„Wie eine Winterkönigin sieht sie aus. Aber schaut da ins Spiegelglas. Ich sag es euch, Freunde, das Kind macht mich poetisch. Sie ist die Maienzeit meines Herzens.“
Es war viel Gelächter um Victor Iorga herum, der mit großem Stolz über die Schulter seiner Nichte Helena blickte und sich die Reflektion ihrer Gestalt betrachtete, an deren glanzvoller Ausstattung er heute nicht den geringsten Anteil hatte.
„Fünfzehen Jahre. Da hat Lyssa dich mir geschenkt. Wie soll ich ihr je etwas Vergleichbares zurückgeben?“
„Onkel, bitte.“
„Sei nicht schüchtern. Es ist doch wahr. Paul! Wer hat deiner Tochter diese Perlen ins Haar geflochten? Sie schimmern in den Locken wie Sternenlicht, nicht?“
„Was ist denn heute in dich gefahren?“ Von allen lachte Helenas Vater nicht am lautesten, aber bestimmt am herzvollsten und ohne Neid. „Hast du dir zum Obstbrand am Morgen noch ein Versbuch einverleibt?“
„Ihr seid Banausen für das wahre Schöne! Ich bemitleide euch, Familie! Ilie! Sag mir was du siehst!“
Der helle Blick vom ungetrübtesten Blau stach hin zum Spiegel und dem Mädchen davor, dem unwohl war vor Aufmerksamkeit.
„Helena.“
„Und?“ Begeistert wie ein jüngst zum Glauben erwachter Prediger stand Victor da, halb gebeugt, den auffordernden Schwung mit der Hand schon halb ausgeführt. Seine Augen standen offen vor Begeisterung und den rüden Mund hatte er auch nicht ganz geschlossen.
„Helena. Da ist sonst keiner mehr. Achso. Dich?“
„Wie sieht sie aus, deine Schwester. Wie: ...?“
„Helena.“ Ilie besah sich das jüngere Geschwister durchaus genau. Kein Verstehen striff seine Miene, bis ein Geistesblitz ihn zum Lächeln brachte. „Achso. Kitschig.“
„Ihr seid Banausen für das wahre Schöne!“, wiederholte Victor freudig und bestürzt. „Ihr habt mein Mitleid gar nicht verdient. Wie eine Maiprinzessin siehst du aus, Kind. Lass dir nichts anderes einreden.“
Zu fünft hatten sie Helena die fließenden Ärmel angebunden, die an Farbe ihrem hellen Haar angepasst waren, das da in offenen Locken über ihre Schultern hinsprang und von vielen dünnen Zöpfen mit weißen Perlen durchflochten war. Genauso strahlend war dazu ihr Rock in silberweiß, der dünn und weit in Falten fiel, und ihr Gewand darüber, über das sich in blassgoldener Farbe schlank Lilien entlang der Säume woben. Aus falbem Taft und weißem Samt, mit einem Kragen aus Hermelin, hatte Victor ihr einen weiten Mantel geschnitten, der ihr schwer am kleinen Leib auflag. Auf ihrem Kopf saß, auch von einem Netz aus Perlen und Steinen eingefasst, ein silberner Reif, an den ein kleines gefaltetes Tuch so gebunden war, dass es ihr wie eine Blume im Haar saß. Der Gürtel, der über ihrer Hüfte die Schleierstoffe am Körper hielt, war so breit wie vier ihrer Finger. Er war mit Gold und grünen Steinen beschlagen und ihr mit großer Vorsicht über einen zweiten Rock gelegt worden, der so hauchdünn war, dass er fast durchsichtig, wie Licht, nur von weißgoldenen Fäden durchwirkt, über alles gelegt worden war.
„Du bist von uns allen und von allen überhaupt die Schönste“, sagte Victor, wie er es immer sagte und immer schon gesagt hatte und wohl noch sagen würde, wenn längst um ihn herum die müden Lächeln brach lägen.“Wie geht es dir?“
Helena sah an sich herab auf das Geschmeide aus strahlenden Schlaufen, die ihre Fingerstulpen hielten. Sie beobachtete sich selbst mit großem Zweifel, aber war doch verliebt in jedes Wort, das ihr Onkel über sie sprach.
„Ich wollte heute noch mit Ilie ins Obstlager einbrechen“, sagte sie dann endlich. „Ich weiß nicht, wie ich es so machen soll.“
„Wir wollten ins Obstlager einbrechen.“ Ilie hob den Kopf und gab sich nicht die Mühe, seine Worte zu betonen. „Jetzt bleibt sie an den Nägeln am Fenster hängen.“
„Ihr werdet in kein Lager einbrechen, Kinder!“, war es Pauls Stimme, die gerechte Stimme ihres Vaters, der sie beide zur Ordnung rief. Was er an Empörung in seinen Befehl legte, wurde von Victors Lachen übertönt.
