziel der Fragen war, als das blonde Mädchen sich schon mit Schwung an ihr vorbeimachte.
„Es freut mich für dich, dass er auf den Ruf reagiert hat und gekommen ist!“
Helena sah ihrem Abgang erstaunt nach.
„Das wird anstrengend“, sah Vito die offensichtliche Zukunft voraus.
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