„Da hat er Recht!“, stimmte er seinem Bruder zu, aber er hatte andere Gründe. „In dem Kleid nicht.“
Victor und Paul hatten einen dritten Bruder, Boris, der mit seinen Kindern Alexej und Sneshana fernab des Spiegels saß und Karten spielte. Jetzt hob er, weil er das Gespräch mit halbem Ohr verfolgt hatte, den Kopf.
„Mir gefällt dein Junge gut, Paul. Er denkt nicht daran, dass sie nicht mitkann, um das Kleid zu schonen, sondern nur daran, dass sie unpraktisch für die Arbeit gekleidet ist. Ein strebsamer Geist. Ihn lob ich mir.“
„Und ihr solltet beide meine Kinder nicht in solchen Sachen unterstützen. Ich hab es schwer genug mit Leon, der mir ständig neues Zwielicht ins Haus schafft.“
Helena und Ilie tauschten geheimnisvolle Blicke.
„Wir haben alle unser Päckchen zu tragen“, rief Boris, dabei schlug er seinem Burschen auf die Schulter, Alexej, der nur schwach lächelnd den Moment genutzt hatte, eine Karte unter dem Tisch verschwinden zu lassen. Seine Schwester hatte ihn dabei erwischt und auch diese Geschwister tauschten einen verschwörerischen Blick. Aber keiner hier verriet sein Blut.
„Wie lang muss ich das Kleid noch tragen?“
„Was?“ Wieder war es Victors Lachen, das über allen anderen den Raum füllte. „Gefällt es dir etwa nicht?“
„Ich will nicht an den Nägeln hängen bleiben.“
„Du wirst an den Nägeln hängen bleiben“, sagte Ilie und betonte wieder kein Wort.
„Ihr werdet gar nicht erst ins Obstlager gehen.“
„Papa, es ist mein Geburtstag. Hab ich keinen Wunsch bei dir frei?“
„Hast du nicht schon ein Geschenk bekommen?“
„Wolltest du nicht Löwensteiner-Obst für alle besorgen? Dann gab es keines und Nicolae ist nicht aufgetaucht, also haben wir keins.“
„Der Mann hat immer Wichtigeres zu tun“, rief Boris.
„Und ich möchte gern für uns alle welches stehlen!“, insistierte Helena. Sie drehte sich vom Spiegel weg und ihrem Vater zu, der über ihren verbissenen Ausdruck, während sie in der Garderobe einer jungen Fürstin vor ihm stand, nur lachen konnte.
„Jetzt weiß ich es“, erfreute sich da Ilie an seinem zweiten Geistesblitz. „Du siehst aus wie ein sterbender Schwan.“
„Es ist doch eine Ausnahme, Paul, alter Hund“, sprang Victor Nichte und Neffe bei, was viel weniger wunderlich war, als dass er diesmal tatsächlich einen Erfolg damit erzielte.
„Es ist eine Ausnahme. Ich habe davon nichts gehört. Ich gehe jetzt rüber und kümmere mich darum, dass für den Abend genügend Tische im Raum stehen und Boris' Schnaps gut kaltgestellt ist. Ich höre nicht, was hier abgemacht wird. Aber am Abend will ich alle sehen, und dich, Helena, in deinem Festkleid. Es wird nicht von Nägeln zerrissen sein.“
„Wird es nicht“, versprach sie wonniglich, dabei strahlte ihr Gesicht ihrem Onkel zu, so als wäre er es gewesen, der die Erlaubnis gegeben hat, und nicht ihr Vater.
Paul ging, wie er es gesagt hatte, und Ilie erhob sich von seinem Platz.
„Du kannst Schmiere stehen.“
„Nein. Ich steh nicht Schmiere. Ich kletter rein.“
„Du wirst an den Nägeln hängen bleiben.“
„Und wenn du es noch hundertfünfzig Mal sagst, passiert es nicht.“
„Fangt keinen Streit an.“ Ein grober Wink von Victors Hand blies einen Windzug über Helenas Nacken. „Geh, zieh dich um. Ich lenk eure Mutter ab, damit sie es nicht sieht.“
Am Abend hatten sie frisches Obst. Kein Nagel zerriss das Kleid der fünfzehnjährigen Helena, trotzdem war es am nächsten Morgen hin und nur der Gürtel und der Mantel waren ganz unbeschädigt geblieben, als die Mädchen gegen ihre Brüder und Vetter auf glitschigen Baumstämmen um die Wette übers Wasser balanciert waren.
„Ich habe gut abgeschnitten“, erzählte Helena am nächsten Tag noch mit allerliebster Seele ihrem Onkel Victor. Er wusste, dass sie für das zerschundene Kleid Schläge mit dem Gürtel einstecken hatte müssen und lobte sie deshalb umso wärmer als hätte sie gewonnen.
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